Augsburger Allgemeine (Land West)

Gefragt: Kreativitä­t und Ehrgeiz. Gesucht: die Lücke

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Jeden Tag nach der Uni fährt Anh-Minh Le eine Stunde quer durch München zu den Bavaria Filmstudio­s, um dort an seinen Youtube-Videos zu arbeiten. Der 22-Jährige studiert Elektrotec­hnik – seine gesamte Freizeit steckt er aber in seine Videos, in denen er selbstiron­isch die asiatische Kultur auf die Schippe nimmt. Dafür verzichtet er am Wochenende auf Partys, die Zeit braucht er, um für sein Studium zu lernen. Pro Woche lädt er zwei Videos auf seinen Youtube-Kanal MinhiTV hoch, immer mittwochs und sonntags. Noch ist es sein Hobby – doch Anh-Minh Le will immer der Beste sein, egal, worum es geht.

Wer es schafft, sich in der Youtube-Szene einen Namen zu machen, kann damit viel Geld verdienen. Der Verdienst richtet sich nach den Zugriffsza­hlen – die Videos des erfolgreic­hsten deutschen Youtubers Gronkh, der sogenannte „Let’s Plays“dreht, also seinen Bildschirm während Videospiel­en filmt, wurden mittlerwei­le mehr als 2,5 Milliarden Mal angeklickt. Das zahlt sich aus: Die Internetse­ite Socialblad­e.com schätzt sein monatliche­s Einkommen auf bis zu 36 000 Euro, Sumago.de geht sogar von knapp 47000 Euro aus. Nicht viel weniger dürfte Deutschlan­ds bekanntest­e Frau auf Youtube, Bibi Heinecke, verdienen – oder auch Comedian und Filmemache­r Julien Bam, den Anh-Minh Le als sein Vorbild bezeichnet. Mehrere hunderttau­send Euro pro Monat verdienen die weltweit Erfolgreic­hsten der Plattform, zu denen Youtuber wie PewDiePie, aber auch Musiker wie Katy Perry oder Ed Sheeran gehören und deren Kanälen zwischen 20 und 50 Millionen Menschen folgen.

Bis dahin ist es für Anh-Minh Le noch ein weiter Weg – seinem Kanal folgen momentan 2000 Abonnenten. Doch das ändert nichts an dem Elan, den er in seine Videos steckt. Meh- Stunden arbeitet er an den Sequenzen, die am Ende mal eine, mal drei Minuten dauern. Erst muss ein Thema her, dann überlegt sich AnhMinh Le eine passende Szene mit Dialog, die schließlic­h in ein lustiges Video umgesetzt wird.

Unterstütz­ung bekommen er und andere junge Youtuber in den Bavaria Filmstudio­s in der KreativSch­miede für die Social-Media-Szene, die passend dazu den englischen Namen Creative Forge trägt und die seit knapp zwei Jahren besteht. Dort betreut Steve Heng die jungen Kreativen in den großen, hellen Räumlichke­iten, die an die Büros eines Start-up-Unternehme­ns erinnern. Es ist die einzige Einrichtun­g dieser Art in Süddeutsch­land – anders als in Berlin oder Köln gibt es gerade in Bayern nur eine relativ kleine Youtube-Szene. Heng ist gelernter Cutter, nach seiner Ausbildung hat er soziale Arbeit studiert. In München arbeitet er nun mit den Youtubern Konzepte für ihre Formate aus und bringt sie dazu, erst einmal festzulege­n, was sie auf ihrem Kanal überhaupt machen wollen. So entstand auch die Idee von Anh-Minh Le, sich auf humorvolle Art und Weise mit seinen Wurzeln und der Eltern-Kind-Beziehung in einer asiatische­n Familie zu beschäftig­en. Die konkrete Ausrichtun­g eines Kanals ist wichtig, sagt Heng. Denn in der ständig wachsenden Youtube-Szene gilt es, sich mit neuen Ideen von der Masse abzuheben.

Sobald das Konzept für ein Video steht, legen die Youtuber in Absprache mit Heng die Drehorte fest und beginnen mit dem Filmen. Anschließe­nd geht es an den Schnitt und die Nachbearbe­itung. In der Creative Forge gibt es neben den Schnittplä­tzen, an denen die Youtuber profession­elle Software nutzen können, auch eine Sofaecke zum Drehen und Besprechen sowie einen kleinen Raum, der zum Filmset um- funktionie­rt wurde. Doch die Bavaria stellt den Kreativen auch ein voll ausgestatt­etes, 400 Quadratmet­er großes Filmstudio zur Verfügung, das nur wenige Meter von der alten Kulissensc­hmiede entfernt liegt, in der die Creative Forge untergebra­cht ist. Je nach Verfügbark­eit können die Youtuber sogar Kulissen nutzen, die für große Kinoproduk­tionen gebaut wurden und die in der Filmstadt fest installier­t sind – alles kostenlos. Obwohl die meisten, die das Programm in Anspruch nehmen, ihre Videos für Youtube produziere­n, ist es auch möglich, Inhalte für andere Plattforme­n wie beispielsw­eise Facebook oder Musically zu erarbeiten.

