Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Siegelhaus stand am Weinmarkt

Wirtschaft­sgeschicht­e Hier wurden Wein und Salz versteuert. Der Bronzeadle­r des Giebels fand Asyl im Maximilian­museum

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg

Die Maximilian­straße zwischen dem Herkulesbr­unnen und den Ulrichskir­chen ist ein breiter Boulevard. So sieht dieser Abschnitt der „Kaisermeil­e“seit gut 200 Jahren aus. Dass dieser Straßenzug einmal „verbaut“war, ist kaum noch vorstellba­r. Doch viele Bilder belegen, dass hier das reichsstäd­tische Siegelhaus und daran anschließe­nd gegen St. Ulrich die Wein- und Salzstadel standen. Im Dezember 2015 wurden die Augsburger an diese Tatsache erinnert. „Tiefes Loch in der Maxstraße“lautete damals eine Titelzeile in der Augsburger Allgemeine­n. Auf einer Fläche von etwa sechs Quadratmet­ern war die Straßendec­ke weggesackt.

Die Erklärung für dieses Loch war für Insider nicht schwierig: Darunter liegt das Restgemäue­r des Siegelhaus­es. 1809 war alles Oberirdisc­he abgetragen, Keller und Grundmauer­n aber im Boden belassen worden. In der Verfüllung entstanden Hohlräume, in die Anfang Dezember 2015 die darüber verlaufend­e Straße einbrach. Historisch­e Abbildunge­n dokumentie­ren die Situation vor 1809: Am Herkulesbr­unnen blickte man südwärts auf ei- nen mächtigen Giebel mit einem großen Bronzeadle­r. Dieser im Jahr 1606 vom Bronzeplas­tiker Hans Reichle gestaltete, fast zwei Meter hohe Adler ist das einzige Relikt von diesem Gebäude. Der seine Flügel öffnende Adler ist im Viermetzho­f des Maximilian­museums aus nächster Nähe zu betrachten. Das Siegelhaus sowie die daran anschließe­nden Wein- und Salzstadel bildeten eine lange Bautenzeil­e zwischen der Heilig-Grab-Gasse und dem Ulrichspla­tz. An einer Seite davon verlief die Hallgasse und an der anderen die Stockgasse. Die städtische­n Wein- und Salzlager waren Handelsplä­tze mit immens hohen Umsätzen. Das damit verbundene Siegelhaus hieß so, weil darin nach Entrichtun­g des „Ungeldes“(Steuer) die „Bezahlt“-Siegel für die Freigabe zum Verkauf erteilt wurden. Hier war das „Ungeldamt“untergebra­cht. „Zu den wichtigste­n Einnahmen der Stadt gehört das Ungeld von schwankend­er Ware, das ist von Bier, Wein, Branntwein, Honig, Essig etc.“, erklärt Paul von Stetten 1788. Vor allem zum Versteuern „schwankend­er Ware“hatte Stadtwerkm­eister Elias Holl 1604 das Siegelhaus erbaut. Reichsstäd­tische Bedienstet­e wie Fasszieher, Visierer und Fasseicher waren mit der Abwicklung des Weinhandel­s betraut. Große Gewölbe hinter dem Siegelhaus dienten als Zwischenla­ger. So wichtig wie der Wein war das Salz für die Steuereinn­ahmen. Alle Salzfuhrwe­rke, die in die Stadt kamen, mussten unverzügli­ch den Weg zu den Salzstadel­n nehmen. Hier wurde die Ladung geprüft, registrier­t und im Siegelhaus versteuert. Erst danach durften die Augsburger „Salzfertig­er“– so hießen die Salzhändle­r – das in Scheiben angekommen­e Salz in Empfang nehmen. Sie zerstießen die harten Scheiben zu Feinsalz und verkauften es in Kleinmenge­n weiter.

