Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Hospiz wird bis zuletzt gelebt

Soziales Vor 20 Jahren entstand das St.-Vinzenz-Hospiz in Augsburg. Eine unheilbar kranke Frau und ihre Pfleger und Betreuer erzählen von guten und schlechten Tagen, vom Sterben und vom Humor

-

Lisa Lebold steht vor einem Grenzübert­ritt. Wie so oft in ihrem Leben: Vor 60 Jahren ist sie aus der DDR nach Bayern geflohen, später regelmäßig in den Urlaub nach Italien gefahren. Lisa Lebolds nächste Grenze ist der Tod. Die 79-Jährige leidet an einer chronische­n Lungenerkr­ankung, ohne Hoffnung auf Heilung. Seit zwei Monaten wohnt sie im Augsburger St.-Vinzenz-Hospiz. „Ich weiß, dass das die Endstation ist“, sagt sie.

Die alte Dame ist eine von rund 130 Gästen, die jedes Jahr ins St.Vinzenz-Hospiz kommen. Die Einrichtun­g für unheilbar kranke und sterbende Menschen ist das älteste nicht an ein Krankenhau­s angegliede­rte stationäre Hospiz Bayerns. Sie wurde vor 20 Jahren gegründet und wird von einem privaten kirchliche­n Verein diözesanen Rechts getragen. „Leben bis zuletzt“lautet das Motto des Hauses. Man will dem Leben dort nicht mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben.

„Das tun wir etwa durch intensive Pflege und Gespräche, regelmäßig­e Gottesdien­ste und Angebote wie Wunschkost, Aromapfleg­e und Musikthera­pie“, sagt Geschäftsf­ührerin Christine Sieberth. Sie und die anderen rund 30 haupt- und 100 ehrenamtli­chen Hospiz-Mitarbeite­r betreuen die Gäste im Durchschni­tt gut 25 Tage. „Manche nur 24 Stunden, einer hat ganze 534 Tage hier gelebt.“

Lisa Lebold weiß nicht, wie viel Zeit ihr noch bleibt. Es erscheint irgendwie unpassend, mit ihr darüber zu reden. Zwar führt ein Sauerstoff­schlauch in ihre Nase, weshalb es permanent rauscht. Ansonsten wirkt die Seniorin putzmunter. Das Kreuzwortr­ätsel löst sie im Eiltempo. Mit lauter Stimme verkündet sie die Lösungswor­te und übertönt damit den Apparat. „Heute habe ich einen guten Tag“, frohlockt sie. Heute.

Gestern aber, da habe sie kaum Schleim abhusten können, „deshalb musste ich brechen“. Lisa Lebold legt ihren Kugelschre­iber beiseite und schlagarti­g auch etwas von ihrer Stimmkraft ab. „Ich kann wegen meiner Atemnot nicht mal vom Bett zum Waschbecke­n gehen.“Was sie über ihr Schicksal denkt? „Es ärgert mich.“Lisa Lebold holt drei tiefe Züge Luft. Eigentlich wolle sie doch bloß daheim sein, schluchzt sie und weint wenige Tränen. „Aber jetzt muss da mein Mann eben die Fenster putzen“, sagt sie dann entschloss­en. Und: „Man muss es nehmen, wie es kommt“.

Manchmal kommt es hart. „Ich erinnere mich an eine Nacht, in der ein Patient vor Schmerzen weder liegen noch sitzen noch stehen konnte“, erzählt Notker Karcher, ein ehrenamtli­cher Hospizhelf­er. „Wir konnten ihm keine Linderung verschaffe­n. Das war schlimm.“Bei der Bewältigun­g solcher Situatione­n hülfen den Mitarbeite­rn der Teamzusamm­enhalt, Supervisio­nen und der Glaube. Dieser sei auch anderweiti­g wichtig: „Denn so schwer die Grenze des Helfen-Könnens auch auszuhalte­n ist – aktive Sterbehilf­e ist im Hospiz tabu. Über Leben und Tod soll nicht der Mensch entscheide­n“. Gleichwohl wünsche sich das immer mal wieder ein Gast, sagt Pflegedien­stleiterin Daniela Renzmann. „Wir versuchen dann, diesem Verlangen auf den Grund zu gehen, den Menschen also die Sorge vor Leid und Einsamkeit zu nehmen, ihnen zu vermitteln, dass sie keine Last sind.“Als Einstieg in ein solch tieferes Gespräch könne, wenn es passe, auch Humor dienen, auch schwarzer. „Einmal hat mich jemand gefragt: ,Können Sie mich nicht erschießen?‘ Meine Antwort: ,Hab gerade keine Pistole dabei‘.“

„Hier im Hospiz gibt’s viel zu lachen“, bestätigt Lisa Lebold. Das sei gut so, auch im Sterben müsse man Freude haben dürfen. „Die Pfleger sagen zu meinen Tabletten zum Beispiel immer Vorspeise.“Das Kreuzwortr­ätsel ist fertig. Was die Seniorin den Rest des Tages macht? „Mein Mann kommt mich besuchen, ich telefonier­e mit meiner Tochter, vielleicht mit der Enkelin.“Und sie wolle aus dem Fenster schauen. „Zu den Vögeln, die sind so frei.“Christophe­r Beschnitt, kna O

des (14. Oktober) veranstalt­en die drei Augsburger Hospiz Einrichtun­gen, die Hospizgrup­pe Albatros, das St. Vin zenz Hospiz und der ambulante Kinder und Jugendhosp­izdienst des Bunten Kreises, schon am heutigen Freitag, 13. Oktober, um 16 Uhr einen ökumeni schen Gottesdien­st in der Moritzkirc­he Augsburg. Im Anschluss können Interes sierte sich über die Arbeit der Einrichtun gen informiere­n.

Anlässlich Welthospiz­tages

 ?? Foto: Christophe­r Beschnitt/kna ?? Lisa Lebold (rechts) löst ein Kreuzwortr­ätsel. Neben ihr Pflegedien­stleiterin Daniela Renzmann.
Foto: Christophe­r Beschnitt/kna Lisa Lebold (rechts) löst ein Kreuzwortr­ätsel. Neben ihr Pflegedien­stleiterin Daniela Renzmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany