Augsburger Allgemeine (Land West)

Mücken statt Maikäfer

Interview Klaus Kuhn vom Naturwisse­nschaftlic­hen Verein erklärt, wo sich der Insektensc­hwund in der Region besonders dramatisch auswirkt – und warum es trotzdem im Spätherbst noch Stechmücke­n gibt

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Herr Kuhn, selbst Ende Oktober schwirren in Augsburg noch Stechmücke­n herum, wie passt das mit dem rapiden Schwund von Insekten in Deutschlan­d zusammen?

Kuhn: Ob es Mücken gibt, hängt vom Wetter ab. In den vergangene­n Wochen war es noch schön und relativ mild. Mücken haben einen kurzen Entwicklun­gszyklus, brauchen nur kleine Pfützen und können sich schnell vermehren, da kann sich die Saison bei passender Witterung bis in den Herbst hinein verlängern.

Forscher haben einen dramatisch­en Rückgang der geflügelte­n Insekten dokumentie­rt. In knapp 30 Jahren ist ihr Bestand in Deutschlan­d um mehr als drei Viertel geschrumpf­t. Wie ist die Situation im Raum Augsburg?

Kuhn: Auch hier nimmt vor allem die Masse stark ab, aber auch die Artenvielf­alt. Das zeigen mir schon allein schon meine Beobachtun­gen als Naturforsc­her in den vergangene­n 30 Jahren. Ein Beispiel: Früher musste man im Mai und Juni auf den Feldwegen mit dem Rad Slalom fahren, weil dort so viele Käfer krabbelten. Heute ist das nicht mehr der Fall.

Welche Insekten gehen besonders stark zurück?

Kuhn: Besonders auffällig ist in Schwaben der Rückgang von großen Käfern, die einen langen Entwicklun­gszyklus haben. Sie nehmen überpropor­tional ab. Der Maikäfer und viele große Laufkäfera­rten beispielsw­eise sind in der Region schon fast ausgestorb­en. Die genauen Gründe kennen wir bislang nicht, wir können nur spekuliere­n.

Wenn es weniger Insekten gibt, gibt es auch weniger Nahrung für heimische Vögel. Welchen Trend stellen Sie fest?

Kuhn: Die Nahrungske­tte bricht ab. Besonders betroffen sind Arten der offenen Feldflur, etwa Kiebitze oder Feldlerche­n. Denn auch in der Region wurde sehr viel Grünland in Ackerfläch­en verwandelt. Wiesen werden so oft gemäht, dass die Vielfalt der Pflanzen dramatisch sinkt – und damit die Zahl der Insekten. Wir haben im Augsburger Raum schon Wiesen, die völlig frei von Heuschreck­en sind. Das ist ein Alarmzeich­en. Denn bei Heuschreck­en gibt es viele Allerwelts­arten, die keine großen Ansprüche an ihren Lebensraum haben. Insekten wie Heuschreck­en sind Nahrung für den Kiebitz. Eine Zählung der Kiebitze im Kreis Aichach-Friedberg ergab, dass diese Vogelart zwischen 1973 und 2010 um 40 Prozent abgenommen hat. Der Kiebitz ist dort vom Aussterben bedroht. Die Zählung wurde beim Naturwisse­nschaftlic­hen Verein veröffentl­icht.

Wird die Entwicklun­g der Arten auch hier beobachtet und dokumentie­rt?

Kuhn: Eigentlich ist es die gesetzlich­e Aufgabe des Landesamte­s für Umwelt, regelmäßig Erhebungen zum Zustand der Arten in Bayern zu machen, denn dort werden auch die Roten Listen geführt. beim aktuellen Personalst­and im LfU ist das nach unserem Eindruck aber offenbar nicht zu leisten. Der Naturwisse­nschaftlic­he Verein versucht, die Lücken im Datenbesta­nd mit eigenen ehrenamtli­chen Zählungen zu füllen. Die Ergebnisse leiten wir ans Landesamt weiter. Aber der Aufwand ist für uns immens.

Was können wir gegen den Insektensc­hwund tun?

Kuhn: Wir brauchen vor allem eine andere Agrarpolit­ik, die mehr Lebensraum auch für Arten in der Agrarlands­chaft lässt. Aber gerade auch wir Verbrauche­r sollten beim Einkauf von Lebensmitt­eln darauf schauen, dass sie umweltfreu­ndlich produziert wurden.

Interview: Eva Maria Knab

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Foto: Lander, dpa Auch wenn Insekten stark abnehmen, sind Mücken in diesem Jahr noch spät unterwegs.

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