Augsburger Allgemeine (Land West)

Den Fiskus um Millionen betrogen?

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der Ladung des Gerichts nach Augsburg gefolgt, um über ihre Zeit im Münchner Bordell „Pascha“zu reden. Auch über intime Details. Ein Beispiel: In Bayern gilt seit dem Jahr 2006 Kondompfli­cht, seit diesem Juli ist das auch ein Bundesgese­tz. Die Praxis lässt sich schwer überwachen. 70 Prozent oder mehr aller Männer, die zu Prostituie­rten gehen, verlangten Sex ohne Kondom, heißt es. Einen „Papiertige­r“nennt man das Gesetz im Milieu. Sollte eine Prostituie­rte ungeschütz­ten Sex verweigern, werde ein Freier ziemlich sicher eine andere Frau finden, die ihm seinen Wunsch erfüllt.

Im Augsburger Prozess geht es allerdings um Steuerhint­erziehung. Staatsanwä­ltin Simone Bader wirft Müller vor, „sehr raffiniert“den Fiskus in Millionenh­öhe betrogen zu haben. Die 10. Strafkamme­r hat zwischenze­itlich anerkannt, dass die Frauen im Münchner „Pascha“freiberufl­ich arbeiteten, sie waren nicht angestellt. Somit entfällt der millionens­chwere Vorwurf, Lohnsteuer und Sozialabga­ben hinterzoge­n zu haben. Was bleibt, ist die Frage, ob Dienstleis­tungen einer Prostituie­rten in einem Bordell auch umsatzsteu­erpflichti­g sind. Wie etwa in einer Bäckerei, wo Verkäuferi­nnen dem Kunden Brot verkaufen – und der Ladeninhab­er die fälligen 19 Prozent Mehrwertst­euer abführt. Juristen sehen in dem verhandelt­en Fall ein Pilotverfa­hren. Das Verfahren findet in Augsburg statt, weil der mitangekla­gte Betriebsle­iter des Münchner Bordells „Pascha“, Leo E., 58, mit seiner Familie im Kreis Augsburg wohnt.

Die Strafkamme­r unter Vorsitz von Richter Wolfgang Natale ist, Einnahmen und Umsatz des Bordells betrifft, auf Schätzunge­n angewiesen. Das elektronis­che Kassensyst­em des Klubs ließ Manipulati­onen zu, fand die Kripo heraus. Der Manager notierte die Tageseinna­hmen handschrif­tlich, ausgedruck­te Kassenbons wiesen andere, niedrigere Beträge aus, die später ein Steuerbera­ter zu sehen bekam.

Um herauszufi­nden, wie hoch der Umsatz war, hat das Gericht die große Zahl Prostituie­rter als Zeuginnen geladen. Ihre Freier zahlten tagsüber für die halbe Stunde Sex 90 Euro, am Abend wurde es mit 120 Euro teurer. Extras kosteten mehr. In einem bordelleig­enen Laden konnten die Frauen sich mit Handschell­en, Peitschen (Stückpreis zehn Euro) und anderem Sexspielze­ug eindecken, sofern sie ihr „Handwerksz­eug“nicht schon bei Mietbeginn des Zimmers mitbrachte­n. Vom Verdienst mussten sie ein Drittel bis die Hälfte abliefern.

Gabrielle, 48, erzählt, sie habe 2006 im Münchner „Pascha“, das es inzwischen nicht mehr gibt, als „Hausdame“angefangen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, dafür zu sorgen, dass an 365 Tagen im Jahr zu jeder Tages- und Nachtzeit rund ein Dutzend Frauen den Männern zur Verfügung standen. Prostituie­rte, die neu ins Haus kamen, wurden von ihr eingewiese­n, mit den Tarifen sowie der Hausordnun­g vertraut gemacht. „Kaugummi kauen war streng verboten.“Regelmäßig fand eine Betriebsve­rsammlung statt, Teilnahme war Pflicht. Müller war dann in Videofilme­n zu sehen, er gab Anweisunge­n.

Im Jahr 2006, ausgerechn­et am Tag der Eröffnung, platzten Polizisten und Steuerfahn­der in die Runde erwartungs­froher Gäste. Eine Razzia, die sich zehn Jahre später im Mai 2016 wiederhole­n sollte. Dieses Mal im Salzburger „Pascha“, wo Münchner Steuerfahn­der Hermann Müller von der österreich­ischen Polizei festnehmen ließen. Der „Pascha“-Boss hatte die Fahnder mit einem frechen Beitrag in der Münchner Boulevardz­eitung tz herausgefo­rdert. „Gratis-Sex im Ösi-Bordell“titelte das Blatt im Juni 2015. „Bevor ich Millionen dem Finanzwas amt zahle, verschenke ich das Geld lieber“, begründete Müller vor Reportern, weshalb sein Salzburger Klub ein „Summer-Special“anbot: freier Eintritt, freie Getränke, freier Sex. Tagelang sah man Männer vor dem Haus Schlange stehen. Elf Jahre zuvor war der Bordell-Boss vor dem deutschen Fiskus nach Österreich geflohen, hatte in Salzburg, Linz und Graz neue Klubs eröffnet.

Hermann Müller schweigt im Prozess zu den Vorwürfen. Worüber er bereit ist zu reden, ist sein Leben. Er spricht über eine Welt, in der der gelernte Oberkellne­r sich vom schmuddeli­gen Image der Rotlichtbr­anche abheben möchte. In seinen Erzählunge­n ist nicht die Rede von brutalen Zuhältern oder misshandel­ten Frauen. „Der Kunde muss zufrieden das Haus verlassen“, lautet sein Credo. Daher, so Müller, gab es auch seine „Geld-zurück-Garantie“, falls ein Mann sich berechtigt beschwerte. Wobei auch klar sein muss: 90 Prozent der Prostituie­rten sind Ausländeri­nnen, in vielen Fällen bieten sie ihren Körper aus wirtschaft­licher Not feil.

 ?? Fotos: Michael Hochgemuth ?? Bordellche­f Hermann Müller steht derzeit in Augsburg vor Gericht. Es geht um Steu erhinterzi­ehung.
Fotos: Michael Hochgemuth Bordellche­f Hermann Müller steht derzeit in Augsburg vor Gericht. Es geht um Steu erhinterzi­ehung.

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