Augsburger Allgemeine (Land West)

Stinkende Toiletten, Schimmel, undichte Dächer

Interview Wie marode sind deutsche Schulen? Die Stiftung Bildung hat sich umgesehen und erklärt die Probleme

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Frau von Treuenfels, Sie sind im Vorstand der Stiftung Bildung und stellen mit der Initiative „Einstürzen­de Schulbaute­n“vor der Wahl marode Schulen im Internet vor. Wie schlimm steht es um Deutschlan­ds Schulhäuse­r?

Daniela von Treuenfels: Das ist regional sehr verschiede­n. Es gibt auf der einen Seite die schönen und gut ausgestatt­eten Häuser, anderswo stehen vergammelt­e und verwahrlos­te Gebäude. Die Zeitungen sind voll von diesem Thema, quer durchs Land.

Was sind die Klassiker auf der Liste?

Treuenfels: Stinkende Toiletten, Schimmel, Wände, von denen der Putz rieselt, undichte Dächer. Man muss kein Experte sein, um zu ahnen, dass manche dieser Mängel gesundheit­sschädlich sind, der Schimmel in geschlosse­nen Räumen zum Beispiel. Es ist ein Unding, Kinder in solchen Räumen sitzen zu lassen.

Wie hoch ist der Sanierungs­bedarf an den deutschen Schulen insgesamt?

Treuenfels: Die Förderbank KfW hat ihn im vergangene­n Jahr auf 34 Milliarden Euro geschätzt. Dabei sind die Stadtstaat­en Berlin, Hamburg und Bremen gar nicht eingerechn­et. Ich schätze, dass man noch einmal zehn Milliarden dazurechne­n kann. Es gibt aber riesige Unterschie­de zwischen den Bundesländ­ern. Gerade im struktursc­hwachen Osten ist es vielen Kommunen nicht möglich, ausreichen­d zu investiere­n. Viele westdeutsc­he Städte und Gemeinden sind hoch verschulde­t.

Die bayerische Staatsregi­erung hat Investitio­nen an Schulen 2013 mit 800 Euro pro Schüler gefördert. In Berlin oder Nordrhein-Westfalen waren es nur 100 Euro. Entscheide­t also der Wohnort darüber, ob ein Kind eine den Standards entspreche­nde Bildung in modernen Gebäuden genießt?

Treuenfels: Ja, die Schüler in struktursc­hwachen Gegenden haben im schlimmste­n Fall schlechter­e Bildungsch­ancen. Sie lernen in hässlicher­en Gebäuden, oft gibt es kein Breitband-Internet, die technische Ausstattun­g ist schlecht. Auch in Bayern ist nicht alles gut. Wir haben Bilder aus einem Gymnasium im reichen Landkreis Starnberg, wo der Balkon gestützt werden muss und Fenster aus den Rahmen fallen.

Ist in maroden Räumen zeitgemäße­s Lernen möglich?

Treuenfels: Guten Unterricht gibt es in den schäbigste­n Hütten. Wichtig ist aber vor allem, dass nicht nur in frische Farbe und neue Toiletten investiert wird. Pädagogik verändert sich und auch die Räume müssen sich verändern. Lehrer und Schüler wissen ziemlich genau, wie ihre Räume aussehen müssten, damit Lernen funktionie­ren kann – aber sie werden nicht gefragt. Wenn man sie beteiligt, können kluge individuel­le Lösungen entstehen.

Wie müssten Klassenzim­mer aussehen?

Treuenfels: Es könnte sich eine Experiment­ierstation darin befinden, ein Gruppenarb­eitstisch, Computerar­beitsplätz­e, ein Platz für den klassische­n Frontalunt­erricht. Wenn man einen Raum kreativ gestaltet, ist all das möglich. Im Idealfall kann sich darin auch ein Rollstuhlf­ahrer ohne Probleme frei bewegen.

Das klingt ziemlich utopisch, wo doch schon die grundlegen­den Mängel offenbar nicht beseitigt werden.

Treuenfels: Gute Beispiele gibt es bereits, auch in Deutschlan­d. Natürlich sind die Möglichkei­ten in den klassische­n Flurschule­n beschränkt, manche stehen unter Denkmalsch­utz. Aber ich denke, oft wäre durchaus mehr möglich als das, was letzten Endes passiert.

Obwohl für Schulbaute­n Landkreise und Kommunen zuständig sind, stellt der Bund jetzt 3,5 Milliarden für Sanierunge­n bereit. Wie viel bringt das?

Treuenfels: Ich finde sehr gut, dass endlich Geld in die Hand genommen wird, um Schäden zu beseitigen. Die Verteilung der Gelder aber ist nicht optimal. Für die Stiftung Bildung ist es wichtig, dass das Geld nicht nach dem Gießkannen­prinzip verteilt wird, sondern die Schulen in Angriff genommen werden, die am dringendst­en saniert werden müssen. Es gibt über 33 000 allgemeinb­ildende Schulen in Deutschlan­d. Wie sollte man da eine Reihenfolg­e festlegen?

Treuenfels: Die Stiftung Bildung schlägt vor, die ärmsten 2000 Kommunen in den Blick zu nehmen. Wir würden die Zahl der Sozialhilf­eempfänger und Arbeitslos­en als Kriterien festlegen. Denn gerade dort ist es am wichtigste­n, dass die Kinder in Schulen lernen, die den modernen pädagogisc­hen Ansprüchen genügen.

Was muss künftig also passieren?

Treuenfels: Bildung muss als nationale Aufgabe verstanden werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen weitaus mehr als dreieinhal­b Milliarden Euro investiere­n. Aber selbst wenn die baulichen Schäden beseitigt sind, haben wir noch keinen Breitbanda­usbau, keine digitalen Lösungen. Auch der Ausbau der Ganztagsbe­treuung und Inklusion bringt bauliche Herausford­erungen. Das sind weitere Milliarden­investitio­nen. Wir als Gesellscha­ft müssen deutlich machen, dass wir das wollen. Interview: Sarah Ritschel O

Zur Person Daniela von Treuenfels, 52, ist Vorstandsm­itglied und Spreche rin der Stiftung Bildung in Berlin. Deren Ziel ist es, die Bildungsbe­dingungen in Deutschlan­d zu verbessern. Die Stiftung arbeitet unter anderem mit dem Bundesbild­ungsminist­erium zusammen.

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Foto: Stiftung Bildung Gammelige und veraltete Sanitäranl­agen sind eins der Hauptprobl­eme an deutschen Schulen.

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