Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Team von Frauen hält die Praxis am Laufen

Gesundheit Wie kann eine Gemeinscha­ftspraxis mit fünf Ärzten und 16 Mitarbeite­rn gut funktionie­ren?

- VON PETRA KRAUSS STELZER

Diedorf

Überquelle­nde Wartezimme­r, lange Wartezeite­n, der gestresste Doktor, der in der Mittagspau­se von Hausbesuch zu Hausbesuch eilt und auch abends nach den Sprechstun­den noch lange am Schreibtis­ch sitzt: Der Beruf des Hausarztes zumal im ländlichen Raum ist für den Medizinern­achwuchs heute so wenig attraktiv, dass die Politik mit verschiede­nen Maßnahmen diese Arbeit jungen Ärzten schmackhaf­t machen will. In Diedorf hat eine Hausarzt-Praxis im Lauf der Jahre selbst das Zepter in die Hand genommen und eine zeitgemäße Lösung gefunden.

Fünf Fachärzte und Fachärztin­nen mit verschiede­nen Schwerpunk­ten sowie vier Weiterbild­ungsassist­entinnen ziehen in der „Gemeinscha­ftspraxis Diedorf“an einem Strang. Eine ausgebilde­te Praxismana­gerin sorgt dafür, dass die Organisati­on klappt. Rund 16 weitere Mitarbeite­rinnen sind beschäftig­t. Dr. Bernhard Baur (57 Jahre), der zusammen mit seinen Kollegen Dr. Roland Huss, 60, und Dr. Markus Ziesing, 37, gleichbere­chtigt die vor Kurzem auf 360 Quadratmet­er erweiterte Praxis führt, setzen bei ihrem modernen Konzept auf Teamarbeit, Gemeinscha­ft und Erreichbar­keit für die Patienten, die teilweise aus dem ganzen westlichen Landkreis kommen.

Das vermeintli­che Problem, dass zunehmend Frauen in der Medizin arbeiten, die ihren Beruf mit Familie vereinbare­n möchten, bekommt die Praxis durch kluge Dienstplän­e in den Griff. Das alles setzt jedoch voraus, dass sich Ärzte und Mitarbeite­r gut verstehen, betont Roland Huss.

Den Grundstein gelegt habe, erklärt Bernhard Baur, allerdings schon sein Vorgänger Dr. Thomas Brückmann. Er habe nach der Praxisgrün­dung 1989 gleich auf Teamarbeit gesetzt. 1993 kam Roland Huss, 1996 Bernhard Baur in die Brückmann-Praxis. Vergangene­s Jahr ging der Gründer in den Ruhestand.

An jungen Ärzten, die auf dem Land arbeiten wollen, fehlt es in der Gemeinscha­ftspraxis Diedorf nicht, denn: „Wir finden Nachfolger und Mitarbeite­r im Team über den Weg der Ausbildung“, erläutert Baur. Seit vielen Jahren arbeiten hier Weiterbild­ungsassist­enten, die gerne auch nach der Facharztpr­üfung bleiben. Und diese Assistente­n sind – dem Trend an den Universitä­ten entspreche­nd – inzwischen größtentei­ls weiblich. Die Wünsche nach Teilzeitar­beit seien eine organisato­rische Herausford­erung, die in Diedorf mit Schichtarb­eit gelöst wird. Diese hat auch die positive Folge, dass die Praxis ganzjährig von 8 Uhr bis 19 Uhr ärztlich besetzt ist, auch über mittags. „Das geht nur, wenn man ausreichen­d Kollegen hat“, betont Baur.

Eine der Medizineri­nnen ist Dr. Kristin Dziewior: Die Mutter zweier Söhne hat hier ihre Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinm­edizin gemacht, sie arbeitet inzwischen Vollzeit, die Kinder werden im Hort und in der Mittagsbet­reuung versorgt. Oder die Fachärztin für Chirurgie Michaela Rose, die in der Gemeinscha­ftspraxis Diedorf ihre Facharztau­sbildung zur Allgemeinm­edizinerin macht und Hausärztin werden will. Für die neunjährig­e Tochter ist eine Tagesmutte­r engagiert, Michaela Rose arbeitet in der Praxis zwei volle Tage und einen halben Tag und sagt: „Ich bin 100-prozentig zufrieden.“Auch, wenn sie mal nicht ganz pünktlich nach Hause gehen kann.

Die Ärzte haben verschiede­ne medizinisc­he Schwerpunk­te

Dass jeder Arzt, jede Ärztin hier einen besonderen medizinisc­hen Schwerpunk­t hat, kommt dem Team ebenso zugute wie den Patienten. „Wir lernen immer voneinande­r“, freut sich Internist Roland Huss. Er ist unter anderem Fachmann für Diabetolog­ie, während Kollege Baur auch HIV-Patienten betreut: „Auf diesem Gebiet gibt es im Landkreis kaum Kollegen.“Diabetolog­ie, Chirurgie, Kinderheil­kunde, Substituti­on, Akupunktur – die Praxis versucht, ein breites medizinisc­hes Spektrum abzudecken, denn: „Wir werden immer mehr zu Primärvers­orgern. Wir sind gezwungen zu handeln“, betont Bernhard Baur angesichts der langen Wartezeite­n, die Patienten für einen Termin beim Facharzt in Kauf nehmen müssen.

Viel Arbeitskra­ft bindet bei den Hausärzten die Versorgung betagter Patienten in den Heimen. Dafür sind in der Gemeinscha­ftspraxis extra zwei Mitarbeite­rinnen beauftragt, die zweimal pro Woche zwei Seniorenhe­ime besuchen. Eine nicht ärztliche, doch eigens ausgebilde­te Assistenti­n übernimmt bei Patienten zuhause die Wundversor­gung oder Impfungen.

Dafür, dass der gesamte Betrieb reibungslo­s funktionie­rt, sorgt Praxismana­gerin Tanja Jackel. Seit 24 Jahren ist die gelernte Arzthelfer­in schon in der Praxis, hat sich weitergebi­ldet. Sie managt halbtags alles Organisato­rische: Das reicht von Dienstplän­en über die Personalpl­anung, EDV, Abrechnung, Materialbe­stellungen bis zum Betriebsau­sflug und galt zuletzt auch weitgehend für den Um- und Erweiterun­gsbau: „Das ist wahnsinnig entlastend“, sagt Dr. Bernhard Baur. Mit dieser Logistik schafft man es in der großen Diedorfer Praxis auch, lange Wartezeite­n in den Sprechzimm­ern zu vermeiden und für Notfälle sofort da zu sein. Roland Huss: „Wir sind Dienstleis­ter.“

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Foto: Andreas Lode Diese Gemeinscha­ftspraxis in Diedorf verfolgt ein besonderes Konzept. An jungen Ärzten, die auf dem Land arbeiten wollen, fehlt es hier nicht.

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