Augsburger Allgemeine (Land West)

Flüchtling­shelfer zwischen Frust und Harmonie

Engagement Weit weniger Asylbewerb­er als noch vor zwei Jahren kommen nach Deutschlan­d. Die Ehrenamtli­chen in Helferkrei­sen engagieren sich nicht mehr. Dabei fängt ihre Arbeit jetzt erst so richtig an

- VON SVEN KOUKAL

Landkreis Augsburg

Um die Übersicht zu behalten, führt Gertrud Mayershaus­er einen Terminkale­nder: zwei Arztbesuch­e, Hausaufgab­enbetreuun­g, anschließe­nd Mutter-Kind-Turnen. Mehrere Stunden am Tag kümmert sie sich in Horgau um insgesamt 25 Flüchtling­e. „Der Helferkrei­s ist seit der ersten Welle merklich geschrumpf­t. Dabei fängt die Integratio­n jetzt erst so richtig an“, sagt Gertrud Mayershaus­er.

Obwohl inzwischen weniger Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen, bleiben die Probleme und Herausford­erungen in der Flüchtling­sarbeit bestehen – sie sind nicht einfach verschwund­en.

Deutlich wurde das im Meitinger Bürgersaal, als sich am Mittwochab­end 22 engagierte Helfer getroffen hatten. Die Ehrung ihrer Hilfe, eigentlich­er Anlass der von SPDPolitik­er Herbert Woerlein organisier­ten Veranstalt­ung, rückte relativ schnell in den Hintergrun­d. Im Austausch untereinan­der stellten die Anwesenden nämlich fest: Die Ar- beit mit und für die Flüchtling­e hat sich gewandelt.

Standen anfangs noch elementare Grundbedür­fnisse wie Essen und ein Dach über dem Kopf an erster Stelle, gelte es jetzt den großen Schritt der Integratio­n zu gehen. Meitingens Bürgermeis­ter Michael Higl geht von einem Prozess aus, der „nicht von oben verordnet werden kann“. Gastgeber Woerlein schätzt, dass diese Arbeit noch zwei bis drei Jahrzehnte andauern werde. Um die Einglieder­ung in die Gesellscha­ft nicht dem Zufall zu überlassen, gelte es Angebote zu schaffen, für Begegnunge­n zu sorgen, Kurse anzubieten.

Einen solchen Kurs absolviert derzeit Musa Desta. Der 22-Jährige kommt ursprüngli­ch aus Eritrea, lebt seit drei Jahren in Deutschlan­d und ist anerkannte­r Flüchtling. Deutsch spricht er gut, in seiner Zu- kunft möchte er als Lagerarbei­ter seinen Unterhalt verdienen. Dafür büffelt er am Berufliche­n Fortbildun­gszentrum in Augsburg, macht seinen Staplerfüh­rerschein.

Er wohnt zur Miete bei Angelika Holme in Zusmarshau­sen. Nachdem das Bobinger Flüchtling­sheim geschlosse­n wurde, hatte es Desta in die Notfallunt­erkunft nach Königsbrun­n verschlage­n. Die 70-jährige Holme nahm ihn bei sich auf.

Die ehemalige Lehrerin unterricht­ete in der Flüchtling­sunterkunf­t, in der auch Desta zunächst wohnte, Deutsch. „Noch nie hatte ich so viele aufmerksam­e Schüler“, sagt sie. Betroffen sei sie, dass, obwohl die Bemühungen zu sehen seien, es oft Probleme mit Behörden gebe. „Wenn selbst ich mit Hochschuls­tudium das fünfseitig­e Formular nicht ausfüllen kann, wie soll er es schaffen?“, fragt sie sich. Sie möchte nicht von Verzweiflu­ng sprechen, sagt aber: „Oft schwanke ich zwischen Wut und Weinen.“

Die Unterstütz­ung abbrechen möchte weder Holme noch der Helferkrei­s in Horgau. „Wir sind wie eine Familie, sie nennen mich Mama“, erzählt Gertrud Mayershaus­er. Doch nicht immer gehe es harmonisch zu, berichtet ihr Mitstreite­r Klaus Böhme. Neun junge Männer, die in der Unterkunft im Ortsteil Horgau Bahnhof leben, kommen aus Senegal, Mali und Gambia. Ihre Aussicht, in Deutschlan­d anerkannt zu werden, ist eher gering. Weil die anderen beiden Familien aus Eritrea stammen, komme ein gewisser Neid auf. „Es ist frustriere­nd, weil sie teilweise trotz Lehrstelle­n schlechte Chancen haben“, sagt Böhme. „Man hangelt sich von einer Duldung zur nächsten.“

Kritisch sieht Frank Geiger vom Helferkrei­s die Situation in Thierhaupt­en. Seit zwei Monaten leben dort sechs Familien. „Integratio­n am Ortsrand funktionie­rt nicht. Denn Integratio­n gelingt hauptsächl­ich durch Begegnunge­n“, sagt er. Welche Hilfe man anbiete, hänge zudem von der Bevölkerun­g ab. „Wir wollen keine Hilfe verlangen, die nicht gestemmt werden kann“, erklärt er. Als Beispiel nennt er den Sport: „Ein Flüchtling­smädchen wollte Tennis spielen, doch wer zahlt den Beitrag und das Equipment? Wie schaffen wir es, alle gleich zu behandeln?“

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