Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Stimme der Natur
Peter Wohlleben erreicht Millionen mit seinen Geschichten über den Wald und die Tiere. Er hat eine Botschaft – aber auch Feinde
Er sagt: „Wenn wir etwas für die Natur selbst tun wollen, gibt es eigentlich nur eines: Hände in die Hosentaschen. Denn die Natur braucht uns nicht.“Er sagt: „Wir verstehen noch immer so wenig von der Komplexität unserer Umwelt, dass wir gar nicht erst versuchen sollten, in sie manipulierend einzugreifen oder sie zu kontrollieren – weil wir gar nicht wissen, was wir damit alles auslösen.“Er sagt: „Das Insektensterben und vieles mehr, natürlich gibt es reichlich Gründe, sich Sorgen zu machen, wir befinden uns in einem großen Umbruch – aber vor allem sollten wir auch wieder lernen, uns an der Natur zu freuen!“
Ist das nicht naiv? Wir bangen vor den Auswirkungen des Klimawandels und lesen über immer weiterreichende Eingriffe ins Erbgut von Pflanze, Tier und Mensch. Das Artensterben, die Luft in manchen Großstädten ist giftig, die Verheerungen durch den Raubbau an der Natur, die Folgen der industriellen Landwirtschaft, womöglich Glyphosat in unserem Bier… Und wir sollen was? Hände in die Hosentaschen und uns einfach wieder mehr freuen? Zum Beispiel daran: Wie ein Baum seine Ableger nährt, als stille die Mama ihre Kinder. Oder daran: Dass in einer Naturlandschaft mit Wölfen die Flüsse anders fließen und darum eine größere Artenviel- falt entsteht – weil das Rotwild sich verstecken muss, also die Ufer nicht abnagt, dann die Biber kommen und all die Tiere und Gras und Schilf. Mit Wölfen! Dazu später noch. Aber zunächst mal: Klingt das nicht märchenhaft? Aber tatsächlich: Irgendwo zwischen immer virtuelleren Arbeits- und Freizeitwelten, dem Bio-Einkauf, dem Entschleunigungswochenende in den Bergen für die Großen und der Anmeldung im Waldkindergarten für die Kleinen trifft das alles einen Nerv. Denn diese Freude und die Geschichten gehören zu einer Botschaft über den Menschen in der Natur, die so naiv eben doch nicht ist. Was sich auch daran zeigt, dass sie nicht unumstritten ist…
Es ist Freitag, elf Uhr, Peter Wohlleben lacht am Telefon. Natürlich war er schon im Wald. Er lebt mit seiner Frau ja mittendrin, ihr Forsthaus in Hümmel, Rheinland-Pfalz, steht in seinem Revier, einem 4000 Jahre alten Buchenwald. Dieser Wald, er ist der Lebensraum des fast zwei Meter großen Hünen, der sagt: „Sobald ich morgens die Haustür öffne, bin ich im Wald.“Dann das Füttern der beiden Pferde, der Ziegen … Die Waldarbeiten, die hier „naturnah“sind, also ohne schweres Gerät, ohne Pflanzenschutzmittel… Und nachher noch rüber in die Waldakademie. Dort bietet Wohlleben seit Anfang des Jahres mit inzwischen sieben Mitarbeitern, darunter die 26-jährige Tochter, Seminare und Fortbildungen an, dort macht er also noch immer das, womit alles begonnen hat: Waldführungen. Er erzählt den Menschen über das Leben der Pflanzen und Tiere, lässt die Kinder den Unterschied zwischen Buchenund Birkenblättern schmecken. Irgendwann hat ihn seine Frau dazu ermutigt, das aufzuschreiben und damit hat die Verwirklichung seines Kindheitstraums begonnen.
Denn Peter Wohlleben sagt, er wollte immer schon Naturschützer werden. Und nachdem er Forstwirtschaft studiert und als Förster gearbeitet hat, bringt ihn sein Wald genau als ein solcher nun in alle Welt. Die drei seit 2015 erschienenen Bücher wurden allein in Deutschland über 1,2 Millionen Mal verkauft, „Das geheime Leben der Bäume“wurde bereits in 40 Sprachen übersetzt, auch nach Japan und Russland, es wurde in Kanada „Sachbuch des Jahres“und verwickelte Wohlleben etwa in die polnische Politik – als Gewährsmann für Proteste dagegen, dass es dort in Städten und Gemeinden überhaupt keinen Schutz für Bäume gibt. Und alles wegen dieser hübschen, märchenhaften Geschichten? Wegen der Freude?
Peter Wohlleben sitzt an seinem Schreibtisch zu Hause im Forsthaus und tut, was er so viel und so gerne tut: gut gelaunt und ausführlich erzählen, Herr über sein Thema, immer einem Lachen nahe. Der Tisch ist aus Holz, wie er auch mit Holz heizt („auch wenn das für die Bäume Leid bedeutet“), wie er auch nicht etwa Veganer ist. Weil er nicht als Betonideologe, sondern als ein aus dem Erleben Überzeugter spricht. Gerade lacht er über die Frage, ob er denn mit den Bäumen rede, beantwortet sie dann aber ernst: „Mit Bäumen nicht, denn die leben in einer so unglaublich verlangsamten Zeit, dass sie eben gut und gern tausend Jahre alt werden können – und weil sie so langsam sind, kann eine Kommunikation da eben nicht zustande kommen. Mit Tieren aber natürlich, wenn auch meist nicht mit Worten. Wer in den Wald geht, kommuniziert sowieso mit ihnen, ob er will und es weiß oder nicht.“Und darum erteilt er in seinem neuen Buch „Das geheime Netzwerk der Tiere“einen Rat, der vielleicht manchen überraschen mag: Kinder sollten im Wald gerade nicht zu Ruhe angehalten werden – denn durch den Lärm wüssten die Wildtiere, dass sich hier keine Jäger anschlichen, und ließen sich darum sogar auch besser beobachten.
Aber jetzt Freitag, halb zwölf in Hümmel: zum Grundsätzlichen. Denn Peter Wohlleben hat Feinde. 4500 Unterschriften sammelte eine Online-Petition unter dem Motto: „Auch im Wald: Fakten statt Märchen – Wissenschaft statt Wohlleben“, angezettelt von Christian Ammer, Professor für Forstwirtschaft in Göttingen, gegen das BäumeBuch. Der bemängelt wissenschaftliche Unkorrektheiten. Eine verteidigende