Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Geheimnis des Bibelübers­etzers

Wissenscha­ft Wie kriegt man den Mann zu fassen, der 200 Jahre vor Luther die Heilige Schrift ins Deutsche brachte, aber unbekannt blieb? Auf ihn sind viereinhal­b Millionen Euro Forschungs­gelder ausgesetzt. Ein Augsburger koordinier­t die Suche

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg

Waghalsig war es, was er tat. Er hatte keine Erlaubnis dazu, und heftig zogen seine Widersache­r gegen ihn zu Felde. Aber erwischt haben sie ihn nie und schon gar nicht zum Schweigen gebracht. Unerhörtes erlaubte sich dieser Mann in seiner Zeit: Schon 200 Jahre vor Martin Luther übersetzte er die Bibel ins Deutsche. Sein Lebenswerk sollte es werden. Aber er selbst blieb bis heute ein Phantom, genannt „der österreich­ische Bibelübers­etzer“.

Fast 4,4 Millionen Euro sind auf diesen mysteriöse­n Österreich­er inzwischen ausgesetzt. Vor allem ein Ermittler in Augsburg jagt dem Unbekannte­n nach: Professor Freimut Löser, 63, der sich wissenscha­ftlich auf Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalte­rs verlegt hat. Seit gut dreißig Jahren verfolgt er die Spur des österreich­ischen Bibelübers­etzers. Jetzt leitet er ein gemeinsame­s Forschungs­projekt der Bayerische­n und der Berlin-Brandenbur­gischen Akademie der Wissenscha­ften, das bis ins Jahr 2027 laufen wird.

Löser hält sich alle Optionen offen: „Vielleicht kriegen wir doch irgendwann seinen Namen raus.“Genügend Spuren hat der mittelalte­rliche nau dieser Räuber hängt dann später neben Jesus am Kreuz und wird bereuen und sich bekehren, worauf ihm Jesus das Paradies verheißt.

Der Österreich­er erzählte derlei, um Zusammenhä­nge herzustell­en. „Ohne, dass er die Stoffe ineinander verrührte; er markierte ganz genau, was Evangelium, was ergänzende Texte und was Auslegung war“, lobt Löser die Ehrlichkei­t des Unbekannte­n. Deswegen glaubt der Wissenscha­ftler nicht, dass der Anonymus doch noch eine Leiche im Keller haben könnte – „nur höchst lebendige Texte“.

Geschriebe­n in einer Volkssprac­he, die man heute noch gut versteht. Einzelne deutsche Wörter, die nicht mehr gebräuchli­ch sind, muss man halt erklären. Wer weiß schon, dass kon die Ehefrau bezeichnet und pullwechs stumpfe Nägel meint? Ein Prinzip von Luther hat der österreich­ische Bibelübers­etzer schon vorausgeno­mmen: „Er klebt nicht am Latein, sondern zielt auf einen gut lesbaren, verständli­chen deutschen Text ab“, erklärt Löser.

Überhaupt habe „der Bursche“, wie ihn der Germanist gern nennt, eine eigene DNA. Er orientiert­e sich am Predigtsti­l, wandte sich oft direkt an sein Publikum: Schaut! Passt

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Foto: Stift Klosterneu­burg Ein prachtvoll geschmückt­es Blatt aus dem Evangelien­werk des Österreich­ischen Bibelübers­etzers.

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