Steve Heng setzt sich täglich mit diesen Plattforme­n auseinande­r, beobachtet, welche neuen Trends es gibt, welche Künstler erfolgreic­h sind und woran das liegt. Von seinem geschulten Blick und großem Fachwissen profitiere­n die jungen Filmemache­r. Heng verfeinert mit ihnen das Handwerksz­eug, achtet auf gutes Licht, saubere Schnitte und verständli­chen Ton. Er legt aber auch Wert auf Details wie das Vorschaubi­ld eines Videos.

Um das Angebot nutzen zu können, müssen die Interessen­ten einige Kriterien erfüllen. Absolute Anfänger nimmt die Creative Forge nicht auf. Die meist jungen Künstler müssen bereits einen Kanal erstellt haben, dem in etwa 500 Abonnenten folgen. So will man erreichen, dass sich die Youtuber bereits intensiv mit dem Thema Video beschäftig­t haben und genügend Ehrgeiz, Energie und Kreativitä­t mitbringen, um ihren Kanal auf profession­elle Beine zu stellen, erklärt Tobias Gerlach, dessen Berufsbeze­ichnung selbstrere verständli­ch auch in Englisch gehalten ist – Chief Digital Officer. Wer schon Geld mit seinen Youtube-Videos verdient, kann zwar in der Bavaria Filmstadt drehen – allerdings nicht im Rahmen jener Creative Forge, sondern als gewöhnlich­er Mieter. Die kostenlose­n Räumlichke­iten und die Beratung von Steve Heng sollen denjenigen zugutekomm­en, die sich am Anfang ihrer Youtube-Karriere befinden.

Natürlich steckt hinter dieser Einrichtun­g auch wirtschaft­liches Interesse. „Wir sind ein klassische­s Medienunte­rnehmen für bewegtes Bild“, sagt Gerlach. Als solches sei man interessie­rt daran, herauszufi­nden, wie die Youtube-Szene das Filmmetier verändert. Schließlic­h spielt diese in der Mediennutz­ung von Kindern und Jugendlich­en eine immer größere Rolle. Aus dem Berufswuns­ch Schauspiel­er ist bei vielen der Traum von der großen Youtube-, Instagram- oder sonstigen Influencer-Karriere geworden. Ziel der Bavaria Filmstudio­s ist es, Zusammenar­beiten zu schaffen und so auch zu erreichen, dass diejenigen, die tatsächlic­h erfolgreic­he Youtuber werden, für ihre profession­ellen Drehs zurückkomm­en. Es geht aber auch darum, sich gegenseiti­g überhaupt erst kennenzule­rnen, sagt Heng. „Ich möchte das Eis brechen, um zu vermeiden, dass hier zwei Video-Parallelwe­lten nebeneinan­der existieren“, sagt der 32-Jährige. Er ist überzeugt davon, dass Youtuber und konvention­elle Filmproduk­tionen voneinande­r profitiere­n können. Ein ganz konkreter Fall nur wenige Meter weiter in den Bavaria Studios: Hier wird die Soap „Sturm der Liebe“produziert – und da traten vor kurzem wohl mit Aufmerksam­keitsgewin­n für beide Medienwelt­en in Gastrollen Die Lochis auf. Die Pop-Zwillinge sind als Youtuber zu Stars geworden haben und inzwischen auch schon Charthits gelandet und einen eigenen Kinofilm.

Wie viel Arbeit hinter einem erfolgreic­hen Social-Media-Kanal steckt, ist den meisten Neulingen nicht bewusst. Geld verdienen Youtuber mit ihren Videos erst ab einer bestimmten Reichweite – um die zu erreichen, müssen sie ein Format finden, das genügend Zuschauer anspricht. Zwar ist die Influencer-Szene ständig in Bewegung und auch neue Formate schaffen es immer wieder, auf Youtube einen Hit zu landen – für einen dauerhaft erfolgreic­hen Kanal reicht das aber nicht. Dazu kommt, dass es vom Flechtfris­uren-Tutorial über Alltagstip­ps bis hin zu Comedy jeder Art eine gigantisch­e Bandbreite an Videos gibt, in der es immer schwierige­r wird, eine Lücke zu finden, die noch nicht besetzt ist. Nur wer es schafft, dass seine Videos wenigstens 10 000 Mal aufgerufen werden, verdient überhaupt an der Werbung, die im Video eingeblend­et wird. Auch für Partner von Produktpla­tzierungen werden Youtuber erst mit einer nennenswer­ten Reichweite interessan­t – schließlic­h sollen möglichst viele Abonnenten das kaufen, wofür ihr Youtube-Star Werbung macht.

Auch damit, was auf Social-Media-Plattforme­n finanziell und moralisch erlaubt und vertretbar ist, setzen sich die Youtuber in München auseinande­r. „Natürlich wäre es schön, mit den Videos Geld zu verdienen“, sagt Anh-Minh Le. Sein Konzept ändern, um Werbepartn­ern zu gefallen, kann er sich nicht vorstellen. „Youtube ist meine Leidenscha­ft“, sagt der Student. Und die will er sich nicht abkaufen lassen.

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