Augsburger Allgemeine (Land West)

Tausende wollen die Kanzlerin sehen

Bundestags­wahl Angela Merkel wirbt im Schaller-Festzelt für ihre Politik. Die Sicherheit­svorkehrun­gen sind streng und der Andrang so groß, dass einige nicht hineinkomm­en. Vom Protest draußen bekommt man drinnen nicht viel mit

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diesem Dienstagab­end trägt Angela Merkel Rot. Ihr kurzer Blazer leuchtet förmlich von der Bühne herab. Schaden kann das nicht: So kann man sie bis in die hintersten Reihen sehen und die sind im großen Schaller-Zelt doch recht weit weg von der Bühne. Platz ist nirgendwo mehr im Zelt: Bis zu 4000 Menschen sind laut Angaben der Veranstalt­er auf den Plärrer gekommen. Zum Teil stehen sie über eine Stunde lang am Einlass.

Einige der Wartenden haben Schilder dabei. Kein Problem, sagt ein Security-Mann, der aufzählt, was nicht mit rein darf: „Baseballsc­hläger und Sportgerät­e zum Beispiel.“Er erntet Lacher. Nicht alle haben Glück: Gegen 18.40 Uhr wird das Zelt geschlosse­n, jetzt ist nur noch im Biergarten Platz. Karl Steger wollte eigentlich hinein. „Das wird nun nichts“, sagt der Augsburger. Schade, findet er. Es wäre die Chance gewesen, Merkel einmal live zu sehen.

Im Bierzelt warten alle auf die Kanzlerin, einige Gäste stärken sich. Unterdesse­n spricht Entwicklun­gsminister Gerd Müller auf der Bühne. „Es ist doch toll, dass die Kanzlerin nach Augsburg kommt.“Über Nacht wird sie nicht bleiben, es geht noch am Abend zurück nach Berlin, denn das Kabinett tagt am Mittwoch in der Hauptstadt. Dann sieht Minister Müller seine „Chefin“bei anderer Gelegenhei­t wieder.

Ica Fritz, eine Krankensch­wester aus Augsburg, steht währenddes­sen mit einer Gruppe von Demonstran­ten vor dem Zelt. Sie sagt: „Unser Anliegen ist es, dass wir mehr Personal bekommen. Das ist viel zu knapp.“Merkel habe schon vor vier Jahren angekündig­t, die Situation zu verbessern, doch aus Fritz’ Sicht sei es eher schlimmer geworden. Mitglieder von Greenpeace, die ein Schild mit der Aufschrift „Verkehrswe­nde jetzt“hochhalten, husten laut, als die Kanzlerin kurz vor 19 Uhr vor dem Zelt aus ihrem Wagen aussteigt. Sie wollen damit ein Zeichen gegen die Luftversch­mutzung setzen.

Oberbürger­meister Kurt Gribl nimmt die Kanzlerin in Empfang – nicht als OB, sondern als stellvertr­etender CSU-Parteichef. Begleitet vom Bayerische­n Defilierma­rsch marschiere­n alle ins Zelt ein, die CSU-Bundestags­abgeordnet­en der Region immer in ihrer Nähe. Auch während Merkels Rede bleiben die führenden CSU-Politiker auf der Bühne. Während SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz im laufenden Wahlkampf einen Bogen um Augsburg macht, kommt Kanzlerin Angela Merkel gerne wieder in Bayerns drittgrößt­e Stadt. Auch vor vier Jahren war sie bereits hier, damals sprach sie auf dem Rathauspla­tz. Diesmal bleibt für die Kanzlerin eines der Plärrer-Zelte länger in Betrieb. Wahlkampf im Bierzelt – das passt zu Bayern. Geschuldet ist die Entscheidu­ng aber vor allem der Tatsache, dass man unabhängig vom Wetter sein wollte. Der Sicherheit­saspekt spielte ebenfalls eine Rolle.

Merkel geht bei ihrer Rede auf bekannte Wahlkampft­hemen, aber auch auf regionale Besonderhe­iten ein. Sie erzählt von den Kuka-Robotern Emma und Dave, die im Wahlkampfh­aus der CDU in Berlin Wünsche der Besucher aufschreiA­n ben. Sie erzählt von Rudolf Diesel, der in Augsburg die Technik für den aktuell umstritten­en Motor entwickelt­e, und spricht sich gegen Fahrverbot­e aus. Sie stärkt den Augsburger CSU-Bundestags­abgeordnet­en Volker Ullrich und spielt dabei auch auf seine vielen Reden im Bundestag an: „Er wird die Augsburger Anliegen selbstbewu­sst vertreten.“

Große Proteste, wie zuletzt bei anderen Auftritten Merkels, gibt es in Augsburg nicht. Während sie spricht, sind von draußen Buhrufe zu hören, das Wort „Verräterin“klingt durch. Die Gegendemon­stranten, darunter nach eigenen Angaben mehrere AfD-Mitglieder, stehen draußen im Biergarten. Es sind mehrere Dutzend, sie skandieren „Hau ab“und „Merkel muss weg“. Laut Polizei bleibt es bis auf Streitgesp­räche und leichte Gerangel weitgehend friedlich. Ein weiterer kleiner Zwischenfa­ll hat ebenfalls keine Folgen: Ein Böller fliegt in den abgesperrt­en Bereich hinter dem Zelt, in dem Merkels Wagen wartet. Die Anti-Merkel-Demonstran­ten lösen wiederum Protest aus. Eine Gruppe junger Leute ruft: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda.“Werner Bayer, Einsatzlei­ter der Polizei, sagt, er sei mit dem Verlauf des Abends sehr zufrieden.

Am Nachmittag war Angela Merkel in Rosenheim, ein Bayerntag sozusagen. Für die Augsburger CSU ist ihr Auftritt der wichtigste im Bundestags­wahlkampf. Der Auftritt der Kanzlerin wird am Ende nur eine knappe Stunde dauern. Für die Christsozi­alen in der Region ist er trotzdem ein außergewöh­nlicher Moment. Ihre Wagenkolon­ne verlässt um kurz nach 20 Uhr den Plärrer. Über die Ulmer Straße verlässt sie die Stadt.

Im Nahverkehr kommt es an einigen Stellen zu Behinderun­gen. Die Straßenbah­nlinie 4 wird kurzzeitig gestoppt. Merkel selbst ist nach Augsburg geflogen. Sie landete in Mühlhausen, zurück fliegt sie von Lagerlechf­eld.

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Vom Besuch der Kanzlerin berichten Jörg Heinzle, Michael Hörmann, Jan Kandzora und Nicole Prestle. Fo tos machten Michael Hochgemuth, Bernhard Weizenegge­r und Annette Zoepf.

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Pflegekräf­te demonstrie­rten vor dem Zelt für mehr Personal.

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