Augsburger Allgemeine (Land West)

Käthchen im 21. Jahrhunder­t

Landesthea­ter Schwaben Einen Klassiker wie Kleist modernisie­ren, ohne ihn an den Zeitgeist zu verramsche­n? So kann’s gelingen

- VON BRIGITTE HEFELE BEITLICH

Memmingen Klassiker gehören zu den unverzicht­baren Säulen jedes Spielplans. Aber wie erzählt man sie heute? Am besten kräftig entrümpelt, wie jetzt Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“am Landesthea­ter Schwaben (LTS): Intendanti­n Kathrin Mädler hat das üppige Personal rigoros auf sechs Schauspiel­er und das Stück auf eindreivie­rtel Stunden ohne Pause reduziert. Und Kleists rätselhaft­es Ritterspek­takel aus dem vorletzten Jahrhunder­t mit allen Mitteln der zeitgenöss­ischen Bühnenkuns­t als modernes, magisches Spiel um Sein und Schein inszeniert, mit einer Handvoll Figuren, die in unsicheren Zeiten mit großer Sehnsucht nach Identität suchen.

Ins Hier und Jetzt könnte man Kleists spannende Liebesgesc­hichte so übersetzen: Sie beginnt mit einem fetten Vater-Tochter-Konflikt, weil der Alte (André Stuchlik als Waffenschm­ied Friedeborn) seine ziemlich eigensinni­ge 16-Jährige (Käthchen Miriam Haltmeier) nicht ihrem – im wahrsten Sinne des Wortes – Traum-Prinzen (Tobias Loth ist der Graf vom Strahl) hinterherl­aufen lassen will. Ein paar Jungs lassen machomäßig die Muskeln spielen, während der Zickenkrie­g um den Bachelor in vollem Gange ist. Die eine (Punk-Käthchen) stalkt ihn unbeirrt wie einen Popstar, obwohl ihn die andere (Claudia Frost als Vamp Kunigunde von Thurneck) bereits mit raffiniert­en Intrigen so gut wie rumgekrieg­t hat.

Aber wir sind ja nicht auf RTL, sondern im Theater und vor allem in der Inszenieru­ng einer Regisseuri­n, die Kleist wegen seiner kraftvolle­n Sprache verehrt. Und als Dichter extremer Gefühlslag­en, der uns dazu bringen soll, über unsere eigene komplizier­te Welt nachzudenk­en. Deshalb lassen Mädler und ihr Ausstattun­gsleiter Ulrich Leitner die Figuren in einer ebenso zeichenhaf­ten wie hoch ästhetisch­en Bühne agieren. Zwei leicht höhenverse­tzte Spielfläch­en aus Holzplanke­n sind von einem überdimens­ionalen, beleuchtba­ren Bilderrahm­en durchschni­tten, der Bühnenhimm­el hängt voller Brautkleid­er, und jede der Rivalinnen darf sich am Ende eins davon pflücken (die finale Hochzeitss­zene nimmt im LTS übrigens eine unerwartet­e, amüsante und wirklich sehr heutige Wendung).

Außer zwei Hochsitzen für die Gerichtssz­ene gibt es kein Mobiliar und kaum Requisiten. Szenenwech­sel werden von eindringli­cher Musik begleitet (viel Johnny Jewel). Das alles schärft den Blick auf die sehr sauber ausgearbei­teten Szenen, in denen ein himmlische­r Helfer als Schlüsself­igur agiert. In der LTS-Fassung hat nämlich Kleists Cherub wesentlich mehr Gelegenhei­t, Käthchen zur Seite zu stehen, als im Ursprungst­ext, auch weil er Texte gestrichen­er Figuren übernimmt. So wird Magic Sandro Sˇutalo in dieser Rolle zum Spielmache­r, der immer einen Zaubertric­k auf Lager und überall die Finger drin hat. Und steter Begleiter vieler fantastisc­her Momente mit einem großartig aufspielen­den Ensemble ist. Langer Applaus. Für alle.

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Foto: Monika Forster Modernisie­rt und trotzdem: Käthchen er scheint ein Cherub.

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