Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn Schule Kinder verändert
Neue Doku von Wenders-Nichte Hella
Frau Wenders, Sie haben für zwei Film-Dokumentationen über fast acht Jahre hinweg vier Kinder während ihrer Schullaufbahn begleitet. Nach der Grundschule gingen die Kinder sehr unterschiedliche Wege. Wie hat der Übergang auf die weiterführenden Schulen funktioniert?
Hella Wenders: Die Trennung nach der 4. Klasse war für alle Kinder schmerzlich. Danach lief es für sie nicht ideal. Die zehnjährige Anita zum Beispiel, die mit ihrer Familie aus dem Kosovo geflüchtet war, kam auf die Förderschule statt auf die Hauptschule, wie sie es sich erhofft hatte. Dadurch hat sie viel Selbstwertgefühl verloren. Bei David, einem Einser-Schüler mit Seh- und Hörproblemen, lehnte das Gymnasium seine Aufnahme ab – ohne Begründung.
Was macht das mit den Kindern?
Wenders: Ich glaube, es bleibt ein Leben lang bei einem Kind hängen, wenn es einfach durchs Raster fällt. Das ist eine schwierige Erfahrung – noch dazu, wenn die Kinder von ihren Freunden getrennt werden, die auf höhere Schulen gehen. Dass die Aufteilung der Kinder auf weiterführende Schulen schon mit zehn Jahren erfolgt, finde ich zu früh. Eine Schülerin zum Beispiel sagt in meinem Film, an einer neuen Schule habe man erst mal andere Sorgen als die Schulfächer. Mit den neuen Mitschülern klarkommen zum Beispiel.
Ihr erster Film spielt an der Münsteraner Schule Berg Fidel, einer sogenannten inklusiven Grundschule, an der Kinder auch jahrgangsübergreifend unterrichtet werden. Sollte dieses Modell Schule machen?
Wenders: Ich würde sagen, mein Film ist tatsächlich ein Plädoyer für eine inklusive Schule, die alle Kinder aufnimmt. Das Ziel sollte auch sein, dass man in der Grundschule möglichst wenig Druck hat. Und das sehe ich im Konzept der Berg-Fidel-Schule verwirklicht.
Haben Sie diesen Eindruck erst gewonnen, nachdem Sie so lange mit Schülern dort zusammen waren?
Wenders: Ich war selbst im staatlichen, dreigliedrigen Schulsystem, habe Schule jetzt zum ersten Mal mit anderen Augen gesehen. Mit dem Film habe ich gelernt, was alles möglich ist und was gut ist.
Was wäre also Ihrer Meinung nach besser als ein dreigliedriges Schulsystem nach der 4. Klasse? Wenders: Die Grundschule Berg Fidel ist inzwischen eine inklusive Modellschule, in der Kinder von der 1. bis zur 10. Klasse zusammen lernen. Das ermöglicht ein Lernen ohne Brüche, die Kinder lernen voneinander. Ich glaube, das ist für viele Kinder eine große Chance. Ich halte diese Schulform für ziemlich ideal. Interview: Sarah Ritschel O Zur Person Hella Wenders, 39, wurde 2011 bekannt mit ihrer Dokumentation „Berg Fidel – eine Schule für alle“. Gestern kam die Fortsetzung „Schule, Schule“ins Kino. Hella Wenders ist die Nichte des Regisseurs Wim Wenders.