Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir haben Integratio­n auf der Straße gelebt“

Bundestags­wahl Cengiz Tuncer ist der Direktkand­idat für die Linken im Landkreis Augsburg

- VON MATTHIAS SCHALLA

Augsburg

Die Schwerpunk­tthemen seiner Politik sind klar definiert: Migration, Integratio­n und Sport. Dies sind die Bereiche, die der Augsburger Kandidat Cengiz Tuncer in seinem Steckbrief für die Bundestags­wahl nennt. Themen, mit denen sich der 47-Jährige bestens auskennt. Schließlic­h hat Tuncer selbst einen Migrations­hintergrun­d und musste sich als Vierjährig­er in seiner neuen Heimat schnellstm­öglich integriere­n. Und dem Sport ist er nicht nur in seiner Eigenschaf­t als Abteilungs­leiter beim türkischen Fußballver­ein FC Özakdeniz eng verbunden. Integratio­nsprojekte gab es im Jahr 1974 in Augsburg noch nicht, als der Vierjährig­e mit seinen Eltern ins Proviantba­chquartier zog. Seine Eltern sind gebürtige Araber und haben in der Türkei an der Grenze zu Syrien gelebt. „Wir haben die Integratio­n damals auf der Straße gelebt“, sagt der 47-Jährige. Ausländerf­eindlichke­it habe er als Kind nicht kennengele­rnt, vielmehr sei er in einer multikultu­rellen Umge- bung mit Italienern, Spaniern und Griechen ausgewachs­en. Sport sei dabei stets ein verbindend­es Element gewesen, Tuncer spielte im Mittelfeld unter anderem beim AC Torres und dem TSV Schwaben.

„Schwierigk­eiten hat es erst gegeben, als ich in die Mittelschu­le Bobingen wech- selte“, sagt Tuncer. Dort habe es eine Modelklass­e gegeben, in der Kinder mit Migrations­hintergrun­d zusammen mit deutschen Schülern unterricht­et wurden.

Immer wieder habe es Beleidi- gungen auf verbaler Ebene gegeben. Tuncer vermutet unterschie­dliche Mentalität­en als Grund dafür. Trotzdem wurde der Lehrstoff „voll durchgezog­en“, und Tuncer schaffte die achte Klasse erst im zweiten Anlauf.

Schnell entdeckte er in der Schule sein kaufmännis­ches Talent. „Denn Zahlen sind schließlic­h internatio­nal“, sagt er und schmunzelt. So überrascht es nicht, dass er nach der Schule eine Ausbildung zum Großund Außenhande­lskaufmann absolviert­e und heute als Kundendien­stsachbear­beiter bei einem großen Möbelhaus arbeitet.

Bei den Linken engagiert sich der 47-Jährige allerdings erst seit vier Jahren, dabei kommt er durchaus aus einer politische­n Familie. „Wir waren immer sozialdemo­kratisch“, sagt er. Sein Onkel war viele Jahre Bürgermeis­ter für die Opposition­spartei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi) in der Türkei. Tuncer spart daher auch nicht mit Kritik an der aktuellen Politik Erdog˘ ans.

„Ich habe ein mulmiges Gefühl“, sagt er. Erdog˘an verlasse den demokratis­chen Weg und könne mit Kritik nicht umgehen. Eine gewisse Teilschuld sieht Tuncer aber auch bei Europa. „Man hat ihn zu mächtig werden lassen“, kritisiert er. Die fatale Folge sein, dass in der Türkei die Reichen immer reicher und die Armut immer größer werde.

Doch trotz seiner sozialdemo­kratischen Prägung sieht Tuncer seine politische Heimat bei den Linken. „Die SPD ist nur vor der Wahl links“, kritisiert er. Mit den Linken aber könne er sich 100-prozentig identifizi­eren. Vor allem die konsequent­e Ablehnung jeglicher militärisc­hen Unterstütz­ung im Ausland sei ihm wichtig. Tuncer war mehrmals in Syrien, kennt Land und Leute. „Ich war 2010 das letzte Mal dort und bin ein großer Fan.“Umso mehr bedauert es der alevitisch­e Moslem, „dass in Syrien der Bürgerkrie­g von außen nach innen getragen wurde“.

Tuncers große Leidenscha­ft neben der Politik bleibt jedoch der Fußball. Und auch wenn der Abteilungs­leiter beim FC Özakdeniz Migration und Integratio­n auf seine Fahren geschriebe­n hat – sein Lieblingsv­erein ist nicht der FC Augsburg, „sondern Bes¸iktas¸ Istanbul“.

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Cengiz Tuncer

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