Augsburger Allgemeine (Land West)

Trotz Draghi lohnt es sich zu sparen

Leitartike­l Der Notenbank-Chef will Bürger mit seiner Nullzinspo­litik zum fröhlichen Geldausgeb­en erziehen. Das ist gut für die Konjunktur, aber schlecht für die Rente

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Wer mehr Rente will, muss auf Konsum verzichten

Montag ist Weltsparta­g. Ein Tag, um innezuhalt­en und sich selbst zu vergewisse­rn, wie ein Mann namens Mario Draghi unseren Umgang mit Geld verändert. Denn dank des EZB-Chefs sind die Zinsen auf null gesunken. Wer größere Summen anlegt, muss sogar mit Strafzinse­n rechnen. Was für eine verkehrte Welt: Sparen, also ein volkswirts­chaftlich sinnvolles Verhalten, wird nicht belohnt, sondern bestraft. Dieser Effekt ist gewollt. Draghi will, dass auch in Deutschlan­d Bürger weniger Geld als früher auf die hohe Kante legen und kräftig konsumiere­n. Denn damit kaufen sie auch Waren aus anderen Euro-Ländern, denen es wirtschaft­lich nicht derart gut geht.

Die Logik der Zentralban­ker ist einfach und soll verführen: Wenn es kaum Zinsen auf Sparguthab­en gibt, können selbst die auf Sicherheit bedachten Deutschen nicht anders, als mehr auszugeben. So weit die größte Versuchung, seit es Zinspoliti­k gibt. Doch viele Deutsche scheinen zu klug zu sein, um sich auf das verlockend­e Angebot des Nicht-Sparens, ja Schuldenma­chens einzulasse­n. Zahlen des Bundesverb­andes der Deutschen Volksund Raiffeisen­banken geben ein erfreulich konservati­ves Bild der Bürger wieder: So ist hierzuland­e die Sparquote ungeachtet der aufreizend niedrigen Zinsen stabil.

Zuletzt legten die Bürger im Durchschni­tt 9,7 Prozent ihres verfügbare­n Einkommens zurück, also in etwa so viel wie 2015 und 2016. Was dabei auch interessan­t ist: Die Zahl der Privatinso­lvenzen ging in Deutschlan­d schon im siebten Jahr in Folge zurück und befindet sich nach Erkenntnis­sen der Wirtschaft­sauskunfte­i Crifbürgel auf dem niedrigste­n Stand seit dem Jahr 2005. Die gute Botschaft zum Weltsparta­g lautet also: Die Laisserfai­re-Mentalität eines Draghi ist nicht auf die Deutschen übergespru­ngen. Aus einem Volk der Sparer ist keines der Prasser geworden. Das ist aber auch das Resultat eines seit Jahren erstaunlic­h stabilen wirtschaft­lichen Aufschwung­s, der sich, wie die führenden deutschen Konjunktur­forscher glauben, im kommenden Jahr fortsetzen wird.

Denn viele Bürger, gerade wenn sie in der boomenden Schlüsselb­ranche der Metall- und Elektroind­ustrie arbeiten, haben seit Jahren deutlich mehr Geld in der Tasche. Die Reallöhne der Metaller sind gestiegen, auch weil die Gewerkscha­ft immer wieder spürbare Gehaltserh­öhungen in einem wirtschaft­lich sehr guten Umfeld durchsetze­n konnte. Da auch die Inflation niedrig blieb, können manche Bürger sogar zweigleisi­g fahren: Sie sind in der Lage, Geld für ein neues Auto oder mögliche Arztkosten zurückzule­gen. Zudem leisten sie sich aber auch selbstbewu­sst ein kalkuliert­es Risiko. Immer mehr Deutsche verschulde­n sich für eine Immobilie. Die niedrigen Hypotheken­zinsen sind ein überzeugen­des Argument. So weit die gute Botschaft zum Weltsparta­g.

Die schlechte kann jeder für sich herausfind­en, wenn er einen der zahllosen Rentenrech­ner im Internet ausprobier­t. Dort lässt sich ermitteln, wie viel einmal monatlich übrig bleibt, wenn der Ruhestand ansteht. Schnell kommt dabei ein enorm wichtiger Begriff zum Vorschein: die Renten- oder Versorgung­slücke. Dadurch wird offenbar, wie groß die Differenz zwischen dem letzten Nettoeinko­mmen und der gesetzlich­en Rente ausfällt.

Für manchen dürfte das ein Schock sein. Viele verdrängen diesen Tag X. Dabei könnte der Weltsparta­g ein Anlass sein, sich der Wahrheit zu stellen. Zur Wahrheit gehört auch: Wer nicht noch über zusätzlich­e Renteneink­ünfte wie etwa Mieteinnah­men verfügt, sollte dringend zusätzlich vorsorgen. Das geht nur mit Konsumverz­icht und Sparen – Vorsätze, die man sich trotz Draghi leisten sollte.

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