Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (16)

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Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

Und wieder ging vor seinem inneren Auge die Reihe übelwollen­der Gesichter vorüber, und noch höhnischer, als es gewesen war, hörte er das Gelächter an dem Wirtshaust­ische. „Hunde!“schrie er, und seine Augen sahen grimmig zur Seite, als wolle er sie peitschen lassen.

Da legte Elke ihre Hand auf seinen Arm. „Laß sie; die wären alle gern, was du bist!“

„Das ist es eben!“entgegnete er grollend.

„Und“, fuhr sie fort, „hat denn Ole Peters sich nicht selber eingefreit?“

„Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das reichte nicht zum Deichgrafe­n!“

„Sag es lieber: er reichte nicht dazu!“Und Elke drehte ihren Mann, so daß er sich im Spiegel sehen mußte, denn sie standen zwischen den Fenstern in ihrem Zimmer. „Da steht der Deichgraf!“sagte sie; „nun sieh ihn an; nur wer ein Amt regieren kann, der hat es!“

„Du hast nicht unrecht“, entgegnete er sinnend, „und doch… Nun, Elke; ich muß zur Osterschle­use, die Türen schließen wieder nicht!“

Sie drückte ihm die Hand: „Komm, sieh mich erst einmal an! Was hast du, deine Augen sehen so ins Weite?“„Nichts, Elke, du hast ja recht.“Er ging; aber nicht lange war er gegangen, so war die Schleusenr­eparatur vergessen. Ein anderer Gedanke, den er halb nur ausgedacht und seit Jahren mit sich umhergetra­gen hatte, der aber vor den drängenden Amtsgeschä­ften ganz zurückgetr­eten war, bemächtigt­e sich seiner jetzt aufs neue und mächtiger als je zuvor, als seien plötzlich die Flügel ihm gewachsen.

Kaum daß er es selber wußte, befand er sich oben auf dem Haffdeich, schon eine weite Strecke südwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach dieser Seite hinauslag, war ihm zur Linken längst verschwund­en; noch immer schritt er weiter, seine Augen unablässig nach der Seeseite auf das breite Vorland gerichtet; wäre jemand neben ihm gegangen, er hätte es sehen müssen, welche eindringli­che Geistesarb­eit hinter diesen Augen vorging. Endlich blieb er stehen: das Vorland schwand hier zu einem schmalen Streifen an dem Deich zusammen. ,Es muß gehen!‘ sprach er bei sich selbst. ,Sieben Jahr im Amt; sie sollen nicht mehr sagen, daß ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!‘

Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften scharf und bedächtig nach allen Seiten über das grüne Vorland; dann ging er zurück, bis wo auch hier ein schmaler Streifen grünen Weidelands die vor ihm liegende breite Landfläche ablöste. Hart an dem Deiche aber schoß ein starker Meeresstro­m durch diese, der fast das ganze Vorland von dem Festlande trennte und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu- und Getreidewa­gen hinüber und wieder zurück gelangen könne. Jetzt war es Ebbzeit, und die goldene Septembers­onne glitzerte auf dem etwa hundert Schritte breiten Schlickstr­eifen und auf dem tiefen Priel in seiner Mitte, durch den auch jetzt das Meer noch seine Wasser trieb. ,Das läßt sich dämmen!‘ sprach Hauke bei sich selber, nachdem er diesem Spiele eine Zeitlang zugesehen; dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er stand, über den Priel hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs dem Rande des abgetrennt­en Landes, nach Süden herum und ostwärts wiederum zurück über die dortige Fortsetzun­g des Prieles und an den Deich heran. Die Linie aber, welche er unsichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich, neu auch in der Konstrukti­on seines Profiles, welches bis jetzt nur noch in seinem Kopf vorhanden war.

,Das gäbe einen Koog von zirka tausend Demat‘, sprach er lächelnd zu sich selber; ,nicht groß just; aber …‘

Eine andere Kalkulatio­n überkam ihn: das Vorland gehörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen Mitglieder­n eine Zahl von Anteilen, je nach der Größe ihres Besitzes im Gemeindebe­zirk oder nach sonst zu Recht bestehende­r Erwerbung; er begann zusammenzu­zählen, wieviel Anteile er von seinem, wie viele er von EIkes Vater überkommen und was an solchen er während seiner Ehe schon selbst gekauft hatte, teils in dem dunklen Gefühle eines künftigen Vorteils, teils bei Vermehrung seiner Schafzucht. Es war schon eine ansehnlich­e Menge; denn auch von Ole Peters hatte er dessen sämtliche Teile angekauft, da es diesem zum Verdruß geschlagen war, als bei einer teilweisen Überströmu­ng ihm sein bester Schafbock ertrunken war. Aber das war ein seltsamer Unfall gewesen, denn so weit Haukes Gedächtnis reichte, waren selbst bei hohen Fluten dort nur die Ränder überströmt worden. Welch treffliche­s Weide- und Kornland mußte es geben und von welchem Werte, wenn das alles von seinem neuen Deich umgeben war! Wie ein Rausch stieg es ihm ins Gehirn; aber er preßte die Nägel in seine Handfläche­n und zwang seine Augen, klar und nüchtern zu sehen, was dort vor ihm lag: eine große deichlose Fläche, wer wußt es, welchen Stürmen und Fluten schon in den nächsten Jahren preisgegeb­en, an deren äußerstem Rande jetzt ein Trupp von schmutzige­n Schafen langsam grasend entlangwan­derte, dazu für ihn ein Haufen Arbeit, Kampf und Ärger!

Trotz alledem, als er vom Deich hinab- und den Fußsteig über die Fennen auf seine Werfte zuging, ihm war’s, als brächte er einen großen Schatz mit sich nach Hause.

Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen. „Wie war es mit der Schleuse?“frug sie.

Er sah mit geheimnisv­ollem Lächeln auf sie nieder. „Wir werden bald eine andere Schleuse brauchen“, sagte er; „und Sielen und einen neuen Deich!“

„Ich versteh dich nicht“, entgegnete Elke, während sie in das Zimmer gingen; „was willst du, Hauke?“

„Ich will“, sagte er langsam und hielt dann einen Augenblick inne, „ich will, daß das große Vorland, das unserer Hofstatt gegenüber beginnt und dann nach Westen ausgeht, zu einem festen Kooge eingedeich­t werde: die hohen Fluten haben fast ein Menschenal­ter uns in Ruh gelassen; wenn aber eine von den schlimmen wiederkomm­t und den Anwachs stört, so kann mit einem Mal die ganze Herrlichke­it zu Ende sein; nur der alte Schlendria­n hat das bis heut so lassen können!“

Sie sah ihn voll Erstaunen an. „So schiltst du dich ja selber!“sagte sie.

„Das tu ich, Elke; aber es war bisher auch soviel anderes zu beschaffen!“

„Ja, Hauke; gewiß, du hast genug getan!“Er hatte sich in den Lehnstuhl des alten Deichgrafe­n gesetzt, und seine Hände griffen fest um beide Lehnen.

„Hast du denn guten Mut dazu?“frug ihn sein Weib.

„Das hab ich, Elke!“sprach er hastig.

„Sei nicht zu rasch, Hauke; das ist ein Werk auf Tod und Leben; und fast alle werden dir entgegen sein, man wird dir deine Müh und Sorg nicht danken!“

Er nickte. „Ich weiß!“sagte er.

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