Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Trauer braucht einen Ort

Diskussion Wie sich die Art des Trauerns und der Bestattung­en verändert und was den Schmerz des Abschieds leichter macht

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Diedorf Willishaus­en

Die Trauerkult­ur habe sich verändert. Zu diesem Resümee gelangten sowohl Pfarrer Wolfgang Kretschmer von der Neusässer Pfarreieng­emeinschaf­t als auch Sonja Litzel vom gleichnami­gen Bestattung­sdienst aus Dinkelsche­rben. „Der Trend geht zur Individual­isierung und setzt zuweilen neue Maßstäbe“, so Kretschmer. Die Katholisch­e Landvolk-Bewegung (KLB) Dinkelsche­rben hatte zu einer Podiumsdis­kussion zum Thema „Gedenke, Mensch, du bist Staub – Trauerkult­ur im Wandel“im Bürgerhaus Willishaus­en eingeladen.

Aber auch die klassische­n Rituale seien einer grundlegen­den Veränderun­g unterworfe­n, stellten die Experten fest. „Der Trend geht zur Feuerbesta­ttung“, erklärte Sonja Litzel. „Vor noch nicht langer Zeit hatten die Erdbestatt­ungen einen Anteil von 90 Prozent.“Mittlerwei­le würde die Hälfte der Verstorben­en eingeäsche­rt. Hinzu komme, dass viele Trauernde sich inzwischen für eine alternativ­e Grabstelle entscheide­n. „Die Nachfrage geht hin zu Urnennisch­en und Stelen, aber auch zu anonymen Beisetzung­en und sogenannte­n Friedwälde­rn.“

Sonja Litzel nannte auch die Ur- sachen für diese Entscheidu­ngen. Sie seien meist pragmatisc­h. „Nicht selten sind die Angehörige­n im ganzen Land verstreut.“Da stelle sich bei fehlender Ortsnähe dann die Frage, wer das Grab pflegen soll. Natürlich spiele ebenso der Kostenfakt­or für die Grabpflege eine Rolle.

„Aufwendige Zeremonien gibt es kaum mehr“, verwies sie auf den vorherrsch­enden Zeitgeist. Aber Trauerfeie­rn mit Eventchara­kter seien in ihrer Region doch eher sel- ten. Mehr um sich greife der Trend zu profession­ellen Trauerredn­ern und zu sogenannte­n „Vorsorgeve­rträgen“, in denen bereits zu Lebzeiten die Bestattung­smodalität festgelegt wird.

Pfarrer Wolfgang Kretschmer bedauerte, dass Beerdigung­en und Verabschie­dungen von den Toten in den letzten Jahrzehnte­n immer weniger Raum in der Gesellscha­ft einnehmen. „Früher gab es feste Rituale“, machte er aufmerksam. Als Beispiele führte er die Leichenwas­chung und das Ankleiden des Verstorben­en an. „Heute werde das schwierige­r, da die Menschen immer mehr außer Haus versterben.“Doch gerade diese Handlungen ermöglicht­en eine heilsame und helfende Trauerbewä­ltigung.

Für Kretschmer war weniger der Wandel der Trauer- und Bestattung­skultur wichtig. Er plädierte vielmehr für eine Grundthese der Menschlich­keit und der damit verbundene­n Würde. Er appelliert­e daran, nicht sofort nach dem Bestatter zu rufen, sondern sich vom Toten angemessen zu verabschie­den und den Trauerfall öffentlich zu machen, damit auch andere Trauernde Abschied nehmen können. Nichts hielt er von dem Hinweis, von Beileidsku­ndgebungen Abstand zu nehmen. Das sei unmenschli­ch gegenüber den anderen Trauernden. Kummer und Tränen seien menschlich und gehören mit zur Trauerbewä­ltigung. Weiter machte sich der Geistliche stark, Kinder mit zu Beisetzung­en zu nehmen. „Sie erleiden bei einer christlich­en Bestattung keinen Schaden. Im Gegenteil: Sie tun den Angehörige­n immer gut.“

Nichts hielt Kretschmer bei der Beisetzung­sfeier von einem Verzicht auf die Sargabsenk­ung ins Grab. Nur so sei es eine Beerdigung, andernfall­s lediglich eine „Ablagerung“.

Bei der Diskussion meinte eine Besucherin, dass sie bei einer Seebestatt­ung schmerzlic­h erfahren habe, dass hier kein Ort zum Trauern vorhanden sei. Pfarrer Kretschmer pflichtete ihr bei: Man brauche einen Ort, wo man trauern kann.

Souverän geleitet wurde die Runde von Moderator Roman Aigner, Referent beim KLB-Bildungswe­rk Augsburg. Er meinte abschließe­nd, dass mit dem Wandel der Trauerkult­ur manche Tradition verloren gehe, dadurch aber auch alte Wertevorst­ellungen zur Auseinande­rsetzung anregen und Neues gestaltet werden könne. Zudem griff er die Forderung eines Gastes auf, in der Familie unbedingt mehr über den Tod zu reden. Das Thema sei immer noch – egal ob bei Jung oder Alt – tabuisiert. Das dürfe so nicht bleiben, resümierte Aigner.

 ?? Foto: pa, obs, obs, FriedWald GmbH ?? Ein Friedwald ist eine alternativ­e Bestattung­sform, für die zunehmend Nachfrage besteht.
Foto: pa, obs, obs, FriedWald GmbH Ein Friedwald ist eine alternativ­e Bestattung­sform, für die zunehmend Nachfrage besteht.
 ?? Foto: Siegfried Rupprecht ?? Waren sich einig, dass eine emotional und sozial mobile Gesellscha­ft mehr in dividuelle Trauergest­altungen fordert: (von links) Pfarrer Wolfgang Kretsch mer, Bestatteri­n Sonja Litzel und Bil dungsrefer­ent Roman Aigner.
Foto: Siegfried Rupprecht Waren sich einig, dass eine emotional und sozial mobile Gesellscha­ft mehr in dividuelle Trauergest­altungen fordert: (von links) Pfarrer Wolfgang Kretsch mer, Bestatteri­n Sonja Litzel und Bil dungsrefer­ent Roman Aigner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany