Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Team von Frauen hält die Praxis am Laufen
Gesundheit Wie kann eine Gemeinschaftspraxis mit fünf Ärzten und 16 Mitarbeitern gut funktionieren?
Diedorf
Überquellende Wartezimmer, lange Wartezeiten, der gestresste Doktor, der in der Mittagspause von Hausbesuch zu Hausbesuch eilt und auch abends nach den Sprechstunden noch lange am Schreibtisch sitzt: Der Beruf des Hausarztes zumal im ländlichen Raum ist für den Medizinernachwuchs heute so wenig attraktiv, dass die Politik mit verschiedenen Maßnahmen diese Arbeit jungen Ärzten schmackhaft machen will. In Diedorf hat eine Hausarzt-Praxis im Lauf der Jahre selbst das Zepter in die Hand genommen und eine zeitgemäße Lösung gefunden.
Fünf Fachärzte und Fachärztinnen mit verschiedenen Schwerpunkten sowie vier Weiterbildungsassistentinnen ziehen in der „Gemeinschaftspraxis Diedorf“an einem Strang. Eine ausgebildete Praxismanagerin sorgt dafür, dass die Organisation klappt. Rund 16 weitere Mitarbeiterinnen sind beschäftigt. Dr. Bernhard Baur (57 Jahre), der zusammen mit seinen Kollegen Dr. Roland Huss, 60, und Dr. Markus Ziesing, 37, gleichberechtigt die vor Kurzem auf 360 Quadratmeter erweiterte Praxis führt, setzen bei ihrem modernen Konzept auf Teamarbeit, Gemeinschaft und Erreichbarkeit für die Patienten, die teilweise aus dem ganzen westlichen Landkreis kommen.
Das vermeintliche Problem, dass zunehmend Frauen in der Medizin arbeiten, die ihren Beruf mit Familie vereinbaren möchten, bekommt die Praxis durch kluge Dienstpläne in den Griff. Das alles setzt jedoch voraus, dass sich Ärzte und Mitarbeiter gut verstehen, betont Roland Huss.
Den Grundstein gelegt habe, erklärt Bernhard Baur, allerdings schon sein Vorgänger Dr. Thomas Brückmann. Er habe nach der Praxisgründung 1989 gleich auf Teamarbeit gesetzt. 1993 kam Roland Huss, 1996 Bernhard Baur in die Brückmann-Praxis. Vergangenes Jahr ging der Gründer in den Ruhestand.
An jungen Ärzten, die auf dem Land arbeiten wollen, fehlt es in der Gemeinschaftspraxis Diedorf nicht, denn: „Wir finden Nachfolger und Mitarbeiter im Team über den Weg der Ausbildung“, erläutert Baur. Seit vielen Jahren arbeiten hier Weiterbildungsassistenten, die gerne auch nach der Facharztprüfung bleiben. Und diese Assistenten sind – dem Trend an den Universitäten entsprechend – inzwischen größtenteils weiblich. Die Wünsche nach Teilzeitarbeit seien eine organisatorische Herausforderung, die in Diedorf mit Schichtarbeit gelöst wird. Diese hat auch die positive Folge, dass die Praxis ganzjährig von 8 Uhr bis 19 Uhr ärztlich besetzt ist, auch über mittags. „Das geht nur, wenn man ausreichend Kollegen hat“, betont Baur.
Eine der Medizinerinnen ist Dr. Kristin Dziewior: Die Mutter zweier Söhne hat hier ihre Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin gemacht, sie arbeitet inzwischen Vollzeit, die Kinder werden im Hort und in der Mittagsbetreuung versorgt. Oder die Fachärztin für Chirurgie Michaela Rose, die in der Gemeinschaftspraxis Diedorf ihre Facharztausbildung zur Allgemeinmedizinerin macht und Hausärztin werden will. Für die neunjährige Tochter ist eine Tagesmutter engagiert, Michaela Rose arbeitet in der Praxis zwei volle Tage und einen halben Tag und sagt: „Ich bin 100-prozentig zufrieden.“Auch, wenn sie mal nicht ganz pünktlich nach Hause gehen kann.
Die Ärzte haben verschiedene medizinische Schwerpunkte
Dass jeder Arzt, jede Ärztin hier einen besonderen medizinischen Schwerpunkt hat, kommt dem Team ebenso zugute wie den Patienten. „Wir lernen immer voneinander“, freut sich Internist Roland Huss. Er ist unter anderem Fachmann für Diabetologie, während Kollege Baur auch HIV-Patienten betreut: „Auf diesem Gebiet gibt es im Landkreis kaum Kollegen.“Diabetologie, Chirurgie, Kinderheilkunde, Substitution, Akupunktur – die Praxis versucht, ein breites medizinisches Spektrum abzudecken, denn: „Wir werden immer mehr zu Primärversorgern. Wir sind gezwungen zu handeln“, betont Bernhard Baur angesichts der langen Wartezeiten, die Patienten für einen Termin beim Facharzt in Kauf nehmen müssen.
Viel Arbeitskraft bindet bei den Hausärzten die Versorgung betagter Patienten in den Heimen. Dafür sind in der Gemeinschaftspraxis extra zwei Mitarbeiterinnen beauftragt, die zweimal pro Woche zwei Seniorenheime besuchen. Eine nicht ärztliche, doch eigens ausgebildete Assistentin übernimmt bei Patienten zuhause die Wundversorgung oder Impfungen.
Dafür, dass der gesamte Betrieb reibungslos funktioniert, sorgt Praxismanagerin Tanja Jackel. Seit 24 Jahren ist die gelernte Arzthelferin schon in der Praxis, hat sich weitergebildet. Sie managt halbtags alles Organisatorische: Das reicht von Dienstplänen über die Personalplanung, EDV, Abrechnung, Materialbestellungen bis zum Betriebsausflug und galt zuletzt auch weitgehend für den Um- und Erweiterungsbau: „Das ist wahnsinnig entlastend“, sagt Dr. Bernhard Baur. Mit dieser Logistik schafft man es in der großen Diedorfer Praxis auch, lange Wartezeiten in den Sprechzimmern zu vermeiden und für Notfälle sofort da zu sein. Roland Huss: „Wir sind Dienstleister.“