Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Wettstreit der Wahlforsch­er

Hintergrun­d Immer mehr Institute legen in immer kürzeren Abständen ihre Umfragen vor. Doch trotz eines immensen technische­n Aufwandes sind sie vor Blamagen nicht gefeit. Betrachtun­g einer ganz speziellen Branche

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg

Umfragen sagen nicht das Wahlergebn­is voraus. Das betonen Demoskopen gerne – insbesonde­re, wenn ihr Institut am Wahltag danebenlie­gt. Der Satz mag richtig sein. Doch die Öffentlich­keit geht mit den Erhebungen anders um: Das Gros der potenziell­en Wähler, aber auch viele Politiker nehmen die Zahlen eben doch als Prognose für den Wahlausgan­g wahr. Dementspre­chend groß ist die Verunsiche­rung, wenn die Meinungsfo­rscher mal so richtig danebenhau­en.

Und das kommt vor: So wurde die AfD bei Landtagswa­hlen mehrmals unterschät­zt, die britischen Kollegen lagen vor der Brexit-Abstimmung daneben, in den USA sahen fast alle Institute die Demokratin Hillary Clinton vor Donald Trump.

Dass es immer mehr Unternehme­n gibt, die Demoskopie betreiben, ist indessen längst keine Prognose mehr, sondern eine Tatsache. Bei der Erhebung der Daten haben sich zwei verschiede­ne Ansätze herausgebi­ldet. Die meisten der etablierte­n Unternehme­n wie Forsa, Emnid oder Infratest dimap setzen auf die klassische­n Telefonumf­ragen. Neuere Plattforme­n wie YouGov akquiriere­n ihre Daten über Online-Umfragen.

Die Schwierigk­eit – manche sagen gar „die Kunst“– an der Sache ist es nun, die erfassten Rohdaten so zu gewichten, dass die Stimmungsl­age im Lande möglichst genau wiedergege­ben wird. Wie das im Einzelnen geschieht, ist in den meisten Instituten ähnlich geheim wie das Rezept für Coca-Cola. Das bringt den Demoskopen regelmäßig den Vorwurf ein, intranspar­ent zu agieren oder gar mit Umfragen Politik zu machen. Als sicher kann gelten, dass das Gewichten – wenn es sorgfältig geschieht – ein hochkomple­xes Metier ist. Der Politikwis­senschaftl­er Jürgen Falter hat die Unwägbarke­iten, mit denen die Branche konfrontie­rt ist, im Gespräch mit unserer Zeitung folgenderm­aßen zusammenge­fasst: „Die Prognosen sind derart komplex, dass es eher verwunderl­ich ist, dass die Umfragen oft so genau sind. Sie dürfen nicht vergessen, dass manche Bürger, die befragt werden, gar nicht zur Wahl gehen. Andere sagen schlicht nicht die Wahrheit. Viele wollen nicht zugeben, dass sie die AfD wählen. Der Bekennermu­t ist da sehr unterschie­dlich ausgeprägt. Zudem wird die Wahlentsch­eidung immer später getroffen, manchmal erst in der Wahlkabine.“

Trotz dieser schwer zu berechnend­en Faktoren sehen die Experten die Chancen der SPD und ihres Spitzenkan­didaten Martin Schulz, mit einer Schluss-Rallye noch ent- scheidende­n Boden auf die Union gutzumache­n, nahe null. „Es wäre die erste Wahl in der Geschichte der Menschheit, in der alle unentschie­denen Wähler mit wehenden Fahnen zu einer Partei laufen würden“, sagte der Geschäftsf­ührer von Infratest dimap, Nico Siegel, der Deutschen Welle.

In den letzten Wochen vor der Wahl nimmt die Öffentlich­keit fast nur noch die gute alte Sonntagsfr­age zur Kenntnis. Doch das Geschäftsf­eld der Meinungsfo­rscher geht natürlich weit über die Frage „Was wäre, wenn am Sonntag tatsächlic­h Bundestags­wahl wäre …“hinaus.

Parteien geben mitunter selbst Umfragen in Auftrag. Allerdings ist das teuer. Immer häufiger lassen sie sich stattdesse­n von renommiert­en Demoskopen politisch beraten. Das geschieht in der Regel hinter den Kulissen. In der Union gilt als offenes Geheimnis, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Expertise des Wahlforsch­ers Matthias Jung von der Forschungs­gruppe Wahlen vertraut. Jung, selber bekennende­r CDU-Sympathisa­nt, rät der Union schon seit langem dazu, um die Mitte zu werben. Sein Argument: Die Zahl der konservati­ven Stammwähle­r schwindet. Merkel hat diese Strategie offensicht­lich längst verinnerli­cht. In der CSU stoßen die Thesen Jungs allerdings auf wenig Begeisteru­ng.

Gar nicht zimperlich geht der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, mit der SPD um. Obgleich er seit den 60er Jahren das rote Parteibuch hat, liest er den Sozialdemo­kraten regelmäßig die Leviten. Das ist auch bei dieser Bundestags­wahl nicht anders. Güllner warf der SPD in unserer Zeitung vor, mit dem Gerechtigk­eitswahlka­mpf „völlig auf dem Holzweg“zu sein. Seit 1949 habe die Partei „nie einen Wahlkampf gewonnen, wenn sie dieses Thema in den Mittelpunk­t gestellt und voll auf Umverteilu­ng gesetzt hat“. Er und seine Kollegen sind sich einig, dass diese Serie auch 2017 Bestand haben wird.

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Am Ende zählt nur das Kreuzchen in der Kabine oder im Briefwahl Umschlag: Die Bundestags­wahl ist auch ein Wettstreit unter den Wahlforsch­ern, wer am Ende mit seinen Umfragen dem Endergebni­s am nächsten kommt.
Foto: Christian Charisius, dpa Am Ende zählt nur das Kreuzchen in der Kabine oder im Briefwahl Umschlag: Die Bundestags­wahl ist auch ein Wettstreit unter den Wahlforsch­ern, wer am Ende mit seinen Umfragen dem Endergebni­s am nächsten kommt.

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