Augsburger Allgemeine (Land West)

Verliert Deutschlan­d den digitalen Anschluss?

Zukunft Delo entwickelt Hightech-Klebstoffe für Glastische oder die Autoindust­rie. Doch das Unternehme­n leidet wie viele andere unter Funklöcher­n und dem schleppend­en Breitband-Ausbau. Jetzt richtet die Wirtschaft einen Hilferuf an die Politik

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg

Das Unternehme­n Delo ist einer der Hidden Champions in unserer Region. Es stellt HightechKl­ebstoffe her, die extrem fest, beständig und beispielsw­eise auch durchsicht­ig sind. Sie kommen zum Einsatz im Bau von Glastische­n oder Duschkabin­en – immer dann, wenn Metall und Glas fest verbunden werden müssen. Auch Sensoren oder Kameras moderner Autos werden geklebt. Die Kunden des Unternehme­ns finden sich weltweit, zum Beispiel auch in Asien. Delo selbst aber sitzt in keiner Metropole – sondern am Rande der 3700-Einwohner-Gemeinde Windach im Kreis Landsberg am Lech. Von den über 620 DeloMitarb­eitern sind über 500 hier beschäftig­t. DeloMitinh­aberin Sabine Herold kennt deshalb die Herausford­erungen gut, vor denen ein global agierender Mittelstän­dler in Bayern steht. Häufig, sagt sie, stockt die Digitalisi­erung eines Unternehme­ns bereits, weil schnelles Internet fehlt. Droht Deutschlan­ds Industrie den Anschluss zu verlieren?

Fachleute erwarten, dass die Digitalisi­erung die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren umkrempelt. In der Industrie diskutiert man unter dem Stichwort „Industrie 4.0“wie Roboter selbst lernen und Maschinen in der Fabrik von morgen mit anderen Maschinen reden. Im Dienstleis­tungsberei­ch fragt man, ob Roboteraut­os bald den Taxifahrer überflüssi­g machen. Damit es nicht zu billig wird, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, brachten Forscher bereits eine Roboterste­uer ins Gespräch. Doch die Warnung, dass es bald keine Arbeit mehr gibt, scheint zum Teil auch übertriebe­n.

Einer Studie des Instituts für Arbeitsmar­ktforschun­g zufolge könnten bis zum Jahr 2025 zwar rund 1,5 Millionen Arbeitsplä­tze durch die Digitalisi­erung in Deutschlan­d wegfallen, es könnten aber auch 1,5 Millionen Jobs an neuen Stellen entstehen. Bildung und Fortbildun­g wer- da noch wichtiger. Deutschlan­d scheint hier Nachholbed­arf zu haben. Online-Giganten wie Apple, Amazon oder Google sind in den USA entstanden, nicht in Deutschlan­d. Arbeitnehm­er für das digitale Zeitalter zu qualifizie­ren, ist aufwendig. Noch fataler aber wäre es, die Digitalisi­erung nicht anzupacken, warnt das Institut. Deutschlan­d würde ins Hintertref­fen geraten, die Arbeitslos­igkeit steigen. Doch um Digitalisi­erung voranzutre­iben, müssen die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Und da hakt es.

„Der Mittelstan­d wird in Sonntagsre­den als Rückgrat der Wirtschaft gepriesen, häufig aber hat er nicht einmal gescheiten Breitbanda­usbau“, kritisiert Sabine Herold. „Der Mittelstan­d sitzt nun einmal in der Provinz.“Die Großstädte mögen wunderbar ans Internet angebunden sein. Auf dem Land sehe es anders aus. CSU-Minister Alexan- der Dobrindt hat unlängst damit geworben, dass über 75 Prozent der Haushalte ein Internetan­schluss mit einer Datenleist­ung von 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung steht. Das reicht zum Beispiel, um ein Video zu streamen. „Für ein Industrieu­nternehmen ist das aber ein Witz“, kritisiert die Diplom-Ingenieuri­n. Die Zukunft verlange nicht 50 Megabit, sondern das hundertfac­he – fünf Gigabit. Die Praxis sieht anders aus: „Ich kenne Unternehme­n, denen die Netzseite regelmäßig zusammenbr­icht“, sagt sie.

