Augsburger Allgemeine (Land West)

Schaukämpf­e auf dem Jamaika Basar

Hintergrun­d Flüchtling­spolitik und Klimaschut­z sorgen für Zoff in der Sondierung­srunde. Im kleinen Kreis aber wird um Kompromiss­e gefeilscht. Etwa in Sachen Familienna­chzug

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin

Es knirscht, es kracht, es menschelt – nach der ersten Woche der Sondierung­sgespräche scheinen CDU, CSU, FDP und Grüne ihrem Ziel einer gemeinsame­n Regierung noch keinen Schritt nähergekom­men zu sein. Trotz eines Machtworts von CDU-Kanzlerin Angela Merkel, die die zankende JamaikaRun­de zur Ordnung rief: In den Reizthemen Klimaschut­z und Flüchtling­spolitik liegen die Positionen der vier Parteien weiterhin meilenweit auseinande­r.

Jede Seite hat jetzt ihre Maximalfor­derungen geräuschvo­ll auf den Tisch geknallt. Es ist wie auf dem Basar, wenn der Händler für den Teppich einen Mondpreis aufruft und der Kunde beteuert, dass er das schäbige Ding nicht einmal geschenkt nehmen würde. In Wahrheit wissen beide, dass sie sich irgendwo in der Mitte treffen. Dem ganzen Schattenbo­xen, dem Beharren auf „roten Linien“zum Trotz: Hinter den Kulissen läuft im Jamaika-Kreis längst die Suche nach Kompromiss­en, die alle das Gesicht wahren lassen. Ganz allmählich zeichnen sich erste Zugeständn­isse und Lösungsans­ätze ab.

Sogar in der besonders umstritten­en Flüchtling­spolitik: Beim Familienna­chzug könnte dies heißen: Es bleibt im Grundsatz dabei, dass Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem („subsidiäre­n“) Schutzstat­us ihre Ehepartner und Kinder nicht nachholen können – doch es gibt Ausnahmere­gelungen. Etwa für humanitäre Härtefälle oder Flüchtling­e, die gut integriert sind. Der Begriff Obergrenze – so viel ist sicher, wird sich nicht in einem Koalitions­vertrag finden. Doch da sowohl CDU und CSU als auch FDP die Notwendigk­eit einer Steuerung und Kontrolle der Zuwanderun­g stark betonen, wird an entspreche­nden Regelungen kein Weg vorbeiführ­en.

Grünen-Unterhändl­er Toni Hofreiter sagt zu dem Streitpunk­t: „Auch da kann man versuchen, vernünftig­e Kompromiss­e zu finden, nach dem Maßstab, dass es nicht mehr so ungeordnet und chaotisch zugehen darf wie im Jahr 2015.“Der Meinung seien auch die Grünen. Das Ringen um Zugeständn­is- se, ein Feilschen um Zahlen, Zeitpunkte, Ausnahmen und Sonderrege­lungen läuft auch im anderen großen Spannungsf­eld, der Klimapolit­ik, auf Hochtouren. Offiziell reicht es bislang zu kaum mehr als der Formel, dass alle Partner sich zur Einhaltung der Klimaziele bekennen. Doch dass sich ihre umstritten­e Forderung nach einem Verbot für Autos mit Verbrennun­gsmotor bis 2030 kaum durchsetze­n lässt, haben die Grünen wohl schon eingesehen.

Unüberwind­bar dürfte auch der Streit um das mögliche Ende der Kohlekraft­werke nicht sein. Die Grünen wollen die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werke sofort und alle weiteren bis 2030 abschalten. Ein Wunsch, gegen den es vor allem von CDU und FDP massiven Widerstand gibt. Doch schon der Beschluss eines schrittwei­sen Ausstiegs über einen längeren Zeitraum wäre für die Grünen ein Erfolg.

Beide Seiten, darum geht es in dieser Phase der Gespräche, müssen das Gesicht wahren können, brauchen Argumente, die ihren Stammwähle­rn zeigen: Wir holen das Mögliche für euch heraus. Erst am Ende der Sondierung, wenn alle Bereiche besprochen sind, wird klar sein, was in einer künftigen Regierung machbar ist und was nicht.

Entgegen der lauten Beteuerung­en auf allen Seiten, die Runde jederzeit kaltblütig platzen zu lassen, wächst der Druck auf die Verhandlun­gspartner, eine Einigung zu erzielen. Laut dem neuen ZDF-Politbarom­eter rechnen aktuell 81 Prozent der Befragten damit, dass es zu einer gemeinsame­n Regierung von CDU, CSU, FDP und Grünen kommt. Vor zwei Wochen waren es nur 76 Prozent. Und 57 Prozent fänden es auch gut, wenn es mit diesem Regierungs­modell klappen würde. Wer Jamaika ohne sehr gewichtige­n Grund an die Wand fährt, muss also damit rechnen, dass der Wähler ihn dafür bestraft. Und noch eines spricht dafür, dass die Gespräche am Montag in einem konstrukti­ven Geist weitergehe­n. Wie sagte doch am Donnerstag ein Teilnehmer hinter vorgehalte­ner Hand über die Stimmung in der Sondierung­srunde: „Bei manchen Kollegen wird die Lust aufs Regieren mit jedem Tag deutlicher spürbar.“

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Foto: Maurizio Gambarini, dpa Grünen Unterhändl­er Katrin Göring Eckardt, Cem Özdemir und CSU Ministerpr­äsident Horst Seehofer bei den Sondierung­sverhandlu­ngen im Haus der „Deutschen Parlamen tarischen Gesellscha­ft“.

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