Augsburger Allgemeine (Land West)
Der blinde Spiegel öffnet die Augen
Ausstellung Die neue Schau im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst geht ans Grundsätzliche: Welche Fragen werfen Bilder auf? 14 Künstler antworten vor allem mit Fotografien
Der Besucher geht auf den ovalen Spiegel an der Ausstellungswand zu und erwartet, was sonst, sich selbst zu sehen. Doch da ist nichts – nur eine milchige Fläche. Der verwirrte Blick wird gelenkt auf den Spiegel, nicht auf seine Funktion. Damit ist das Werk von Burkard Blümlein ein guter Einstieg, ein Augenöffner, in die Ausstellung „Bilder fragen“im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast. Der Titel der Schau ist selbst schon ein Vexierbild. In ihm steckt das Befragen ebenso wie das Gefragtwerden und das Fragliche in Bildern. Bilder lassen zweifeln, rätseln, sie berühren uns, offenbaren sich jedem anders, behalten ein Geheimnis, sperren sich, entwickeln einen Sog. Und wie wichtig ist allein die Vorstellung von Bildern! Darauf stößt einen der Blick in eine Vitrine, in der Speicherchips, wie sie in jeder Digitalkamera stecken, in Kunstharz ausgegossen stehen wie Schmuckstücke – eine Arbeit des jungen russischen Künstlers Egor Tsvetkov. Es könnten tausende Bilder auf diesen Karten gespeichert sein. Oder keine?
Auf den fünf großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos, die der Däne Krass Clement im H2 zeigt, sehen wir Menschen, die offensichtlich Zaungäste sind, Zuschauer. Aber wir sehen nicht, worauf sie warten, worauf sie schauen, was sie bannt. Sie sind ernst, jeder wirkt auf sich zurückgeworfen. Eine Beerdigung? Eine Prozession? Clement hat gleichsam gegen die Blickrichtung fotografiert – und in Haltungen und Präsenz der Menschen auf seinen Fotos spiegelt sich eine Geschichte, die sich der Betrachter ausmalen kann. Bringt man dann in Erfahrung, dass die Bilder am Rande eines Trauerzugs für drei getötete Studenten 1991 in Moskau entstanden, ist das nur noch eine Präzisierung der Aussage der Fotoserie.
Alles das ist zu entdecken in dieser Ausstellung, die ein offenes Konzept hat und viel Freiraum für Assoziationen lässt. Außer den Namen der beteiligten 14 internationalen Künstlerinnen und Künstler gibt es bewusst keine Informationen, sagt Kurator Thomas Elsen. „Wir wollen dem Bild die Chance geben, für sich selbst zu stehen.“Sich einzulassen auf die künstlerischen Bilder, sie zunächst sehend und nicht über Erklärungen, Sprache, Übersetzungen zu erkunden – das ist die Idee. Als Beitrag zum Reformationsjubiläum will „Bilder fragen“die Rolle und die Bedeutung von Bildern beleuchten. Aber natürlich gilt auch hier: Aufklärung und Hintergrundinformation erschließen einem Dimensionen, die über die Erkenntnis des Augenscheins hinausgehen.
Ein Beispiel sind die Arbeiten des Augsburgers Maximilian Prüfer: Seine auf schwarzem Papier wie gemalt und gezeichnet erscheinenden feinen Spurenbilder sind Abdrücke von Bewegungen der Natur. Prüfer lässt Ameisen oder Schnecken über seine Bildträger laufen – mit einem von ihm gefundenen bildgebenden Verfahren macht er das sichtbar. Wenn man so will, sind das malerische Langzeitbelichtungen von Bewegungsbildern. Im Glaspalast hängt ein solches Schneckenbewegungsbild neben einem Foto des amerikanischen Künstlers Emmet Gowin – die Luftaufnahme eines Ackers mit all seinen Fahrspuren und Abdrücken. Verblüffend ist, wie beide Bilder korrespondieren, obgleich eines aus großer Nähe, das andere aus großer Distanz entstanden ist.
Die Mehrzahl der gezeigten Arbeiten im H2 sind Fotografien. Wie sehr man in diesem Medium, das wir alle zu kennen glauben, noch Widerhaken setzen kann, beweist Hans-Christian Schink mit seinen großformatigen Fotografien der Serie „1 h“, eine Stunde. Auf jedem der drei Motive – zwei menschenleere Landschaften, ein Parkplatz – schwebt eine Art schwarzer Balken, umgeben von einem hellen Lichtschleier, in der Luft. Was ist das? Ein fliegendes Rohr? Ein Fehler im Negativ? Tatsächlich zeigen die Balken auf den Langzeitbelichtungen Schinks den Verlauf des Sonnenstands binnen einer Stunde an – sichtbar gemacht durch eine spezielle Aufnahmetechnik.
Keine Fotos, sondern plastische Werke von großem Reiz zeigt der Münchner Burkard Blümlein, der als Professor in Nizza lehrt. In einer Installation sehen wir Steine und Seifenstücke – beide geformt von der Zeit und dem Wasser. Doch während die Seifen für die Vergänglichkeit unseres Daseins stehen, für ein kurzes Maß von Lebenszeit, verkörpern die Flusskiesel Dauer und Beständigkeit. Seifenstücke und Steine – ein stilles Bild, das ganz für sich selbst spricht. O
Laufzeit der Schau „Bilder fragen“im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst (Beim Glaspalast 1) in Augsburg bis 18. Februar, geöffnet Di So von 10 17 Uhr