Augsburger Allgemeine (Land West)

Freunde denken, nun geht es besser. Dabei realisiere­n die Hinterblie­benen den Verlust gerade erst richtig

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Diese schwierige Aufgabe bewältigt zu haben, wird von ihnen rückblicke­nd meist als Gewinn gesehen“, erklärt Wittkowski, der die Untersuchu­ng durchführt­e. Auch die Autorinnen des Trauerbuch­es fanden viele Belege dafür, dass an dieser Aussage etwas dran ist. Dennoch warnen sie davor, Trauer zu glorifizie­ren. Eine Mutter, deren Sohn mit zwölf Jahren an Krebs starb, sagt: „Auch wenn ich gelernt habe, mit dem Schmerz zu leben, und wir jetzt ein relativ zufriedene­s Leben führen – der Schmerz ist immer da, der geht nie weg.“

Deutlich wird in den Berichten auch, wie groß die Kluft zwischen den trauernden Familien und ihrer Umgebung ist. Viele Verwandte und Freunde zeigen zwar große Anteilnahm­e und Hilfsberei­tschaft. Bei einigen sind aber Angst und Unsicherhe­it so groß, dass sie den Trauernden aus dem Weg gehen. „Auch wir waren von manchen engen Bezugspers­onen enttäuscht. Ich hätte mir mehr Nachfragen gewünscht“, erzählt Silia Wiebe. „Die Scheu, uns auf den Tod unseres Sohnes anzusprech­en, war sehr groß.“Sie hofft, dass auch Nicht-Betroffene das Buch lesen und dadurch mehr Verständni­s für Trauernde entwickeln.

Dazu gehört auch das Wissen darum, dass die Trauer nicht einfach nach ein paar Monaten wie eine dunkle Wolke verfliegt. Verena Kast hat verschiede­ne Phasen der Trauer beschriebe­n, die bei jedem Menschen unterschie­dlich ausgeprägt sind. Erst nach neun Monaten merken viele Hinterblie­bene, dass sie ihren geliebten Menschen wirklich verloren haben. „Doch ausgerechn­et zu diesem Zeitpunkt haben Freunde und Angehörige das Gefühl: Nun soll es aber langsam mal besser werden. Das läuft richtig gegeneinan­der“, sagt Kast im Interview. Joachim Wittkowski hat in seiner Studie zwar festgestel­lt, dass sich die Trauer im Laufe von drei Jahren stark verändert und an Intensität nachlässt. Doch auch er sagt: „Das Trauern dauert länger, als viele meinen.“

Mehr als zwei Jahre nach Lindas Tod ist der Trauerproz­ess ihrer Eltern noch lange nicht abgeschlos­sen. Und er wird es wohl nie sein. „Wir wollen irgendwann dahin kommen zu sagen: Wir sind froh, sie gehabt zu haben. Aber so weit sind wir noch nicht“, berichtet ihr Vater. „Und manchmal kommt die Angst in mir hoch, mein Kind zu vergessen, und ich merke, ich will den Schmerz auch empfinden. Denn er ist ein Teil dessen, was mir von Linda geblieben ist.“

 ?? Kösel Verlag, München, 174 Seiten, 18,99 Euro. ?? Silia Wiebe, Silke Baumgar ten: Das Trau erbuch für El tern. Was Müt tern und Vätern nach dem Tod ihres Kindes geholfen hat.
Kösel Verlag, München, 174 Seiten, 18,99 Euro. Silia Wiebe, Silke Baumgar ten: Das Trau erbuch für El tern. Was Müt tern und Vätern nach dem Tod ihres Kindes geholfen hat.

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