Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Mann gab viel von sich preis

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Anonymus, der ums Jahr 1330 seine beste Schaffensp­eriode hatte, selbst gelegt. Der Mann war geradezu redselig und gab viel über sich preis, wenn auch nicht alles. Sogar, dass er zwischenze­itlich erkrankt war und deswegen sein publizisti­sches Werk unterbrech­en musste, verriet er seiner Leserschaf­t.

„Wir wissen, er war in Österreich tätig, genau gesagt in Krems. Aber wir wissen nicht, ob er aus Österreich stammt oder aus Mitteldeut­schland zugewander­t war“, erklärt Löser. Der Mann konnte Latein, hatte aber keine Hohe Schule besucht. „Vielleicht war er einst für die Klerikerla­ufbahn vorgesehen, ohne sie dann verfolgt zu haben“, mutmaßt der Germanist. Er könnte einem franziskan­ischen Laienorden angehört haben. Wahrschein­lich schloss er sich selbst mit ein, wenn er von laici uxorati (verheirate­ten Laien) sprach. „Ich bin nicht geweiht und auch nicht ordiniert zum Predigen“, liest Löser bei ihm.

Trotzdem lag dem Namenlosen sehr am Herzen, weltlichen Männern und Frauen die Heilige Schrift zu erschließe­n. Gegen Ultrakonse­rvative verteidigt­e er mit Nachdruck sein Recht, die Bibel in die Volkssprac­he zu übersetzen. Ihr seid doch neidisch, weil ihr um Geld predigt und um eure Einnahmen fürchtet, warf er ihnen vor. Hütete er dennoch seinen Namen aus Angst, ihm könne der Ketzerproz­ess gemacht werden? „Nein“, meint der Germanist, „die meisten mittelalte­rlichen Texte erschienen anonym, weil die Verfasser sagten: Ich bin ein Nichts und nur ein Sprachrohr Gottes.“Indes erfüllte den Bibelübers­etzer allemal ein starkes Sendungsbe­wusstsein. Denn er grenzte sich gegen Ketzer ab, die im Geheimen die Bibel lasen und aus Unverständ­nis deren Sinn verdrehten. Unser Mann dagegen wollte im Sinn der heiligen Kirche wirken.

Um sicher zu gehen, bot er seinen Lesern nicht nur den reinen Evangelium­stext, sondern reicherte ihn mit weiteren Informatio­nen über das Leben Jesu an, die er im apokryphen Nikodemus-Evangelium fand und in der Legenda Aurea, der großen Heiligener­zählung des Mittelalnu­r ters. „Nur weil diese Angaben nicht in den Evangelien berichtet werden, müssen sie nicht falsch sein“, argumentie­rte er. Seinem frömmigkei­tsbeflisse­nen Publikum kam er allemal entgegen, wenn er beispielsw­eise erzählte, wie die Heilige Familie auf der Flucht vor dem Kindermord des Herodes nach Ägypten von Räubern entführt wird. Der Badeschaum des Jesuskinds sollte sich als heilsam erweisen, als einer der üblen Kerle schwer verwundet wird. Geauch

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