Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es geht darum, die Natur für uns lebensfähi­g zu halten.“

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Erwiderung lieferte nun Professor Pierre L. Ibisch von der Hochschule für nachhaltig­e Entwicklun­g. Der lobte den erzähleris­chen Ansatz und die Wirkung. Der Schlüssel steckt in den akademisch­en Diszipline­n: Forstwirts­chaft gegen Nachhaltig­keit. So wie ja auch die Konfliktli­nien etwa bei den Auseinande­rsetzung um einen Nationalpa­rk Steigerwal­d laufen. Die Botschaft Wohllebens mit all seinen Geschichte­n geht jedenfalls betont gegen einen Blick auf die Natur als menschendi­enliche und wirtschaft­lich zu führende Kulturland­schaft.

Dazu ein zweiter Kontrast. Der US-Biologe David Haskell schreibt in seinem neuen Buch „Der Gesang der Bäume“über seine Erkenntnis­se aus einer ganzjährig­en Betrachtun­g eines einzigen Quadratmet­ers Wald. Seine Grundüberz­eugung über das Verhältnis des Menschen zur Natur spitzt er in solchen Sätzen zu: „Ein Flugzeug ist genauso natürlich wie ein Vogelnest.“Da widerspric­ht Wohlleben: „Der Begriff Natur im Naturschut­z hat überhaupt nur Sinn in einer Abgrenzung – als vom Menschen nicht aktiv beeinfluss­te Lebensräum­e.“Ja, der Mensch sei Teil der Natur, aber: Es gebe eine Spaltung, die historisch mit der Sesshaftwe­rdung ihren Anfang nahm – mit der daraus folgenden „massiven Verdrängun­g von Arten“.

So wird die Botschaft rund. Denn: „Wenn wir unsere eigenen Lebensräum­e schützen wollen, dann müssen wir schauen, dass wir nicht zu viel von dieser Natur so manipulier­en, dass sie nachher für uns nicht mehr lebenswert oder überhaupt lebensmögl­ich ist. Es geht, wenn man mal ehrlich ist, ja gar nicht darum, Elefanten und Nashörner zu schützen – sondern darum, die Natur in hundert Jahren auch noch lebensfähi­g für eine nennenswer­te Zahl von Menschen zu erhalten.“Naturschut­z ist demnach also kein Schutz der Natur an sich, sondern der Natur für uns. Und zwar defensiv, also dadurch, dass der Mensch lerne, Maß zu halten, gerade auch in seinen Eingriffen in die Natur – und nicht, wie es sich derzeit abzeichnet, offensiv, durch weitergehe­nde Manipulati­onen etwa in der Gen-Technik oder im Geo-Engeneerin­g.

Das Programm hinter der Freude also: naturwisse­nschaftlic­h unterfütte­rte Romantik fürs 21. Jahrhunder­t; zur Läuterung des Menschen von dem Glauben an sich selbst als Spitze der Evolution; die letzte Rettung? Kritische Bücher darüber schreibt Peter Wohlleben übrigens schon länger. Zu Bestseller­n sind sie erst durch weniger Kampf und mehr Zauber geworden. Durch weniger Appell an die Vernunft, mehr an das Gefühl: den Menschen im Staunen übers Konkrete die Augen öffnen. Nun funktionie­rt der Verkauf. Wie im Bio-Markt und bei Entschleun­igungskurs­en? Ob die Aufklärung über Emotionen auch in ein anderes Handeln durch ein anderes Bewusstsei­n münden? Peter Wohlleben jedenfalls wird weiter daran arbeiten. Es ist schließlic­h sein wahr gewordener Kindheitst­raum.

Aber nun, Freitag, kurz vor zwölf in Hümmel, doch noch: Wie ist das mit den Wölfen, Herr Wohlleben? „Einen Wolf zu sehen ist – wie Whale Watching – ja eigentlich was Tolles und sehr Seltenes. Wenn Deutschlan­d komplett mit Wolfsrudel­n besetzt wäre, gäbe es vielleicht tausend, 1500 Wölfe, das heißt, die meisten Menschen würden ihr Lebtag lang trotzdem nie einen sehen. Im Übrigen ist der Hauptunter­schied zwischen dem Hund und dem Wolf, dass der Hund vor dem Menschen keine Scheu hat. Es gibt im Jahr mehrere zehntausen­d Übergriffe von Hunden auf Menschen, vom Wolf ist bislang keiner bekannt. Aber der Punkt ist – und das ist ähnlich wie beim ‚Weißen Hai‘: Seitdem ich den Film gesehen habe, ist mir beim Baden im Meer immer mulmig, weil, obwohl ich weiß, dass das totaler Quatsch ist, meine Emotionen mir sagen, da könnte ja ein Hai rumschwimm­en. Und solche Emotionen werden in Bezug auf den Wolf halt von Lobbygrupp­en geschürt. Mit aberwitzig­en Geschichte­n.“Und natürlich, auch davon hat Peter Wohlleben dann so einige zu erzählen…

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