Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer spielt da die Schüchtern­e?

Serie (2) Beim Theaterfes­t hat Jihyun Cecilia Lee mit einer Partie aus dem „Freischütz“gefallen. Eine schöne Stimme und eine mutige Entscheidu­ng stehen am Anfang ihres musikalisc­hen Wegs

- VON RICHARD MAYR

Der Intendante­nwechsel am Theater Augsburg hat nicht nur an der Spitze des Hauses, sondern auch im Ensemble für Wechsel gesorgt. In der Serie „Neu am Theater“präsentier­en wir bis Ende Dezember jeweils dienstags einige der „Neuen“. Heute setzen wir die Serie mit Jihyun Cecilia Lee, der neuen Sopranisti­n am Theater, fort. Im roten Kleid, ein verschmitz­tes Lächeln – so tritt Jihyun Cecilia Lee das erste Mal vor ihr neues Publikum. Die Sängerin gibt eine Kostprobe auf die erste Opernpremi­ere „Freischütz“am 1. Oktober. Ihr Ännchen ist eine Schüchtern­e. So war das bei „Auftakt – Die Spielzeits­how“am Sonntag im Martinipar­k. Im Gespräch ist die Südkoreane­rin allerdings das Gegenteil.

Die 28-Jährige ist in Augsburg ihr erstes festes Engagement als Sängerin eingegange­n. Ihrer ersten Partie sah sie am Anfang eher skeptisch entgegen. „Ich dachte mir, dass das eine Soubretten-Partie ist“, erzählt sie, also eine Rolle für Sängerinne­n mit einer höheren, leichteren Stimme. Dann wurde ihr gesagt, dass die Rolle früher von Sängerinne­n mit lyrischem Sopran gesungen wurde. „Jetzt liebe ich das Ännchen“, sagt sie. Das Publikum applaudier­te ihr nach der Kostprobe schon einmal lang.

Der Weg, den Lee in den vergangene­n Jahren genommen hat, klingt wie ein kleines Märchen. Aufgewachs­en ist sie mit ihrer drei Jahre jüngeren Schwester im Großraum der Millionenm­etropole Seoul. Mit 17 Jahren kam ihr die Idee, das Singen profession­ell anzugehen – einfach weil sie eine gute, eine schöne Stimme hatte. Niemand in ihrer Familie hatte sich bislang für einen solchen künstleris­chen Beruf entschiede­n. Erst hat Lee in Südkorea studiert, dann reifte dort der Wunsch, in Deutschlan­d Gesang weiterzust­udieren. „Ich hatte eine Korrepetit­orin, die in Mannheim bei Professor Rudolf Piernay studiert hat“, erzählt Lee. Und die Korrepetit­orin war in Südkorea so voll des Lobs, dass Lee auch in Mannheim studierte – ebenfalls bei Professor Piernay.

Seit fünf Jahren lebt Lee nun in Deutschlan­d, 8500 Kilometer von der Heimat entfernt. Wenn sie mit ihren Eltern telefonier­en will, muss sie sieben Stunden Zeitversch­iebung einrechnen. Nur zwei Mal war sie bislang wieder in ihrer Heimat. „In den Ferien, wenn ich die Möglich- keit zum Reisen gehabt hätte, habe ich mich immer für Meisterkur­se entschiede­n“, sagt Lee.

Deutschlan­d habe sie vor ihrem Studium nur von einem ziemlich intensiven Europaurla­ub her gekannt – in drei Wochen mit der Bahn kreuz und quer über den Kontinent. Sie hat sehr viel gesehen in diesen Tagen und dabei sehr wenig geschlafen. „In Deutschlan­d habe ich mich einfach wohlgefühl­t, mit den Menschen, den Straßen, den Städten.“Nur eines hat nicht so funktionie­rt, wie sie sich das anfangs gedacht hat. Der dreimonati­ge Sprachkurs in Südkorea als Vorbereitu­ng hat ihr nicht so viel gebracht, wie sie es sich gewünscht hatte. „Ich habe nur sehr wenig verstanden.“Also besuchte sie parallel zu ihrem Studium auch noch einen begleitend­en Sprachkurs.

Ein Jahr lang konnte Lee als Mitglied des Opernstudi­os der Mailänder Scala in Italien studieren und singen. Kurzerhand hatte sie sich zu einem Vorsingen dort entschloss­en und den Zuschlag bekommen. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich nehmen“, sagt sie. Sie war auf dieses Jahr im Ausland nicht vorbereite­t, musste sich schnell noch ein Zimmer suchen und in Italien erst einmal die Sprache lernen. Heute profitiert sie davon. „Ich singe das italienisc­he Repertoire jetzt anders, besser.“

Nun fühlt sie sich an dieses Jahr in Italien wieder erinnert. Bayern liege näher am Süden, die Menschen erinnern sie schon ein wenig an Italien. In der Nähe des Lechs in der Jakobervor­stadt hat sie eine Wohnung gefunden und sich gleich gut eingelebt. Ein Fremdeln? Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassenh­eit? Nicht bei Jihyun Cecilia Lee. „Das Ensemble hat mich so nett aufgenomme­n.“Die Stadt gefalle ihr. Sie fühle sich wohl. Eine Umgewöhnun­g seien die neuen Arbeitszei­ten gewesen. Proben am Vormittag, Proben am späteren Abend und dazwischen eine lange Pause. Auch damit hat sie sich mittlerwei­le arrangiert.

Ihre Eltern können zu ihrer ersten Premiere in Augsburg, dem „Freischütz“am 1. Oktober im Martinipar­k, nicht kommen. Sie glaubt aber, dass es irgendwann in der Spielzeit klappen müsste. In der Zwischenze­it wird mit dem Smartphone und über das Internet kommunizie­rt – in Ton und Bild. „Das macht die Entfernung erträglich“, sagt Lee. Vielleicht gelingt es ihr ja in der Spielzeitp­ause im nächsten Sommer, in die Heimat zu reisen, vielleicht steht dann aber auch wieder ein Meisterkur­s an.

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