Augsburger Allgemeine (Land West)

Jetzt hat Schulz doch noch einen Sieg bekommen

Reaktionen Nach der Niedersach­sen-Wahl ist der SPD-Chef gestärkt. Gleichzeit­ig wächst der Druck auf Kanzlerin Merkel

- VON MARTIN FERBER UND KRISTIAN LOZINA

Berlin So fühlen sich Siege an. Lange hat Martin Schulz auf dieses einzigarti­ge euphorisie­rende Gefühl warten müssen, aus seiner Sicht und aus dem Blickwinke­l der SPD viel zu lange. Vier Mal stand er seit seiner überstürzt­en Kür zum Parteichef und damit auch zum Kanzlerkan­didaten seiner Partei Ende Januar an einem Wahlabend im Foyer des Willy-Brandt-Hauses in Kreuzberg, um seiner enttäuscht­en Partei wie der Öffentlich­keit eine bittere Niederlage erklären zu müssen. Der letzte Auftritt liegt gerade einmal drei Wochen zurück, als die Sozialdemo­kraten bei der Bundestags­wahl ein historisch­es Desaster erlebten und nur noch auf 20,5 Prozent der Stimmen kamen.

Doch an diesem fast sommerlich­en Oktoberabe­nd ist alles anders. Zum ersten Mal darf Martin Schulz als Sieger auftreten, frenetisch gefeiert von seinen Anhängern, zum ersten Mal in seiner kurzen Amtszeit darf er den Triumph eines Parteifreu­ndes verkünden. SPD-Ministerpr­äsident Stephan Weil hat in Niedersach­sen eine furiose Aufholjagd hingelegt und im Wahlkampf nicht nur den Rückstand auf seinen CDU-Herausford­erer Bernd Althusmann Stück für Stück verkürzt, sondern ihn bei der Wahl auch noch klar überholt. So spricht denn auch ein überglückl­icher Schulz von einem „großartige­n Sieg der niedersäch­sischen SPD“. Zudem habe sich die „Geschlosse­nheit“der Partei ausbezahlt. „Wir sind stolz und sehr froh“, sagt er.

Spät kommt der erste Wahlsieg für Martin Schulz, aber nicht zu spät. Der Triumph Weils in Hannover stabilisie­rt auch den Parteichef in Berlin und gibt ihm die Atempause, die er braucht, um die angeschlag­ene SPD nach dem Desaster bei der Bundestags­wahl personell wie programmat­isch neu aufzustell­en. Beim Parteitag im Dezember droht ihm wohl kein Scherbenge­richt, erst recht keine Abwahl, zumal sich seine innerparte­ilichen Rivalen bedeckt halten und sich vorerst nicht aus der Deckung wagen wollen. Der Ausgang der Niedersach­senwahl stärkt fürs Erste seine Position.

Dagegen dürften in der CDU etwas ungemütlic­here Zeiten auf Angela Merkel zukommen. Die Strategie, erst die Bundestags­wahl klar zu gewinnen und mit dem Rückenwind aus Berlin drei Wochen später das rot-grün regierte Niedersach­sen in der vorgezogen­en Landtagswa­hl zurückzuer­obern, ist gescheiter­t. Nach den Siegen bei den Landtagswa­hlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen endet das Wahljahr 2017 für die Union mit einer bitteren Niederlage. In Hannover kommt die Union auf ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1959, für eine schwarz-gelbe Regierung reicht es nicht.

Welchen Anteil hat Angela Merkel an dieser Entwicklun­g? Verliert das einstige Zugpferd der CDU an Strahlkraf­t? Die Debatte hat in der Union längst begonnen. Auch wenn Generalsek­retär Peter Tauber in seiner Analyse bemüht ist, landesspez­ifische Gründe für die Niederlage in den Mittelpunk­t zu rücken. In Niedersach­sen habe es „keine Wechselsti­mmung“gegeben, das Ergebnis stelle einen „großen persönlich­en Erfolg“von SPD-Amtsinhabe­r Weil dar.

Gleichwohl steht die Klage von Spitzenkan­didat Bernd Althusmann im Raum, dass es seit der Bundestags­wahl an Rückenwind aus Berlin gefehlt habe. Und das hat Konsequenz­en: Schon fordert Alexander Mitsch, der Vorsitzend­e der „WerteUnion“, dem Zusammensc­hluss der Konservati­ven in der CDU, den Rücktritt Merkels als Parteichef­in und „einen klaren Fahrplan für die Übergabe an einen neuen Kanzlerkan­didaten der Union“. Zwar ist dies bislang nur eine Einzelstim­me, aber doch Ausdruck des Unbehagens – und das drei Tage vor Beginn der Sondierung­sgespräche.

Gedämpfte Zufriedenh­eit herrscht bei den Grünen, auch wenn es deutliche Stimmenver­luste gibt. Parteichef Cem Özdemir appelliert an die FDP, eine Ampel nicht auszuschli­eßen. Demokratis­che Parteien müssten untereinan­der „gesprächsf­ähig, aber auch koalitions­fähig sein“. Doch die FDP will davon nichts wissen. In Niedersach­sen gebe es keine soziallibe­rale Tradition, zudem habe man im Wahlkampf für einen „Politikwec­hsel“geworben. Im Hans-Dietrich-GenscherHa­us herrscht zwar kein Frust, aber eine gewisse Enttäuschu­ng. Parteichef Christian Lindner bringt es auf den Punkt: „Wir hätten uns ein stärkeres Ergebnis gewünscht.“

Enttäuschu­ng bei der FDP und den Grünen

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Seit er nicht mehr Kanzlerkan­didat ist, kann Martin Schulz als Parteichef erstmals ei nen Erfolg verkünden.

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