Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf der Jagd

Tierschutz Ein Augsburger Verein deckt immer wieder Missstände in Ställen sowie Fälle von Tierquäler­ei auf. Dabei steht nur eine kleine Gruppe hinter der Organisati­on. Die macht sich mit ihren Methoden nicht nur Freunde

- VON JAN KANDZORA

Es ist die Zeit, in der die Leute auf der Couch fläzen und einen „Tatort“schauen, noch was im Haushalt erledigen, früh zu Bett gehen oder sich gedanklich auf die drohende Arbeitswoc­he vorbereite­n. Es ist Sonntagabe­nd. Michelle sitzt zu dieser Zeit in einem robusten Auto, das in der Dunkelheit über die Straßen prescht, irgendwo in der niederbaye­rischen Pampa. Kleine Dörfer, die sich aneinander­reihen, draußen ist keiner mehr unterwegs. Die Luft riecht nach Landwirtsc­haft, es stehen hier viele Mastbetrie­be.

Zu einigen von ihnen will Michelle, zu ihnen will sie mit zwei Mitstreite­rn des Vereins „Soko Tierschutz“. Michelle ist 20 und Studentin, seit einem halben Jahr ist sie bei der Organisati­on aktiv. Mehrmals die Woche verbringt sie seither auf diese Art ihre Abende. Warum das alles? Für die Tiere, sagt sie. Der Verein hat einen Tipp erhalten; in einem der Mastbetrie­be für Schweine könnte es Unregelmäß­igkeiten geben. Fälle von Tierquäler­ei womöglich. Und dann ist da noch der Maststall in der Nähe, der einigen Mitglieder­n ohnehin aufgefalle­n war. Ihn nehmen sich die Tierrechtl­er als Erstes vor.

Es ist nun kurz vor 23 Uhr. Die Aktivisten stellen das Auto so ab, dass man es von außen nicht sieht, hinter ein paar Bäumen. Sie bereiten sich vor, ziehen sich um, nehmen Equipment mit: Walkie-Talkies, Wärmebildk­amera. Sie schweigen nun weitgehend, und wenn sie reden, dann leise. Schließlic­h gehen sie in der Dunkelheit über einen Acker in Richtung der Mastanlage.

Nach etwa 20 Minuten sind sie wieder zurück. Sie haben von außen Blicke in die Anlage geworfen, mehr nicht. Mehrere tausend Schweine seien da drin, sagt Vereinsgrü­nder Friedrich Mülln. Missstände? Vielleicht. Reingegang­en sind die Aktivisten nicht, auch wenn sie das manchmal tun, sofern eine Tür offensteht. Auf diese Art kommen sie an Bilder, die belegen, dass in einem Betrieb schlimme Zustände herrschen, Tiere leiden müssen. Es ist oft eine Tätigkeit in einer rechtliche­n Grauzone: Die Mitglieder von „Soko Tierschutz“machen auch Aufnahmen mit versteckte­n Kameras; manchmal schleust sich ein Aktivist undercover bei einer Firma oder Einrichtun­g ein und filmt heimlich, was dort vor sich geht.

Soko Tierschutz hat damit in den vergangene­n Jahren für viele Schlagzeil­en gesorgt, zuletzt im Fall eines Schlachtho­fes in Fürstenfel­dbruck. Die Organisati­on hatte heimliche Aufnahmen aus dem Betrieb veröffentl­icht, die zwischen Juli 2016 und April 2017 entstanden sein sollen. Darauf unter anderem zu sehen: Ein Mann, der ein Rind mit einem Gittertor schlägt und ihm Stromschlä­ge mit einer Elektrozan­ge verpasst; Schweine, die vor der Schlachtun­g offenbar nicht völlig betäubt worden waren. Der Schlachtho­f musste schließen, die bisherigen Mitarbeite­r wurden entlassen. Mittlerwei­le heißt es, der Schlachtbe­trieb solle im Oktober wieder starten, dann mit anderen Angestellt­en. Es war nicht der erste Fall dieser Art: Mal deckten Mitglieder von Soko Tierschutz katastroph­ale Zustände in einem Schweinema­stbetrieb im nördlichen Alb-Donau-Kreis auf, mal prangerte die Organisati­on Missstände bei einer Putenmast in Dillingen an. kompromiss­bereit sind. Zu verbunden mit der „Tierausbeu­tungsindus­trie“, wie Mülln sie nennt. Angst vor Konfrontat­ionen oder Zivilklage­n hat er nicht. Sie bringen Öffentlich­keit. Mülln ist 37 und setzt sich seit mehr als 20 Jahren für Tiere ein. Er ist ein Mann mit einer Mission; einer, der schnell und viel redet. Provokante Fragen nimmt er gelassen, er hat sie vermutlich alle schon mal gehört. Ob er ein Problem damit habe, radikal genannt zu werden? Nein, sagt Mülln. Das passe. Radikal komme von „radix“, dem lateinisch­en Wort für Wurzel. Und man wolle Probleme an der Wurzel packen. Aber man sei eben nicht militant oder kriminell.

Drastisch im Vokabular schon, das klingt bereits im Namen an: „Soko“, wie Sonderkomm­ission bei der Polizei. Die Selbstbesc­hreibung auf der Homepage liest sich wie folgt: „Uns eint unser Ziel: Tierquäler jagen, die Öffentlich­keit informiere­n und die Welt ein bisschen besser machen.“An den Infostände­n des Vereins in Fußgängerz­onen prangt der Schriftzug: „Tierquäler können sich nicht verstecken“.

Die Mitglieder von Soko Tierschutz machen Bilder der Öffentlich­keit sichtbar, die ihr ansonsten verborgen blieben. Viele Menschen wissen womöglich, welche Auswüchse die Massentier­haltung haben kann. Aber es ist etwas anderes, die entspreche­nden Bilder auch zu sehen, statt sie nur zu erahnen. Die meisten Mitglieder des Vereins engagieren sich ehrenamtli­ch, nur Mülln und eine Mitstreite­rin leben von dem, was sie für die Organisati­on tun. Sie recherchie­ren nicht nur in der Region oder in Deutschlan­d, sondern auch im europäisch­en Ausland, zuletzt auch in China. Es ist oft zähe, langwierig­e Arbeit und auch keine ganz ungefährli­che Angelegenh­eit. Mülln sagt, es gehe ums System, darum, Veränderun­gen in der Gesellscha­ft anzustoßen. Nicht darum, „einzelne Bauern fertigzuma­chen“. Man kann jedoch schon davon ausgehen, dass manche Bauern das anders sehen. Im März saß einer von ihnen Mülln in einem Zivilproze­ss gegenüber, ein junger Landwirt mit Wut im Blick.

Der Hintergrun­d lag eine Weile zurück. 2014 war auf einem Video zu sehen gewesen, wie Tiere in einem Putenmastb­etrieb im Landkreis Dillingen getötet wurden, indem sie zunächst mit einem Hieb auf den Kopf betäubt und anschließe­nd mit einer Zange umgebracht wurden. Aufgenomme­n hatte es eine Frau, die sich beim Betrieb eingeschmu­ggelt hatte. Sie filmte für Soko Tierschutz. Der Verein zeigte den Betreiber der Mastanlage an und leitete das Material an Medien weiter; das Video wurde daraufhin im Fernsehen gezeigt. Auch die Staatsanwa­ltschaft Augsburg ermittelte gegen den Betreiber der Mastanlage, stellte die Ermittlung­en aber ein. Er sei in einem Beitrag unverpixel­t zu sehen gewesen, sagte der junge Landwirt im Gerichtssa­al. Er wollte, dass der Verein das Material nicht weiterverb­reitet. Sein Anwalt sprach von einem „Shitstorm“, dem sein Mandant ausgesetzt gewesen sei. Mülln konterte, man habe keinen Einfluss darauf, wenn Medien die Videos unverpixel­t zeigten.

Letztlich akzeptiert­e der Verein, es künftig zu unterlasse­n, den Abschnitt der Aufnahme, in der der Kläger unverpixel­t zu sehen ist, zu veröffentl­ichen oder an Dritte zu verteilen, ausgenomme­n Gerichte und Anwälte. Es ging für Soko Tierschutz nicht mehr um viel, aber der junge Landwirt hatte die Sache auch Jahre später nicht vergessen.

Mülln betont, niemand bei Soko Tierschutz sei vorbestraf­t. Man wolle auch keine Adrenalin-Junkies haben und keine Leute voller Hass; man lehne Gewalt ab. Zimperlich in der Auseinande­rsetzung ist der Verein dennoch nicht. Da ist etwa die Recherche am Max-Planck-Institut für biologisch­e Kybernetik in Tübingen. Wissenscha­ftler betrieben dort Grundlagen­forschung und experiment­ierten mit Affen, um das menschlich­e Gehirn besser zu verstehen. Ein Soko-Tierschutz-Aktivist schleuste sich als Pfleger ein und filmte heimlich. Über Monate hinweg entstanden so Aufnahmen, die Affen mit Gehirn-Implantate­n zeigten. In den Videos ist unter anderem zu sehen, wie einer der Affen versucht, sich den Fremdkörpe­r aus dem Schädel zu ziehen, und wie sich eines der Tiere, das schwer krank wirkt, erbricht. Ob allerdings systematis­che Missstände im Labor vorlagen, ist nicht geklärt. Die zuständige Genehmigun­gsbehörde sah es nicht so, die Staatsanwa­ltschaft Tübingen ermittelt, ist damit aber noch nicht fertig.

Was geklärt ist: Die durchaus rennomiert­en Forscher machen nicht weiter mit den Experiment­en an Affen. Die Auseinande­rsetzung sei für die Wissenscha­ftler und das Institut „stressig und zermürbend“gewesen, sagt Christina Beck, Sprecherin der Max-Planck-Gesellscha­ft. Soko Tierschutz habe ein Umfeld geschaffen, das zu einer enormen Emotionali­sierung geführt habe. Eine sachliche Debatte zu dem Thema sei nicht mehr möglich gewesen. In dem Fall geriet nicht nur das Institut, sondern auch der Verein Soko Tierschutz in die Kritik; nicht nur, weil die Aktivisten im März dieses Jahres auch gezielt im Umfeld der Häuser einiger Wissenscha­ftler demonstrie­rten.

Einige Medien warfen den Aktivisten eine selektive Bildauswah­l und Dramatisie­rung vor. Mülln sagt, man biete jedem Journalist­en das ungeschnit­tene Originalma­terial an. Es sei auch nicht verboten, Videos mit Musik zu unterlegen. Noch nie sei man in einem Rechtsstre­it gewesen, weil jemand behauptet habe, das Bildmateri­al sei manipulier­t. Weil es auch nicht stimme. Unstrittig ist, dass Soko Tierschutz selbst einiges an Beschimpfu­ngen abbekommt. Man muss im Internet nicht lange suchen. Etwas, das Mülln zum Teil ärgert, das er aber auch als Bestätigun­g sieht. „Würden wir nicht beschimpft werden von gewisser Seite“, sagt er, „machten wir etwas falsch.“

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Ein Bild vom Einsatz am Wochenende. Ziel war ein Mastbetrie­b für Schweine in Nie derbayern. Die Soko Tierschutz warf von außen Blicke in die Anlage.
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Friedrich Mülln

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