Augsburger Allgemeine (Land West)
Aus der Zeit gefallen
Hobby Wilfried Aust aus Dinkelscherben sammelt und restauriert Uhren. In seinem Haus hängen Hunderte. Viele sind um die 200 Jahre alt, es gibt einige kuriose Stücke. Warum der Rentner am Sonntag nicht alle umstellt
Dinkelscherben
Tick, tack, tick, tack, tick, tack. Manchmal kommt Wilfried Aust hier hoch ins Gästezimmer, setzt sich aufs Bett und lauscht einfach nur. Tick, tack, tick, tack, tick, tack. „Das hat was Beruhigendes“, sagt der 70-Jährige. Um ihn herum hängen etwa 20 Uhren, sie füllen den kleinen Raum mit dem gleichmäßigen Geräusch. Der Alltag ist schnell weit entfernt, das Leben bekommt einen neuen Takt.
Uhren faszinieren Wilfried Aust schon seit vielen Jahren. Vor allem die Präzision, mit der sie funktionieren. Wie ein Teil ins andere passt. Aust spricht ja nicht über Armbanduhren, auf denen digitale Zahlen leuchten, oder Wanduhren, die es für ein paar Euro im Baumarkt gibt. Aust sammelt seit gut 30 Jahren alte Uhren, vor allem aus der Jugendstilund Biedermeierzeit. Mittlerweile sind es Hunderte. Gut 50 Großuhren hängen in seinem Haus in Dinkelscherben, schätzt der ehemalige Friseur. Dazu kommen Taschenuhren, Wecker, Sanduhren und Barometer. Er hat sie im Flur, im Treppenhaus, in der Küche und im Wohnzimmer aufgehängt, selbst im Schlafzimmer. Und die meisten eben im Gästezimmer, dort wo es so beruhigend tickt. Wobei die Uhren nicht immer alle laufen, gibt der 70-Jährige zu. Wenn zum Beispiel sein Sohn aus Amerika zu Gast ist, dann hält er sie an. Ans Schlafen wäre sonst nicht zu denken. Zumal es nicht möglich ist, alle so einzustellen, dass sie exakt die gleiche Zeit zeigen. Zur vollen Stunde würde es also womöglich minutenlang läuten. Eine Uhr würde noch eine Melodie dazu spielen. Und drei Kuckucksuhren gibt es ja auch noch. Und den sogenannten Augenwender, der im Takt des Pendels mit den Augen wackelt. „Mein Sohn sagt immer, er schläft hier im Museum“, sagt Aust und grinst. Er hat schon recht.
Wobei: Wenn die Uhren erst mal an der Wand hängen, dann ist für Wilfried Aust die wichtigste Arbeit schon getan. Denn der Rentner kauft die Uhren aus Nachlässen oder von anderen Sammlern. Manche kommen aus dem Internet, die meisten aber aus der Region. Oft sind sie in keinem guten Zustand, schließlich sind sie häufig um die 200 Jahre alt. Der Dinkelscherber richtet sie dann in stundenlanger Kleinarbeit wieder her. Es kann schon mal ein Jahr dauern, bis eine Uhr seine Werkstatt wieder verlässt. Aust zerlegt das Gehäuse zunächst in all seine Einzelteile, damit er es dann reinigen und restaurieren kann. Und am Ende passt alles wieder zusammen? Kein Problem, sagt der Experte. Erst kürzlich hat er eine Wiener Hausmeisteruhr fertiggestellt. Die Alabastersäulen, die Perlmuttdeko und der vergoldete Stuck glänzen wieder wie neu. „Für mich ist wichtig, alles wieder so zu machen, wie es früher war“, sagt Aust. Das Handwerkszeug dazu hat sich der Friseurmeister über die Jahre selbst beigebracht, hat Schreinern und Restauratoren zugeschaut und sie ausgefragt. „Mehrere Finger haben allerdings schon darunter gelitten“, sagt Aust und zeigt seine linke Hand. Wenn er mit den komplexen Uhrwerken nicht weiterkommt, dann hilft ihm sein Schwager.
Aust ist nicht nur ein Spezialist für Zimmeruhren, er hat auch schon mehrere alte Turmuhren wieder hergerichtet, zum Beispiel die aus Dinkelscherben, Kutzenhausen- Buch und Ziemetshausen-Schönebach. Sie erinnern den Rentner daran, dass die Zeit früher eine ganz andere Bedeutung hatte. Anfangs gab es nur eine Uhr im Dorf: auf dem Kirchturm. Taschenuhren waren lange zu wertvoll und wurden nur sonntags am Wams getragen. Es gab dafür prächtige Ständer, in die sie der Bauer an den anderen Tagen hängen konnte. Solche gibt es natürlich auch im Haus bei Familie Aust. Genauso wie Dutzende Barometer. Nicht nur die reich verzierten der Bürger, sondern auch ganz einfache von Bauern, die diese um 1880 auf ihren Höfen aus Kirschbaumholz gefertigt haben.
Besonders stolz ist Wilfried Aust auf seine Turmuhr aus Leipzig. Sie ist von 1894 und hing einst in einem Bahnhof. Jetzt pendelt sie an seiner Hausfassade – und zwar an einer ganz bestimmten Stelle: neben dem Eingang, über dem Kellerabgang. Nur da hat das Gewicht Platz, etwa vier Meter in die Tiefe zu sinken. Acht Tage lang treibt es die Uhr so an, dann muss Aust kräftig kurbeln, um das Gewicht wieder nach oben zu ziehen. Für sein Schmuckstück hat er auch extra ein Vordach aus Blech gebaut, damit die Sonne die aufwendig restaurierte Uhr nicht ausbleicht.
Die Leipziger Bahnhofsuhr ist auch eine der wenigen, die Wilfried Aust in der Nacht zum Sonntag auf Winterzeit umstellen wird. Bei allen wäre ihm das zu aufwendig. Da beschränkt er sich lieber aufs Saubermachen – vorsichtig abstauben, nicht wischen oder rubbeln, das schädigt die empfindlichen Materialien, betont er. Und ein paar „Wracks“hat er ja auch noch im Keller, die auf die Restaurierung warten. Der Uhrenliebhaber muss nur noch die passenden Ersatzteile dafür auftreiben. Dann verzieht er sich wieder für ein paar Stunden in seine Werkstatt. Denn das ist das Schönste am Rentnerdasein, findet er: Zeit haben.