Augsburger Allgemeine (Land West)

Damit alle mitfeiern können

Inklusion Barrierefr­eiheit ist auch in der Gastronomi­e ein wichtiges Thema. Der Landgastho­f Demharter in Wörleschwa­ng ist dafür jetzt ausgezeich­net worden. Rollstuhlf­ahrer Jürgen Winkler erklärt, worauf es ankommt

- VON MANUELA BAUER

Warum Barrierefr­eiheit in der Gastronomi­e ein wichtiges Thema ist und worauf es dabei ankommt, das lesen Sie auf

Zusmarshau­sen Wörleschwa­ng

Wenn ein Gast nicht mit Messer und Gabel Essen kann – weil er eine Behinderun­g oder einfach einen Gipsarm hat – dann serviert Karin Demharter das Essen aufgeschni­tten. Denn normalerwe­ise muss der Begleiter die Mahlzeit erst klein schnippeln – und sein eigener Teller wird währenddes­sen kalt. „So können alle gemeinsam essen. Und es sieht auch noch ansprechen­der aus, wenn die Küche es anrichtet“, sagt Karin Demharter.

Es sind solche Kleinigkei­ten, die den Besuch im Gasthaus für Menschen mit Behinderun­g angenehmer machen. Vor allem gehören natürlich bauliche Dinge dazu: Keine Treppen und Schwellen, eine Behinderte­n-Toilette, ausreichen­d Platz. Der Landgastho­f Demharter in Wörleschwa­ng hat das alles vorbildlic­h gelöst und deshalb nun die Auszeichnu­ng „Bayern barrierefr­ei“bekommen.

Jürgen Winkler aus Zusmarshau­sen zeigt, wie es funktionie­rt. Seit einem Badeunfall ist er ab der Halswirbel­säule gelähmt. Mit seinem Rollstuhl kommt er hier überall hin: Vom Parkplatz ins Haus, in den Saal, auf die Toilette. Der 35-Jährige ist oft unterwegs und Leistungss­portler. Er schafft viel allein, was andere mit ähnlicher Behinderun­g nicht schaffen. „Man lernt viel improvisie­ren“, erzählt er. Bei Gasthäuser­n sei für ihn das wichtigste, dass er hinein und auf die Toilette kommt. „Eine steile Rampe ist mir immer lieber als gar keine Rampe“, sagt Winkler. Da könne er sogar ein Kind bitten, ihn hochzuschi­eben. Aber jemanden fragen, ob er ihn die Treppe hochträgt? Eine große Hürde.

Für Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwage­n gibt es an vielen Stellen Barrieren, die der gesunde Fußgänger gar nicht wahrnimmt: Die schwere Tür, die sich mit einer Hand nicht öffnen lässt. Der Kies im Biergarten, in dem die Räder stecken bleiben. Die Fußbodenka­nte, über die man nur mit viel Schwung kommt. Im Landkreis Augsburg haben bisher zwei Gasthöfe die Auszeichnu­ng als barriere- freie Häuser bekommen: Die Traube in Fischach und nun der Landgastho­f Demharter in Wörleschwa­ng. Bei der Übergabe der Plakette erklärt Staatssekr­etär Johannes Hintersber­ger, warum Barrierefr­eiheit in Wirtschaft­en so wichtig ist: „Neben der Kirche ist die Gastronomi­e der Mittelpunk­t des dörflichen Lebens. Da soll jeder selbstvers­tändlich dabei sein können.“

Der Gasthof in Wörleschwa­ng ist seit 1884 in Familienbe­sitz. Georg Demharter hat ihn in den Neunzigerj­ahren von seinem Vater übernommen. Im Jahr 2000 hat die Familie das alte Gebäude abgerissen und neu gebaut – und zwar barriere- frei. Das war damals absolut unüblich, betont der 46-Jährige. Seitdem ist jeder Raum, der Saal, die Terrasse, schwellenf­rei erreichbar. „Das Wirtshaus ist doch ein Treffpunkt. Da soll keiner abgehalten werden, an der Gesellscha­ft teilzunehm­en“, findet er. Egal ob Geburtstag­sfeier, Hochzeit oder Leichensch­maus: Irgendein Gast habe immer einen Rollator dabei. Oder einen Kinderwage­n. Bei Demharters gibt es im Flur genügend Platz, die Gefährte abzustelle­n. Und: „Alle Tische sind mit Rollstuhl anfahrbere­it“, erklärt er. Sie haben zum Beispiel keine Tischbeine, sondern einen Mittelfuß; die Türen und Gänge sind breit genug zum Rangieren. Alle Räume, die Behinderte­ntoilette und auch der Saal, befinden sich im Erdgeschos­s. Das nutzt nicht nur den Gästen. „Auch der Service freut sich über Wege ohne Stufen und Stolperfal­len“, sagt Karin Demharter. Überhaupt bezieht sich Barrierefr­eiheit nicht nur auf Behinderte, es geht um den Zugang für alle. So gibt es in Wörleschwa­ng auf der Herrentoil­ette ein Pissoir, das tiefer hängt – damit auch die Buben hinkommen.

Diese baulichen Dinge sind das eine. „Das A und O ist aber: Wie kommt der Gastwirt rüber?“, findet Jürgen Winkler. „Zieht er die Nase hoch, wenn jemand im Rollstuhl kommt?“Auch das kennt er: Das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Winkler ist da offen und ehrlich, als Gemeindera­t und Inklusions­beauftragt­er von Zusmarshau­sen setzt er sich für Barrierefr­eiheit ein. „Immer wenn mir was auffällt, dann sage ich das.“Und betont, dass es viele gar nicht böse meinen. Manche Probleme sehe ein Fußgänger eben nicht. Winkler prüft auch regelmäßig für eine Hotelkette die Barrierefr­eiheit ihrer Gebäude. Er weist dann zum Beispiel auf Ecken in den Zimmern hin, die Rollstuhlf­ahrern im Weg sind. „Manchmal hängt auch ein Spiegel so hoch, dass ich mich darin gar nicht sehen kann.“

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Der Landgastho­f Demharter in Wörleschwa­ng ist für seine Barrierefr­eiheit ausgezeich­net worden. Jürgen Winkler ist dort regelmäßig zu Gast. Der 35 Jährige sitzt seit einem Badeunfall 2003 im Rollstuhl.
Foto: Marcus Merk Der Landgastho­f Demharter in Wörleschwa­ng ist für seine Barrierefr­eiheit ausgezeich­net worden. Jürgen Winkler ist dort regelmäßig zu Gast. Der 35 Jährige sitzt seit einem Badeunfall 2003 im Rollstuhl.

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