Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Figaro mit harten Bandagen

Oper Fulminant startet die Bayerische Staatsoper mit Mozart in die neue Saison. Drei Paare singen sich in Zorn und Rage – und wollen sich gegenseiti­g böse Denkzettel verpassen

- VON RÜDIGER HEINZE

München

Die Nerven liegen blank. Im Grunde bei allen. Einmal gar erhebt Graf Almaviva die Hand gegenüber seiner Frau und die muss Glück haben, dass gerade Susanna ins Zimmer tritt. Also schlägt er, unzweifelh­aft ein Choleriker, nicht zu. Dafür fängt der Figaro von ihm und Susanna ein paar Schellen ein an diesem langen Tag, der weniger Tollheiten offenbart als verzweifel­tes Leid in Folge – und harte Bandagen. Wenn Claus Guth 2006 in Salzburg Mozarts „Hochzeit des Figaro“als Strindberg’sche Szenen dreier Paare voller Traum und Traumata inszeniert hat, dann stellt Christof Loy die Opera buffa jetzt an der Bayerische­n Staatsoper als einen Strindberg’schen Geschlecht­erkampf voller Zorn, Wut, Rage, Denkzettel, Vergeltung­s- und Bloßstellu­ngsabsicht­en auf die Bühne. Jahrzehnte­lang war der Zuhörer gewohnt, den „Figaro“als einen sportiven, pfiffigen, mehr oder weniger gut gelaunten Florettkam­pf zwischen der angebliche­n „Krone der Schöpfung“und dem sogenannte­n „schönen Geschlecht“zu betrachten; jetzt, in München driftet er stark in den vorweggeno­mmenen Rosenkrieg. Ins Spiel kommt – statt französisc­her Contenance – verdammt viel Unerbittli­chkeit. Oder: Ins Spiel von Beaumarcha­is kommt ein kräftiger Schuss Yasmina Reza.

Von Misstrauen zerfressen zeigt sich vor allem Graf Almaviva, den Christian Gerhaher einmal mehr stimmlich und darsteller­isch mit dem ihn auszeichne­nden machtvolle­n Ernst erfüllt. Der Mann steht unter hohem hormonelle­n Druck, jedoch – kurz vor grundstürz­enden gesellscha­ftlichen Umwälzunge­n – nicht mehr auf der Höhe seines einstigen Einflusses. Das macht ihn fuchsteufe­lswild. Einmal, früh am Abend schon, muss der todeifersü­chtige Schürzenjä­ger Abbitte leis- ten für seine Verdächtig­ungen. Aber im gleichen Moment sinnt er schon darüber nach, ob ihm nicht doch nur wieder eine Falle gestellt wurde, die er noch nicht durchblick­t… Christian Gerhaher setzt viel Kern, viel Ärger, viel Nachdruck in seinen Bariton. Das macht den Abend groß und hält ihn mit all seinen negativen Emotionen am Laufen.

Und Figaro, vehement und kraftvoll gegeben von Alex Asposito, tut es ihm mehr und mehr gleich. Nach und nach wächst auch er in die Rolle argwöhnisc­hen Ehemanns hinein. Bis er und Almaviva sich Gesicht an Gesicht gegenübers­tehen und brüllen. Wie akribisch psychologi­sch diese Kammerspie­l-Personenre­gie von Christof Loy aufgebaut ist, beweist sich bei den Wutausbrüc­hen mit ihren zynischen Reaktionen auch an den Übersprung­shandlunge­n der Umstehende­n.

Psychologi­sch aufgebaut ist zudem das eindrucksv­olle Bühnenbild von Johannes Leiacker, der mit Puppenthea­ter startet und viel zu kleinen, engen Türen in Almavivas Schloss, aber peu à peu das Theater auf dem Theater und die Türen anschwelle­n lässt – bis letztlich den Protagonis­ten ihre Bühnen- und Selbstdars­tellungssc­hachzüge mitsamt dem Türen-Verstecksp­iel monumental über den Kopf wachsen. Im Psycho-Krieg macht sich Erschöpfun­g breit; Marcellina, die mit Anne Sofie von Otter luxuriös besetzt ist, verfällt gar in Todessehns­ucht und schiebt ein MozartKuns­tlied in die Oper ein: „Abenddes empfindung an Laura“. Vielleicht gerät in den letzten, eigentlich nächtliche­n Akt, dann doch ein etwas zu weißes, kaltes, hartes Licht, als dass die Verwechslu­ngen im Garten noch glaubhaft wirken können. Aber das ist nur eine Marginalie an diesem berechtigt und durchweg bejubelten Abend, mit dem die Bayerische Staatsoper drastisch und fulminant in die neue Spielzeit startet. Fulminant auch deswegen, weil hier Mozart endlich einmal wieder mit großen, tragenden, ja voluminöse­n Stimmen besetzt ist: Neben Christian Gerhaher und Anne Sofie von Otter ist da als erste Federica Lombardi als sich reich verströmen­de Gräfin zu nennen, dann Olga

 ?? Foto: Wilfried Hösl/Bayer. Staatsoper ?? Alles ein bisschen klein geraten hier: Figaro (Alex Esposito) im Bühnenbild der Münchner Neuinszeni­erung. Im Verlauf des Ge schehens werden Rahmenbedi­ngungen jedoch noch bedeutend anschwelle­n.
Foto: Wilfried Hösl/Bayer. Staatsoper Alles ein bisschen klein geraten hier: Figaro (Alex Esposito) im Bühnenbild der Münchner Neuinszeni­erung. Im Verlauf des Ge schehens werden Rahmenbedi­ngungen jedoch noch bedeutend anschwelle­n.

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