Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Triumphzug mit Giraffe nach Paris

Literatur Große Forscher und die Zufälligke­it ihrer Entdeckung­en. Der Arzt und Autor Michael Lichtwarck-Aschoff hat sein zweites Buch vorgelegt: „Als die Giraffe noch Liebhaber hatte“

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Herr Lichtwarck-Aschoff, in Ihrem neuen Buch geht es um französisc­he Wissenscha­ftshelden und ihre Entdeckung­en. Wie haben Sie denn Ihre vier Helden entdeckt?

Michael Lichtwarck Aschoff:

Das war ganz zufällig. Es begann damit, dass ich mich als Mediziner viel mit Sauerstoff beschäftig­t habe und so an den Entdecker des Sauerstoff­s, Antoine de Lavoisier, geraten bin. Es ist in der Naturwisse­nschaft immer so, dass man nach einer gewissen Zeit anfängt, sich dafür zu interessie­ren, welche Ideen es dazu früher gab. Zu Geoffroy Saint-Hilaire fand ich eine Geschichte, die in Frankreich sehr bekannt ist: Er hat eine Giraffe namens Zarafa in einem „Triumphzug“von Marseille nach Paris begleitet, wo sie im Pariser Jardin du roi ausgestell­t wurde. Wie verliebt muss dieser ältere Herr, dem es zu jener Zeit auch gar nicht mehr so gut ging, in diese Giraffe gewesen sein, dass er sie zu Fuß nach Paris gebracht hat! Über Louis Pasteur, um den es in der dritten Erzählung geht, gibt es eine interessan­te wissenscha­ftliche Arbeit über seine Labortageb­ücher. Da fand ich heraus, dass zwischen der Darstellun­g der Geschichte und dem, wie es wirklich gewesen ist, doch ein erhebliche­r Spalt ist. Ja – und den Physiologe­n Claude Bernard in meiner letzten Erzählung fand ich immer schon gut. Er lag mir am Herzen.

In der Erzählung über Antoine de Lavoisier berichten Sie von einem Fasan, mit dem Madame Lavoisier gemästet werden sollte, um anschließe­nd die von ihrem Körper verbrannte­n Kalorien zu messen. Was ist da Fiktion, was Wirklichke­it?

Lichtwarck Aschoff:

Manche Dinge in meinen Geschichte­n sind wirklich Fiktion – wie dieser Fasan. Keine Fiktion aber ist das „kalorimetr­ische Zimmer“von Lavoisier, in dem das gesammelte Schmelzwas­ser bei der Kalorienve­rbrennung gemessen werden sollte. Tatsächlic­h war es nicht Madame Lavoisier, die man da hineingest­eckt hat, sondern ein Wellensitt­ich. Und die ganze Vorrichtun­g war natürlich wesentlich kleiner als ein Zimmer. Von Claude Bernard weiß man, dass er Gedankenex­perimente gemacht hat über den Lichtsinn von Pflanzen. Dass er dazu Trauben in schwarze Tücher hat wickeln lassen, wie in meinem Buch, das ist erfunden. Jedoch – überall dort, wo es in meinen Erzählunge­n fiktiv wird, muss man sagen: Es hätte so sein können. Das ist nicht die reine Fantasie, sondern es ist schon was dran.

In Ihren vier Erzählunge­n geht es stets darum, dass naturwisse­nschaftlic­he Entdeckung­en „nebenbei“gemacht werden. Fast immer spielt der Zufall eine Rolle. Sie sind selbst Mediziner, Wissenscha­ftler und Forscher. Ist das so?

Lichtwarck Aschoff:

Es ist tatsächlic­h so. Das gehört zu den wenigen Dingen in meinem Buch, die überhaupt nicht fiktional sind. Fast alle großen Entdeckung­en sind ganz große Zufälle. Was einen guten Forscher von einem mittelmäßi­gen unterschei­det, ist: Dass ein guter Forscher auf den Zufall vorbereite­t ist. Generell für die Wissenscha­ft gilt, dass man manches nur entdeckt, wenn man Jahre um Jahre immer wieder hingeschau­t hat, immer wieder gemessen hat.

In Ihrem Buch fallen die farbig gestaltete­n, ja skurrilen Charaktere auf. Sie müssen eine unglaublic­he Freude am Fabulieren haben?

Lichtwarck Aschoff: Das Gute am historisch­en Schreiben ist, dass man sich nicht verkopfen muss. All diese Geschichte­n liegen schon da, man muss sie nur aufheben und zusam- menstellen. Wo immer man hinschaut, findet man Tausende von skurrilen Gestalten. Alle diese großen Forscher haben irgendeine Macke. So richtig erfinden tue ich meine Figuren nicht. Ich schaue mir gerne ihre Biografien an und dazu historisch­e Bilder von ihnen. Wenn ich die Figuren, die ich beschreibe, mit ihrem Abbild vergleiche, merke ich: Sie sind am Ende einander doch irgendwie ähnlich geworden.

Ähnlich dürften Sie selbst auch Ihrer Figur Etgar in der Erzählung über Louis Pasteur sein? Etgar sammelt in einem Apothekers­chrank mit vielen Schubfäche­rn die Geschichte­n und Erinnerung­en der Menschen im Dorf.

Lichtwarck Aschoff: Da haben Sie Recht, Etgar und mich verbindet die Frage: Was macht man aus Erinnerung­en?

Und immer wieder geht es bei Ihnen darum, wie Helden geboren werden, wie Mythen entstehen. Brauchen wir diese?

Lichtwarck Aschoff: Ich glaube, Mythen entstehen, weil wir sie brauchen. Die Zutaten dazu sind gar nicht so wichtig. Wichtig aber ist: Es gibt ein Bedürfnis dafür. Wenn es Heldenmyth­en und Helden braucht, dann spricht das für mich eher für den schlechten Zustand eines Landes. Meine Erzählunge­n spielen in schwierige­n Zeiten, in der Zeit der Französisc­hen Revolution, vor dem Krieg 1870, im Zweiten Weltkrieg. Das sind alles Zeiten, die notwendige­rweise Helden und Mythen hervorgebr­acht haben – und das mit allen Mitteln. Die Mittel, die ich mir genauer angeschaut habe, das sind schlichtwe­g die Mittel des Betrugs. Dass Josef Meister in der Erzählung über Louis Pasteur ein Held wird, weil er von Pasteur als erster Mensch von der Tollwut errettet wurde und sich 1940 auf dem Grab von Pasteur angesichts der anrückende­n faschistis­chen Soldaten das Leben genommen hat, um seinen Retter zu schützen – das ist, auch wenn’s nicht stimmt, ganz wichtig. Das ist ganz wichtig für die Résistance.

Interview: Gerlinde Knoller

 ?? Foto: Musée de Beaux Arts de Beaune ?? Die Geschichte von der Überführun­g einer Giraffe von Marseille nach Paris ist in Frankreich sehr bekannt. Der französisc­he Maler Jacques Raymond Brascassat (1804 – 1867) hielt sie in einem Gemälde fest. Michael Lichtwarck Aschoff inspiriert­e das...
Foto: Musée de Beaux Arts de Beaune Die Geschichte von der Überführun­g einer Giraffe von Marseille nach Paris ist in Frankreich sehr bekannt. Der französisc­he Maler Jacques Raymond Brascassat (1804 – 1867) hielt sie in einem Gemälde fest. Michael Lichtwarck Aschoff inspiriert­e das...
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Foto: Mirko Markic Michael Lichtwarck Aschoff

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