Augsburger Allgemeine (Land West)

Horgauer entscheide­n über die Zukunft ihres Orts

Meinung Warum es beim Bürgerents­cheid am Sonntag um mehr geht als ein paar Wohnhäuser

- VON MANUELA BAUER manu@augsburger allgemeine.de

Am Sonntag gibt es in Horgau zum ersten Mal einen Bürgerents­cheid. Etwa 2100 Menschen sind dazu aufgerufen, über die Zukunft einer 1,7 Hektar großen Fläche an der Greuter Straße abzustimme­n. Das Augsburger Bauunterne­hmen Deurer will dort neun Wohnblöcke (davon zwei als Betreutes Wohnen) und sechs Reihenhäus­er bauen – insgesamt etwa 85 Wohneinhei­ten. Eine Bürgerinit­iative lehnt das ab. Ihr Hauptargum­ent: Die Gebäude seien zu groß und zu hoch. Für die direkten Nachbarn sind das bestimmt wichtige Gründe. Aber bei dem Bürgerents­cheid geht es um mehr. Es geht um die Frage, wie der Ort in Zukunft aussehen wird. Und wer dann dort leben wird.

Deurer will Eigentümer der geplanten Häuser und Wohnungen bleiben und sie vermieten. Ja, auch auf dem Land braucht es Miet- Viele junge Familien und Alleinerzi­ehende können sich kein eigenes Häuschen leisten, Singles oder Pärchen reicht eine Wohnung oft aus. Doch es geht nicht nur um junge Leute: Etliche Ältere können oder wollen sich nicht mehr um ihr großes Haus mit großem Grundstück kümmern. Sie schaffen die Arbeit nicht mehr allein, Familienan­gehörige sind nicht in der Nähe. Diese Senioren würden gern in eine barrierefr­eie Wohnung ziehen, in der sie weiterhin selbststän­dig leben können. All diesen Menschen bleibt oft nur der Umzug in die Stadt, weil es auf dem Land kaum Mietwohnun­gen gibt. In der Stadt allerdings wird die Nachfrage immer größer – und die Mieten werden immer teurer.

Auf dem Land ist dagegen Platz für solche Wohnanlage­n – oft sogar in der Ortsmitte. Denn in vielen stehen alte Höfe leer: Bauern geben ihre Landwirtsc­haft auf oder es findet sich kein Nachfolger, wenn sie sterben. Häufig liegen die Hofstellen jahrelang brach und verfallen. Wer soll da noch einziehen? Dann bleibt nur der Abriss. Auch die Hofstelle, um die es im Bürgerents­cheid geht, stand lange leer. Nun gibt es die Chance, das Areal zu gestalten und zu beleben.

Die Kommunen sind auf Investoren angewiesen. Allein werden sie dem Wohnungsma­ngel nie ausreichen­d begegnen können. Und es ist ja nicht so, dass in Horgau nun eine Hochhaus-Siedlung entstehen würde. Im Bebauungsp­lan-Entwurf sind Gebäude mit Erdgeschos­s, erstem Stock und ausgebaute­m Dach sowie Gebäude mit zwei Obergescho­ssen und flachem Satteldach vorgesehen. Sie würden also nicht viel höher werden als die Häuser drum herum. Auch dass die Hälfte der Wohnungen öffentlich gefördert sein sollen, braucht nicht abzuschrec­ken. Wer sich zum Beiwohnung­en. spiel eine ähnliche Anlage von Deurer auf dem Augsburger ReeseAreal ansieht, der ahnt nicht, dass es sich hier um Sozialwohn­ungen handelt. Die Ausstattun­g der Häuser ist gut, die Anlage ansprechen­d, es gibt einen gemütliche­n grünen Innenhof mit Spielplatz.

Ein solches Wohnquarti­er würde Horgauergr­eut natürlich verändern. Die Frage ist aber, wie lange das die Alteingess­esenen überhaupt verhindern können. Mit seiner Nähe zur Autobahn und zu Augsburg hat Horgau einfach eine attraktive Lage. Das hat sich auch schon am Neubaugebi­et am Heuwegfeld gezeigt, wo es viermal so viele Interessen­ten wie Bauplätze gab. Sicherlich wäre auch die Nachfrage nach den neuen Wohnungen groß – von Einheimisc­hen und Auswärtige­n.

Deurers Konzept sieht vor, dass in der neuen Wohnanlage ganz unterschie­dliche Menschen zusammen leben sollen: Ein Teil der Wohnungen soll an Menschen mit gerinStraß­en gem Einkommen vermietet werden. Und auch für Menschen mit Behinderun­g wäre die Anlage geeignet, denn sie soll barrierefr­ei sein. Stichwort: Inklusion. Das ist übrigens nicht nur eine nette Idee, es ist ein Menschenre­cht. Die Behinderte­nrechtskon­vention ist zwar in Deutschlan­d 2009 in Kraft getreten; doch dass Menschen mit Behinderun­g wirklich an unserer Gesellscha­ft teilhaben, davon sind wir an vielen Stellen noch weit entfernt. Das inklusive Wohnen in Horgau kann da Vorbild für andere Orte sein und Antworten auf viele weitere Fragen geben, die sich aus demografis­chem Wandel, Urbanisier­ung, Wohnungsma­ngel und Inklusion ergeben. Es kann Grenzen überwinden. Und zwar nicht nur zwischen Menschen mit und ohne Behinderun­g. Auch zwischen Bewohnern verschiede­ner Herkunft, zwischen Einheimisc­hen und Fremden, zwischen Jungen und Alten. Sie alle können dort ein neues Zuhause finden. Wenn die Horgauer es zulassen.

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