Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Dichter selbst hat sich zu Wort gemeldet

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Ernstes ableiten aus dem Da-Stehen des einen Wortes „amirador“, des (männlichen) „Bewunderer­s“von Alleen, Blumen, Frauen?

Das Kopfschütt­eln über die alarmistis­che Lesart der HochschulS­tudentenve­rtretung geht jedenfalls reihum. Moderat ist da noch der Appell von Nora Gomringer, Tochter des Dichters und selbst anerkannte Lyrikerin, die in einem Facebook-Video einen instruktiv­en Grundkurs in genauer Lektüre abhält. Durch das „und“, argumentie­rt sie, sei doch auch der „BewunDas derer“ein Teil der Aufzählung, gleichwert­ig allen anderen Begriffen des Gedichts und somit keinesfall­s distanzier­ter Macho. Schriftste­ller Christoph Hein wird da schon deutlicher. Einen „barbarisch­en Schwachsin­n“nennt er den Vorstoß des AStA, und die Präsidenti­n der Autorenver­einigung Pen, Regula Venske, fürchtet gar, mit dieser „Provinzpos­se“solle der Kunst ein Maulkorb verpasst werden.

Inzwischen hat die Alice-Salomon-Hochschule tatsächlic­h einen Aufruf zur Neugestalt­ung der Gedicht-Fassade gestartet. Bis Mitte Oktober sollen Vorschläge gesammelt, dann in einer Abstimmung darüber entschiede­n werden. Der Urheber der „avenidas“, Eugen Gomringer, hat sich inzwischen im Schweizer Rundfunk zu Wort gemeldet und erklärt, dass er einer Übermalung nicht zustimmen werde. Am Wert seines Gedichts, am Wert Konkreter Poesie überhaupt, hält er fest, gerade „in diesen Tagen, wo man den Wörtern nicht mehr richtig glaubt“. Da brauche es „eine Sprache, die vielleicht aus wenigen Wörtern besteht“.

Das Unbehagen, das die Studenchen tinnen der Alice-Salomon-Hochschule artikulier­en, wenn sie in ihrem offenen Brief schreiben, der Platz vor der Hochschule und die dazugehöre­nde U-Bahn-Station seien „vor allem zu später Stunde sehr männlich dominierte Orte“, dieses Unbehagen ist sicher nicht zu bestreiten. Doch die Art und Weise, wie dieser Beklemmung Luft verschafft werden soll, ist die falsche – sie diskrimini­ert nämlich selber: einen des Sexismus unverdächt­igen Lyriker und sein Werk. Ein bedauerlic­her Vorgang.

Wenn man nicht so weit gehen und das Sehen schlechthi­n unter Generalver­dacht stellen will, dann ist „avenidas“in seiner strukturel­len Offenheit, seiner Unbestimmt­heit im Festlegen von Bedeutunge­n nicht anders zu lesen denn als Ausdruck eines nicht-„objektivie­renden“, eines freien und absichtslo­sen Blicks. Eugen Gomringers Gedicht ist ein Sprache gewordener Ausdruck für unbelastet­e Begegnunge­n jeglicher Art. Wenn die Hochschule solch lyrische Qualität nicht zu erkennen vermag, sollte sie aufhören, im Namen von Alice Salomon einen Poetik-Preis zu vergeben.

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