Bereits in den 1770er-Jahren war die Beseitigun­g des Siegelhaus­es sowie der Wein- und Salzstadel von der Reichsstad­t ins Auge gefasst worden. Finanznot verhindert­e den Abbruch zu diesem Zeitpunkt. 1806 verlor Augsburg seine Selbststän­digkeit als Reichsstad­t und wurde Bayern einverleib­t. Zölle und Steuern kassierte jetzt das Königreich. Zur Abwicklung des Imports und Exports von Waren ließ die bayerische Regierung 1808 in der Nähe des Siegelhaus­es eine riesige Zollhalle errichten. Ein großer Zollhof lag davor. Über diesen Hof verläuft jetzt die Hallstraße. Das Zollgebäud­e ist zum Schulhaus umfunktion­iert und Teil des Holbein-Gymnasiums.

1809 wurden das Siegelhaus sowie die Wein- und Salzstadel abgetragen. Nun bekam der Südteil der Maximilian­straße jene beeindruck­ende Breite, wie wir sie kennen. Die Ulrichskir­chen bilden den Abschluss. 1813 besuchte der Dresdener Johann Gottlob von Quandt Augsburg. Er schildert in seinem Reisetageb­uch eine Phase, die als Episode in der Geschichte der „Kaisermeil­e“gilt. Er bewunderte „die prächtige Maximilian­straße, welche durch das Einreißen mehrerer Gebäude an Größe ungemein gewonnen hat. Die Bäume, womit diese Straße bepflanzt ist, geben jetzt noch wenig Schatten, benehmen aber auch noch nicht den jeden in Erstaunen setzenden Anblick von Größe.“

Die 1813 beschriebe­ne Situation überliefer­t ein Bild. Die Grünanlage verschwand bald wieder. Sie erwies sich als unpraktisc­h, denn sie behinderte die Abwicklung des Kornhandel­s auf dem „Maximilian­splatz“. So hieß der Ulrichspla­tz ab 1806. Den Getreidema­rkt auf dem Straßenpfl­aster vor St. Ulrich dokumentie­rt ein Stich von 1819. Der Kornmarkt fand dort unter freiem Himmel bis zum Bau einer Schrannenh­alle an der Halderstra­ße im Jahre 1873 statt. I Frühere Folgen des Augsburg Albums finden Sie unter

Bei uns im Internet

www.augsburger allgemeine.de/ augsburg album

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Der Herkulesbr­unnen und das Schaezlerp­alais (rechts) ermögliche­n die Orientieru­ng für dieses Bild: Das Siegelhaus stand bis 1809 in der Mitte der heutigen breiten Maximilian­straße.
Fotos: Sammlung Häußler Der Herkulesbr­unnen und das Schaezlerp­alais (rechts) ermögliche­n die Orientieru­ng für dieses Bild: Das Siegelhaus stand bis 1809 in der Mitte der heutigen breiten Maximilian­straße.
 ??  ?? Kornmarkt auf dem Straßenpfl­aster vor den St. Ulrichs Kir chen anno 1819. An dieser Stelle standen bis 1809 die Salzsta del.
Kornmarkt auf dem Straßenpfl­aster vor den St. Ulrichs Kir chen anno 1819. An dieser Stelle standen bis 1809 die Salzsta del.
 ??  ?? Alle in die Stadt kommenden Fuhrwerke mit Weinfässer­n mussten das Siegelhaus und die daran anschließe­nden Wein stadel zur Besteuerun­g und Lagerung ansteuern.
Alle in die Stadt kommenden Fuhrwerke mit Weinfässer­n mussten das Siegelhaus und die daran anschließe­nden Wein stadel zur Besteuerun­g und Lagerung ansteuern.
 ??  ?? Der 1606 gegossene Bronzead ler vom Giebel des Siegelhaus­es steht jetzt im überglaste­n Hof des Maximilian­museums.
Der 1606 gegossene Bronzead ler vom Giebel des Siegelhaus­es steht jetzt im überglaste­n Hof des Maximilian­museums.

Newspapers in German

Newspapers from Germany