Augsburger Allgemeine (Land West)
Fünf Laien und ein Millionenprojekt
Silberdistel im September Das „Fichtenhaus“in Anhofen gibt Autisten eine Heimat. Um die einzigartige Einrichtung zu erhalten, hat sich der Trägerverein mächtig ins Zeug gelegt
Anhofen
Manch einer mag Wilfried Mütterlein, Josef Nieberle, Claudia und Edgar Schmidt und Alois Rindle belächelt haben, als sie vor vier Jahren ihre Pläne vorstellten. Da wollte der kleine Trägerverein einer ebenso kleinen Behinderteneinrichtung im Unterallgäu doch tatsächlich ein neues Heim bauen, weil das alte nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entspricht: die Zimmer zu klein, Flur und Treppe zu schmal, alles in allem nicht behindertengerecht. Die Heimaufsicht hatte deshalb schon 2010 signalisiert, dass das Haus in Anhofen 2016 schließen muss.
Doch das kam für den Trägerverein nicht infrage. Zum einen wären für die sieben mehrfach behinderten Autisten, die hier zusammenleben, kaum andere Heimplätze zu finden gewesen. Nicht umsonst gilt das „Fichtenhaus“, benannt nach der Fichte, die davorsteht, als schwabenweit einzigartig. Und zum anderen ist es für die Bewohner nicht nur Heim, sondern Heimat. Deshalb also wollten die Köpfe des Trägervereins ein neues „Fichtenhaus“bauen und in ihrer Freizeit ein Millionenprojekt stemmen. Zu fünft, ohne nennenswerte Erfahrung im Heimbau – einfach, weil ihnen die Behinderten, die sonst keine Lobby haben, am Herzen liegen. Und genau das ist ihnen auch gelungen. Dafür werden sie jetzt mit der Silberdistel unserer Zeitung geehrt. „Unser geheimes Wappentier ist die Hummel“, sagt Wilfried Mütterlein, der Vorsitzende des Trägervereins, und grinst. „Die fliegt auch einfach, weil sie nicht weiß, dass sie eigentlich gar nicht fliegen kann.“
Er und seine Mitstreiter stehen damit in bester Tradition der 86-jährigen Fichtenhaus-Gründerin Ursula Deye, die inzwischen in Oldenburg lebt. Als die Leiterin einer größeren Behinderteneinrichtung 1991 in den Ruhestand ging, nahm sie ihre vier schwierigsten Schützlinge kurzerhand mit. Viele bezweifelten damals, dass die ungewöhnliche Wohngemeinschaft Bestand haben könnte. Wie wollte eine Frau allein mit den teils sehr aggressiven Autisten zurechtkommen? Doch in dem geschützten, familiären Rahmen, den Deye ihnen bot, entwickelten sich die Bewohner laut Josef Nieberle sehr positiv: „Heute gibt es kaum noch Übergriffe und man fragt sich bei manchem: Warum soll der so schlimm sein?“
Wilfried Mütterlein, wie Nieberle Mediziner und als Psychiater vom Fach, hat die alten psychiatrischen Berichte über die Bewohner gelesen und die, die Ursula Deye geschrieben hat. „Das schienen ganz verschiedene Menschen zu sein“, sagt Mütterlein. „Weil Ursula Deye den ganzen Menschen gesehen hat und nicht nur die Defizite.“Jedenfalls, so Nieberle, sei es für die Bewohner ein großer Gewinn, im „Fichtenhaus“leben zu können. Und Claudia Schmidt ergänzt: „So was wie hier gibt’s sonst einfach nicht. Das wollten wir erhalten.“
Also schmiedeten sie Pläne und begannen zu rechnen: Wie viel könnte der Verein mit seinen rund 55 zahlenden Mitgliedern selbst finanzieren, von wem könnte es Förderungen geben und von wem Spenden? Die Regierung und der Bezirk Schwaben sicherten zwar zu, 70 Prozent der förderfähigen Kosten zu übernehmen, weil sie die „Nischenarbeit“, die das Fichtenhaus leiste, schätzen. In trockenen Tüchern war das Vorhaben damit aber noch lange nicht. „Das war schon ein Abenteuer“, sagt Edgar Schmidt, der als Bankkaufmann für den Finanzierungsplan zuständig war. Die ursprünglich kalkulierten Kosten von einer Million Euro haben sich im Laufe der Jahre verdreifacht, unter anderem, weil der Verein ein bereits bestehendes Gebäude auf dem Grundstück nicht wie geplant nutzen konnte.