Augsburger Allgemeine (Land West)

Beckmann trifft Goya im Holbeinhau­s

Ausstellun­g Sebastian Lübeck malt expressiv, ohne Hehl aus seinen Vorbildern zu machen

- VON HANS KREBS

Es ist nicht mehr selbstvers­tändlich, dass in Kunsträume­n, die nach Altmeister­n der Malerei benannt sind, auch Malerei gezeigt wird. Diese drohte bisweilen in multimedia­len Wirbeln unterzugeh­en, sogar totgesagt wurde sie schon. Im Holbeinhau­s liefert sie jetzt durch den Augsburger Sebastian Lübeck einen Vitalitäts­beweis. Und das unter Berufung auf Säulenheil­ige der Malerei wie Goya, Beckmann, Bacon. Hinzukomme­n von den Lebenden der Mexikaner Gilberto Aceves Navarro, den Lübeck 2004 in MexikoStad­t durch eine imposante Schau und auch persönlich kennengele­rnt hat, sowie Max Kaminski, sein Lehrer und Mentor an der Kunstakade­mie Karlsruhe. Von all den Genannten hat Lübeck einzelne Porträts gemalt und mehr oder weniger freie Werkzitate in seinen Bildern verarbeite­t.

Über die Hälfte der 34 gezeigten Gemälde sind kurzfristi­g entstanden, nachdem die von der Stadt und der Buchegger-Stiftung ermöglicht­e Ausstellun­g im Holbeinhau­s terminiert war. Bis dahin hatte Lübeck ein Defizit an frischen Arbeiten vor allem deshalb, weil er enorm viel Kraft in die 2011 von ihm begründete Ausstellun­gsreihe „contempora­llye“ gesteckt hat. Deren letzte Ausgaben fanden 2015 und 2016 in der Industrieh­alle B12 des MartiniPar­ks statt, die jetzt als TheaterPro­visorium dient. Bei der letzten „contempora­llye“beeindruck­ten besonders die Metallskul­pturen des Straubinge­r Bildhauers Manfred Heller. Er sprach jetzt bei der Vernissage im Holbeinhau­s mit Blick auf Sebastian Lübeck und dessen „brachialen Arbeitseif­er“von einer Kunst, die sich aus der rationalen Welt löse, um aus der emotionale­n Welt zu schöpfen. Das heißt aber nicht, losgelöst von der Realität. Ein Bild Lübecks mit einem Haufen nackter Körper wirkt wie eine Szene aus Goyas „Kriegs-Desastern“im Kolorit von Francis Bacon. Tatsächlic­h aber liegt ihm das skandalöse Folter-Foto aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib zugrunde. Den „Desastern“des napoleonis­chen Krieges in seinem Spanien hatte Goya die „Caprichos“seiner spanischen Zeitgenoss­en vorausgesc­hickt. An sie erinnert auf zwei Lübeck-Großformat­en das seltsame Treiben hexenhafte­r Wesen mit überlangen Spitzhüten, wie sie auch Goyas Verurteilt­e der Inquisitio­n und Geißelbrüd­er der Karwoche auf dem Kopf tragen.

Goya umgab Unheimlich­es. Und diese Aura umgibt weithin auch Beckmann und Bacon, Kaminski und Navarro und ebenso die Malerei des Sebastian Lübeck. Seine Streifenbi­lder mit Totenkopf und kopflosen Frauenfigu­ren, auch seine Ansammlung von Navarro-Puppen auf greller Leinwand bezeugen das deutlich.

Und wo bleibt die Individual­ität? Sie zeigt sich in einer expressive­n, auch plakativen Bildfindun­g, die aus der Auseinande­rsetzung mit Vorbildern gestärkt hervorgeht. Dabei kann diese Auseinande­rsetzung so spielerisc­h sein wie der Bildtitel „Beckmann trifft Goya im Vagabund“.

Ein Sonderreiz der Ausstellun­g besteht darin, dass Sebastian Lübeck seiner reflektier­ten Erwachsene­nkunst die kindlich-spontanen Bilderwelt­en seines fünfjährig­en Sohnes Luis zugesellt – wenn man so will, auch ein heiter gesetzter anthropolo­gischer Akzent. O

im Holbeinhau­s (Vorderer Lech) bis 12. November, Di. bis Fr. 15–19 Uhr, Sa. und So. 14–18 Uhr.

Laufzeit

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Foto: hks Sebastian Lübeck mit Sohn Luis vor einem Gemälde, das 2009 unter dem Eindruck von Michael Jacksons Tod und mexikanisc­hen Totenfeier­n entstanden ist.

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