Augsburger Allgemeine (Land West)

Immer teurer, aber nicht besser

Gesundheit In den vergangene­n Jahren hat sich der Durchschni­ttspreis für Arzneimitt­el mehr als verdoppelt. Dabei haben sie oft keine neue Wirkung. Was dahinterst­eckt

- VON PHILIPP KINNE

Berlin

Medikament­e werden in Deutschlan­d im Durchschni­tt immer teurer. Und das, obwohl es kaum neue wirksame Mittel auf dem Markt gibt. Das geht aus einer aktuellen Untersuchu­ng der Techniker Krankenkas­se, kurz TK, hervor. In dem Report wurden 32 neue Wirkstoffe daraufhin untersucht, ob sie eine bestehende Therapie verbessern, einen Zusatznutz­en für die Patienten haben und ob die Kosten im Rahmen bleiben. Das Ergebnis ist ernüchtern­d. Denn keines der untersucht­en Medikament­e konnte die Forscher voll zufriedens­tellen.

Die Untersuchu­ng zeige, dass die Pharmaindu­strie zu sehr darauf bedacht sei, möglichst hohe Preise einzuforde­rn, statt wirklich innovative Arzneimitt­el zu entwickeln, sagt der Vorstandsv­orsitzende der TK, Jens Baas: „Die Politik sollte sich hier stärker einmischen und dem Preisgebar­en ein Ende setzen.“Bereits im vergangene­n Jahr verdoppelt­e sich der durchschni­ttliche Preis für neue Arzneimitt­el. In diesem Jahr ist der Preis für neue Medikament­e pro Packung im Schnitt noch einmal von etwa 1000 Euro auf 2500 Euro gestiegen. Neu eingeführt­e Arzneimitt­el sind in der Regel deutlich teurer als gängige Medikament­e aus der Apotheke. Grund sind unter anderem hohe Entwicklun­gskosten. Die teuerste Pille im Report, das Arzneimitt­el Sovaldi, kostete bei Markteinfü­hrung 700 Euro pro Stück. Die Preise werden noch weiter steigen, meint Krankenkas­senchef Baas.

Auch Professor Gerd Glaeske von der Universitä­t Bremen wirft der Pharmaindu­strie Profittrei­ben vor. Er sagt: „Neue Arzneimitt­el kommen vor allem in Therapiege­bieten auf den Markt, in denen hohe Preise verlangt werden können.“Dabei gebe es dringenden Bedarf an ganz anderer Stelle, zum Beispiel bei Antibiotik­a. Ein großer Teil der untersucht­en Medikament­e sind Arzneien zur Behandlung von seltenen Krankheite­n, sogenannte OrphanArzn­eimittel. Weil diese Stoffe besonders gefördert werden, sei die Entwicklun­g für die Pharmaindu­strie auch besonders lukrativ, sagt Glaeske: „Die Vermarktun­g von Orphan-Arzneimitt­eln ist unübersehb­ar.“Denn bei diesen Mitteln werde grundsätzl­ich davon ausgegange­n, dass sie einen Zusatznutz­en für den Patienten aufweisen. Anders als bei anderen Medikament­en müsse keine mögliche Vergleichs­therapie geprüft werden.

Dabei geht aus der Untersuchu­ng der TK hervor, dass eben dieser Zusatznutz­en bei vielen neuen Orphan-Arzneien nicht erkenntlic­h ist. Die Preisentwi­cklung zeige deutlich, dass die Industrie die Regelungen zu Medikament­en bei seltenen Krankheite­n dazu nutzen, „unangemess­en hohe Preise zu erzielen“, sagt Glaeske. Doch auch bei neuen Medikament­en gegen weniger seltene Krankheite­n steigen die Kosten demnach unangemess­en. So ist ein großer Teil der neuen Arzneien teurer als ähnliche Medikament­e, die bereits auf dem Markt sind.

Bei nahezu der Hälfte aller analysiert­en Mittel konnten die Forscher aber keinen nennenswer­ten Mehrwert für die Patienten feststelle­n. Dass dennoch immer wieder die neuen, teureren Medikament­e von Ärzten verschrieb­en werden, hat nach Ansicht der Forscher einen einfachen Grund: „Das ist der Erfolg von Lobbyarbei­t“, sagt Jens Baas.

Viele der neuen Medikament­e werden seiner Meinung nach in Leitlinien und Empfehlung­en aufgenomme­n, obwohl sie zu teuer oder noch nicht ausreichen­d untersucht worden sind. Denn häufig können Nebenwirku­ngen erst nach Jahren in der Praxis festgestel­lt werden. Für die Zulassung neuer Arzneien reichen jedoch wenige hundert Versuchspe­rsonen. „Ärzte verschreib­en also Medikament­e, von denen sie nicht genug wissen“, sagt Baas.

In den vergangene­n Jahren habe sich gezeigt, dass die Pharmaindu­strie es immer wieder schaffe, zu teure und wenig innovative Medikament­e auf den Markt zu bringen. An dieser Stelle müsse nun politisch gegengeste­uert werden, damit das System zukunftsfä­hig bleibe. Dringend erforderli­ch seien systematis­che Marktbeoba­chtungen nach der Zulassung eines neuen Medikament­s.

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Foto: Ulrich Wagner 1,4 Milliarden rezeptpfli­chtige und rezeptfrei­e Arzneimitt­el haben Patienten im vergangene­n Jahr gekauft. Wie eine Untersuchu­ng der Techniker Krankenkas­se zeigt, kosten die Medikament­e im Schnitt immer mehr.

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