Augsburger Allgemeine (Land West)
37 Jahre kümmerte er sich um kleine Patienten
Arbeit Kinderarzt Dr. Elmar Dietmair übergibt seine Praxis in Bobingen. Den Eltern von heute wünscht er vor allem Gelassenheit. Bei der Nachfolge freut er sich über einen guten Fang
Bobingen
Am 1. Oktober 2017 wird er erst einmal ausschlafen. Dann muss der Bobinger Kinderarzt Dr. Elmar Dietmair nicht mehr in seine Praxis in der Bischof-UlrichStraße. Es wird der erste Tag seines Ruhestands sein. Was danach kommt, steht noch nicht fest. Vielleicht ein wenig mehr Zeit in seiner Hütte in den Bergen verbringen. Oder mit den beiden Enkeln spielen.
Über 37 Jahre war Elmar Dietmair Kinderarzt in Bobingen. Eher durch einen Zufall, wie er erzählt: „Eigentlich wollte ich in die Biochemie. Dieses Fach konnte man nicht direkt studieren, und deshalb wollte ich über den Umweg Medizinstudium dorthin.“Dafür war der Nachweis eines Krankenpflegediensts Pflicht. „Und danach war ich mir klar, ich werde Kinderarzt“, erzählt Dietmair.
An der Hauner’schen Kinderklinik in München machte er schließlich seine Doktorarbeit, den Facharzt an der Kinderklinik in Augsburg. „Zu dieser Zeit habe ich bei gemeinsamen Bekannten Dr. Wilhelm Wagner getroffen, und der hat mich gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, mit ihm in Bobingen eine Praxis aufzumachen.“Die Kassenärztliche Vereinigung riet dem jungen Arzt von dieser Idee ab. Dietmair wagte es trotzdem. Seit dem 4. August 1980 behandelt er seine kleinen Patienten und war auch im örtlichen Krankenhaus in der Neugeborenenbetreuung tätig. „Die Praxis lief zum Glück bald problemlos. Ich musste auch am allgemeinen Notdienst teilnehmen – auch für Erwachsene –, und das war schon spannend“, sagt Dietmair. Er war sehr erleichtert, als er einen kinderärztlichen Notdienst auch für „Landkinder“einrichten konnte.
Bewährt hat sich die Praxisgemeinschaft, die er 1985 erst mit den Kollegen Dr. Wilhelm Wagner und Dr. Wenzel Chmelik, später mit Wagner und Dr. Peter Wörle einging. „Als wir anfingen, waren wir die erste Praxisgemeinschaft in Bayern, die nicht miteinander verwandt war“, sagt Dietmair. Innovativ waren die Kollegen immer: Schon 1985 nutzte man in der Praxis Computer, 1986 wurde erstmals elektronisch mit den Krankenkassen abgerechnet. „Vorher war ja alles handschriftlich – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wer kennt heute noch den Krankenschein?“, meint der Kinderarzt.
Überhaupt habe sich einiges verändert: „Wir werden als Ärzte heute kritischer hinterfragt, und das ist auch richtig so“, findet Dietmair. „Was sich aber erheblich ausgeweitet hat, ist die Sozialpädiatrie, also die Anwendung von therapeutischen Maßnahmen wie Ergotherapie oder Logopädie.“Allgemein sei hier von Elternseite seiner Meinung nach ein wenig die Zuversicht in die Kinder verloren gegangen. „Es gilt der Grundsatz: Kinder entwickeln sich, man muss ihnen nur Gelegenheit dazu geben“, sagt der Arzt. „Das Grundvertrauen, dass alles mit der Zeit werden wird, ist vielen abhandengekommen.“
Es käme immer mehr Druck auf die Eltern zu, wenn die Kinder bis zu einem bestimmten Termin beispielsweise nicht laufen könnten. „Manche Kinder brauchen einfach länger, das wird oft von allein“, meint der Kinderarzt. Das Vorsorgeprogramm sei heute so gut, dass es immer wieder Möglichkeiten gäbe, auf Probleme einzuwirken. „Die U-Termine sollte man deshalb auf jeden Fall nutzen.“
Sein persönliches Steckenpferd war dabei immer, die Familien zum Vorlesen und Lesen aufzufordern: „Lesen ist notleidend, dabei ist es für die ganze Entwicklung wichtig.“Als schwierig und ein Problem in der Zukunft stuft Dietmair den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen ein.
Was in den letzten Jahrzehnten wesentlich besser geworden ist, sei die Ultraschalldiagnostik. „Die war 1980 noch in den Kinderschuhen. Die ersten Geräte waren ganz furchtbar in der Darstellung. Gerade die Entwicklung hier ist wichtig für die niedergelassenen Ärzte, die damit sehr gut arbeiten können“, sagt der Arzt. Rückblickend ist Dr. Elmar Dietmair zufrieden mit seinem beruflichen Leben: „Ich habe meine Patienten nach bestem Wissen und Gewissen betreut und immer versucht, meine Medizin zu machen.“Es sei ihm immer wichtig gewesen, seine Meinung vertreten zu können und dazu zu stehen.
Schwer war es am Ende, einen Nachfolger für die Praxis zu fin- den. „Für mich war klar: Auch wenn ich niemanden finde, wäre am Jahresende hier für mich Schluss gewesen“, sagt Dietmair und ist deshalb froh, mit Dr. Johannes Aicher einen guten Nachfolger gefunden zu haben. „Ich bin froh, dass nun ein vernünftiger Mensch kommt, der die Praxis mit viel Engagement weiter betreiben wird und noch dazu ein ,Hiesiger‘ ist – da haben wir es insgesamt nicht schlecht getroffen“, sagt er und lacht.
Aicher sei sehr bewandert, was die medizinische Seite betreffe, und zudem ungeheuer empathisch. „Nur das Formularwesen muss er noch lernen, aber das wird eh immer mehr“, sagt Dietmair, der sich mit dem Ende seines Berufsalltags auch von seinen Helferinnen verabschiedet: „Hier gab es immer eine gute Zusammenarbeit, wir haben auch etwa vierzig Helferinnen selbst in der Praxis ausgebildet.“
Er blickt auf ein ausgefülltes Berufsleben zurück. „Ich kam jeden Morgen hier herein und habe mich auf den Tag gefreut“, erzählt der Kinderarzt, den viele seiner kleinen Patienten und ihre Eltern sehr vermissen werden. Doch jetzt darf er sich zurecht auf viele freie Tage mit seiner Familie freuen.
Vor der Eröffnung wurde ihm von der Praxis abgeraten Ärzte werden heute kritischer hinterfragt