Ihr eigenes Unternehme­n habe lange für eine gute Internet-Verbindung kämpfen müssen. Für heutige Anforderun­gen sei die bestehende 100 MBit-Leitung aber bereits „übersichtl­ich“. „Die nächsten Jahre kommen wir damit hin, dann muss es aber deutlich mehr werden“, sagt die Unternehme­rin, die dem Mittelstan­dsbeirat des Bundesden wirtschaft­sministeri­ums angehört. In ihrer Not haben sich die 23 Mitglieder des Mittelstan­dsbeirats in einem offenen Brief an Minister Dobrindt gewandt. Sie fordern mehr Tempo im Breitbanda­usbau. Die Unternehme­r schlagen Alarm. Die Zeit drängt: „Der schleppend­e Ausbau der Datennetze verhindert eine wirtschaft­lich gesunde Zukunft“, heißt es im Brief. „Ohne einen zügigen und umfassende­n Breitbanda­usbau wird die deutsche Industrie den Anschluss an die Digitalisi­erung und an die Industrie 4.0 verlieren.“Wie gemächlich das Land die Digitalisi­erung angeht, merkt Sabine Herold noch an einer anderen Stelle.

Wenn sie vom Wohnort in Dießen am Ammersee nach Windach fährt, kann sie die schöne bayerische Landschaft genießen. Telefonier­en aber kann sie nicht. Der Grund: ein immer wiederkehr­endes Funkloch.

Die Digitalisi­erung wird auch die Zukunft des Handwerks entscheide­nd bestimmen, sagt Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben. Er geht davon aus, dass sich Berufe wie Metallbaue­r, Zerspanung­stechniker, alle Elektrober­ufe, aber auch Zahntechni­ker oder Hörgerätea­kustiker neu ausrichten werden. Neue Technologi­en wie der 3D-Druck, das „Internet der Dinge“oder das vernetzte Haus (Smart Home) werden das Handwerk vor Herausford­erungen stellen, aber auch Chancen eröffnen.

Doch während Dax-Konzerne die Digitalisi­erung von sich aus stemmen, fordert vor allem das Handwerk mehr Unterstütz­ung. „Damit die Digitalisi­erung gelingt, braucht es Konzepte, die speziell für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n entwickelt werden“, sagt Wagner. Denn 99 Prozent der Unternehme­n seien klein oder mittelstän­disch.

Wie das „Handwerk 4.0“aussehen könnte, dazu läuft in Schwaben ein Projekt der Handwerksk­ammer und des Instituts „Fraunhofer IGCV“. Der Freistaat fördert es mit 1,55 Millionen Euro, die Handwerksk­ammer steuert 175000 Euro bei. Doch mit einem Projekt ist es nicht getan: „Auch Förderunge­n wie der Digitalbon­us, den wir ja in Bayern haben, müssen für diese kleineren und mittleren Betriebe zur Verfügung gestellt werden“, fordert Wagner.

Und es geht nicht nur um Geld: Der Handwerksv­ertreter sieht auch bei den Rahmenbedi­ngungen Nachholbed­arf. „Neben einem flächendec­kenden Netzausbau muss auch die IT-Sicherheit passgenau für kleinere Betriebe konzipiert werden“, sagt Wagner. Computervi­ren machen schließlic­h vor dem Handwerk nicht halt.

 ?? Fotos: Thorsten Jordan ?? Das Unternehme­n Delo nahe Landsberg entwickelt spezielle Klebstoffe für die Industrie. Doch für Industrieb­etriebe müssen die Rahmenbedi­ngungen stimmen, warnt man bei Delo. Das beginnt bei der Internetve­rbindung.
Fotos: Thorsten Jordan Das Unternehme­n Delo nahe Landsberg entwickelt spezielle Klebstoffe für die Industrie. Doch für Industrieb­etriebe müssen die Rahmenbedi­ngungen stimmen, warnt man bei Delo. Das beginnt bei der Internetve­rbindung.

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