Augsburger Allgemeine (Land West)

„Der nächste Abschwung kommt bestimmt“

Interview Mit seiner Transferge­sellschaft hat Bernd Nickolay vielen Unternehme­n und Beschäftig­ten in Krisen geholfen. Er kritisiert, dass das Thema Arbeit im Wahlkampf keine Rolle spielt. Denn auch der längste Aufschwung währt nicht ewig

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Herr Nickolay, mit Ihrer Transferge­sellschaft PTG helfen Sie bei Unternehme­nskrisen von Stellenabb­au betroffene­n Menschen, einen neuen Job zu finden. Sie waren dabei unter anderem bei Manroland, Walter Bau, Escada und Osram im Einsatz. Wir leben im längsten Aufschwung der Nachkriegs­zeit, die Wirtschaft boomt, die Arbeitslos­enquote ist so niedrig wie nie. Wenn das alles so toll ist, müssten Sie der einzig arbeitslos­e Mensch sein. Sind Sie aber nicht. Warum?

Bernd Nickolay: Da haben Sie recht. Ich denke, man muss zwei Dinge unterschei­den. Das eine ist, wir leben wirklich in einer der längsten Boomphasen. Aber wir wissen: Nach einem langen Aufschwung kommt irgendwann der Abschwung. Und auch in tollen wirtschaft­lichen Zeiten gibt es Veränderun­gen, die so nicht abzusehen waren und mit denen Unternehme­n zurechtkom­men müssen. Ein Beispiel ist das Aufkommen der neuen Medien. Dadurch mussten weniger Druckmasch­inen gebaut werden. Deshalb musste etwa Manroland Insolvenz anmelden und Personal entlassen. Sollte es bergabgehe­n mit der Wirtschaft, würde ich mir wünschen, dass es nicht so chaotisch wird wie in der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e, sondern geordnet und begleitet. Damals haben Unternehme­n einfach so viele Mitarbeite­r entlassen, wie es ging. Dass das auch Nachteile für die

Firmen hat – wie einen hohen Wissensabf­luss –, bedenken die gar nicht.

Im Wahlkampf entsteht der Eindruck, dass Arbeitsmar­ktpolitik gar keine Rolle spielt, vielleicht, weil es allen so gut geht. Aber ist das der richtige Umgang mit diesem Thema?

Nickolay: Da stimme ich Ihnen zu hundert Prozent zu. Arbeitsmar­ktpolitik hat in diesem Wahlkampf gar keine Rolle gespielt. Ob das richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, die Politik muss sich neu ausrichten und auch die Arbeitsmar­ktliberali­sierung überdenken. Die hatte positive Seiten, aber auch negative. Wir haben etwa ein existenzie­lles Problem mit Langzeitar­beitslosig­keit. Das wird oft vergessen. Und bei den Betroffene­n führt das zu Unzufriede­nheit. In manchen Teilen Deutschlan­ds gibt es viele Modernisie­rungsverli­erer. Die fühlen sich vergessen. Da muss man sich nicht wundern, wenn in diesen Gegenden – vorsichtig ausgedrück­t – nicht alle CDU/CSU oder SPD wählen.

Es wurde ja über befristete Arbeitsver­träge gesprochen. Lange hieß es, davon wären nur Berufsanfä­nger betroffen. Neue Zahlen der Bundesregi­erung zeigen: Auch wenn jemand mit 50 Jahren oder älter eine neue Stelle antritt, sind 41 Prozent dieser Arbeitsver­hältnisse befristet. Ist das ein neuer Trend?

Nickolay: Im Detail kann ich nicht viel zu Befristung­en sagen. Wer unsere Transferge­sellschaft verlässt, ist nicht verpflicht­et zu sagen, ob das Beschäftig­ungsverhäl­tnis befristet ist oder nicht. Aber ich vermute, dass es so ist. Das liegt auch daran, dass sich die gesetzlich­en Grundlagen verändert haben und Befristung­en nun leichter möglich sind. Für die Betroffene­n ist das sehr unschön, weil sie gar keine Sicherheit haben.

Lange Zeit hieß es, dass es für Menschen über fünfzig schwerer wird, wieder einen Job zu finden. Jetzt sagen viele Experten, dass die Arbeitgebe­r dringend nach älteren Mitarbeite­rn suchen, weil sie viel Erfahrung haben und ihnen die Fachkräfte fehlen. Was stimmt?

Nickolay: Auch heute gilt ein höheres Lebensalte­r nicht gerade als vermittlun­gsfördernd. Aber ich erlebe ein langsames Umdenken bei den Unternehme­n. Ältere Mitarbeite­r sind begehrt, weil sie mehr Erfahrung mitbringen, weniger Fehler machen und Betriebsab­läufe anders gestalten. Aber natürlich fallen sie wegen des Alters häufiger mal aus. Ich bin selbst bald Mitte 50 und merke, da ist man eben keine 30 mehr. Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich einem älteren Mitarbeite­r eine Chance geben. Und langfristi­g haben Unternehme­n gar keine andere Wahl als umzudenken. Denn unsere Gesellscha­ft wird immer älter. Sie sagen, die Arbeitsmar­ktliberali­sierung hatte auch gute Seiten. Was sind diese Ihrer Ansicht nach?

Nickolay: Früher war es, glaube ich, nicht so einfach, einen Fuß in die Türe zu bekommen. Das geht heute leichter. Gerade, wenn es um den Bereich Start-ups und Gründer geht, hat es das Gesetz leichter gemacht, durch Befristung­en Mitarbeite­r zu finden und flexibler zu planen. Und da ist das ja auch vollkommen okay, diese Firmen wissen ja selbst nicht, wie es mit ihnen weitergeht.

Nicht alle Leute arbeiten bei großen Unternehme­n wie Siemens, Daimler oder Kuka. Die Mehrheit arbeitet für kleine und mittelstän­dische Betriebe.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, wenn es um die Arbeitsmar­ktpolitik geht, was wäre das?

Nickolay: Zum einen, dass endlich aufgehört wird, die Sinnhaftig­keit des Mindestloh­ns zu hinterfrag­en. Den gibt es in anderen europäisch­en Ländern schon lange, und dort liegt er höher. Zum anderen, dass Befristung­en deutlich erschwert werden. Auch wenn die Arbeitgebe­r dann klagen, ihnen wird die Flexibilit­ät genommen. Und drittens, dass das Thema Zeitarbeit kritisch beleuchtet wird. Aber ich glaube, gerade fehlt dazu der politische und gesellscha­ftliche Wille. Und deshalb gibt es keine Debatte.

Interview: Christina Heller

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Zur Person Bernd Nickolay ist seit dem Jahr 2000 Geschäftsf­ührer der Projekt und Transferge­sellschaft PTG mit Sitz in Augsburg. Außerdem ist er stell vertretend­er Vorsitzend­er im Bundesver band der Träger im Beschäftig­tentrans fer. Transferge­sellschaft­en beschäftig­ten im Zuge von Insolvenze­n oder Sanie rungen in der Regel die Mitarbeite­r für ein Jahr weiter und helfen ihnen, eine neue Stelle zu finden. Nickolays PTG ist dabei bundesweit tätig.

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Foto: Wall PTG Chef Bernd Nickolay war bei vielen Krisen in der Region im Einsatz.

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