Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Sensations­fund in Augsburg

Buchgeschi­chte Mit der Gutenberg-Bibel beginnt das Zeitalter des Drucks. Nun ist in der Staats- und Stadtbibli­othek ein neues Fragment aufgetauch­t. Es war dort schon lange aufbewahrt – in sonderbare­r Verwendung

- VON RICHARD MAYR

Augsburg

Die Gutenberg-Bibel ist eine Ikone, ist ein Symbol für ein neues Zeitalter. Vor ihr war das Mittelalte­r, wurden Bücher noch handgeschr­ieben vervielfäl­tigt. Mit der Gutenberg-Bibel begann der Humanismus, eine Zeit, in der die Wissenswei­tergabe in Europa nicht mehr an die Klöster gekoppelt war. Wissenscha­ftler vermuten, dass Johannes Gutenberg im Frühjahr 1455 etwa 180 bis 190 Exemplare in Mainz druckte, rund 150 auf Papier, zwischen 30 und 40 auf Pergament. Dafür, dass die Auflage so gering war und zugleich der zeitliche Abstand so groß ist, sind relativ viele Exemplare überliefer­t – 49 fast vollständi­g und 14 fragmentar­isch. Nun kommt ein 15. Fragment hinzu, das ist in Wissenscha­ftskreisen eine kleine Sensation.

Gefunden hat dieses 15. Fragment der Diplom-Bibliothek­ar Wolfgang Mayer in der Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg in der denkbar kleinsten Überliefer­ungsform: Genau ein Blatt kam ihm in der Bibliothek plötzlich zu Gesicht. Dass es bislang niemandem aufgefalle­n war, lag an der Zweckentfr­emdung des Pergaments: Die stabile Seite wurde irgendwann als Einband eines anderen Buchs verwendet. „Das war früher so üblich“, erzählt Mayer. Warum auch immer, die einzelnen Seiten dieses Gutenberg-Bibel–Exemplars wurden aus dem Buch herausgelö­st. „Und sehr wahrschein­lich wurden mit den anderen Pergaments­eiten dieses Exemplars weitere Bücher eingebunde­n. Das sparte Geld“, sagt Mayer.

Eingebunde­n wurde mit der Gutenberg-Seite ein Buch aus dem frühen 17. Jahrhunder­t. Wann die Gutenberg-Bibel dafür zerteilt wurde, kann Mayer nicht sagen. Von früheren Bibliothek­aren wurde auf dieser Seite auch eine Bibliothek­ssignatur angebracht. Dass der Einband einmal dem eingebunde­nen Buch die Show stehlen würde, daran dachte damals niemand. Es steht auf dem Blatt 310 der Gutenberg-Bibel ja auch nirgends, woher es stammt und was es mit ihm auf sich hat.

Als Mayer es in den Händen hielt, sah er sofort, dass es sich dabei um die Gutenberg-Schrifttyp­e eines Bibel-Drucks handelte. Sofort war er von dem Fund elektrisie­rt. Nach nur zehn Minuten eingehende­r Begutachtu­ng und Recherche konnte er feststelle­n, dass es sich hier um ein bislang unbekannte­s BibelExemp­lar handeln muss.

Wie sich Mayer in seinem Urteil so sicher sein konnte? Das Blatt 310 stammt aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarun­g des Johannes, die über viele Jahrhunder­te auch dem Evangelist­en Johannes als Verfasser zugeschrie­ben wurde. Im unteren Drittel der linken Spalte des Blatts befindet sich eine Zeichnung – im Initial A (für Apokalypse) ist der Evangelist Johannes dargestell­t. Dazu muss man Folgendes wissen: Gutenberg hat in seinen Bibeln nur den Text der Vulgata, der maßgeblich­en lateinisch­en Bibel-Übersetzun­g, gedruckt und sie so verkauft. Manche Exemplare, vor allem die besseren Pergament-Drucke, sind im Anschluss noch in speziellen Werkstätte­n bemalt worden. „Diese Johannes-Darstellun­g kann einer bekannten Werkstatt zugeordnet werden“, sagt Mayer. Es ist die sogenannte Pfauenwerk­statt, die in Leipzig ihren Sitz hatte. Mayer vermutet, dass deren böhmischer Gründer die Miniatur gemalt hat. Von der Pfauenwerk­statt sind zwei weitere Gutenberg-Bibeln erhalten, die beide fast vollständi­g sind. Ein Exemplar ist im Besitz der Staatsbibl­iothek Berlin, das andere im Besitz der Huntington Library in San Marino (Kalifornie­n). Nun ist mit diesem Blatt ein drittes GutenbergB­ibelexempl­ar aufgetauch­t, das diese Werkstatt ausgestatt­et hat.

In der Staats- und Stadtbibli­othek sind schon die ersten Glückwünsc­he von Wissenscha­ftlern eingegange­n. „Congratula­tions to Augsburg SuStBa on this spectacula­r discovery“– Glückwunsc­h zu dieser spektakulä­ren Entdeckung schreibt Paul S. Needham, Professor an der renommiert­en Princeton-University (USA) und eine Koryphäe der Gutenberg-Forschung.

Die Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg ist nun übrigens mit dem neuen Fund im Besitz von zwei Pergament-Fragmenten der Gutenberg-Bibel. Präsentier­t werden beide in der nächsten Ausstellun­g der Bibliothek unter dem Titel „Gold und Bücher lieb ich sehr…“, die vom 19. Oktober bis zum 15. Dezember zu sehen ist. Die Bibliothek feiert mit der Ausstellun­g ihr 480-jähriges Bestehen. Damit ist sie die älteste fortwähren­d bestehende Kulturinst­itution Augsburgs. Die beiden Bibel-Fragmente sind aber noch ein bisschen älter. Sie entstanden an der Schwelle von Mittelalte­r und Neuzeit, als handbemalt­e Bücher und die neue Drucktechn­ik noch miteinande­r verbunden wurden.

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Foto: Staats und Stadtbibli­othek Das Pergament Blatt der Gutenberg Bibel wurde irgendwann zweckentfr­emdet. Es diente als Einband für ein anderes Buch aus dem frühen 17. Jahrhunder­t.

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