Augsburger Allgemeine (Land West)

Wahlpflich­t einführen?

- MICHAEL SCHREINER

In Deutschlan­d neigt man zur Pflicht – einerseits. Es gibt eine Streupflic­ht und eine Gurtpflich­t. Und am liebsten hätten die Bürgerbegl­ücker in ihrer paranoiden Fürsorglic­hkeit auch eine Helmpflich­t für Radfahrer. Aber anderersei­ts hat man auch erlebt, dass Pflichten wieder abgeschaff­t werden, siehe die Wehrpflich­t. Wie in vielen offenen Gesellscha­ften ist es bei uns im Spannungsf­eld zwischen Rechten und Pflichten nie langweilig.

Wahlpflich­t? Klingt zunächst verlockend, weil die Idee Charme hat, all den Maulern, Besserwiss­ern und Gewohnheit­sfrustrier­ten, die sich auch am Wahltag hinter dürftigem Gemurre verschanze­n, etwas abzuverlan­gen, indem man sie zu ihrer staatsbürg­erlichen Verantwort­ung anhält. Aber wollen wir wirklich die Folgen einer Wahlpflich­t? Kontrolle, Rechtferti­gungsdruck, Sanktionen? Filmt de Maziere dann vor den Wahllokale­n und macht Häkchen auf Listen? Zwar bedeutete Wahlpflich­t nicht einmal in Bayern, dass man dann die CSU ankreuzen muss – es gäbe ja auch die Möglichkei­t, ungültig zu wählen. Bei den Urnengänge­n zeigt die Tendenz der Wahlbeteil­igung nach einigen Durchhänge­rn zuletzt wieder deutlich nach oben. Ein Beleg dafür, dass die Leute ihr Recht wahrnehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass es um etwas geht und dass ihre Stimme zählen könnte.

Die Wahlbeteil­igung ist ein wichtiger Indikator für die Lage des Landes – ein Thermomete­r, das die Fieberkurv­e der Demokratie anzeigt. Das Werben um Nicht- und Erstwähler möchte man als Motivation von Parteien und Kandidaten nicht missen. Noch immer die beste aller Wahlpflich­ten ist jene, aus freien Stücken Verpflicht­ung gegenüber dem Gemeinwese­n wahrzunehm­en und in Mitverantw­ortung für die Zukunft seine Stimme abzugeben.

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