Augsburger Allgemeine (Land West)
Damit alle mitfeiern können
Inklusion Barrierefreiheit ist auch in der Gastronomie ein wichtiges Thema. Der Landgasthof Demharter in Wörleschwang ist dafür jetzt ausgezeichnet worden. Rollstuhlfahrer Jürgen Winkler erklärt, worauf es ankommt
Warum Barrierefreiheit in der Gastronomie ein wichtiges Thema ist und worauf es dabei ankommt, das lesen Sie auf
Zusmarshausen Wörleschwang
Wenn ein Gast nicht mit Messer und Gabel Essen kann – weil er eine Behinderung oder einfach einen Gipsarm hat – dann serviert Karin Demharter das Essen aufgeschnitten. Denn normalerweise muss der Begleiter die Mahlzeit erst klein schnippeln – und sein eigener Teller wird währenddessen kalt. „So können alle gemeinsam essen. Und es sieht auch noch ansprechender aus, wenn die Küche es anrichtet“, sagt Karin Demharter.
Es sind solche Kleinigkeiten, die den Besuch im Gasthaus für Menschen mit Behinderung angenehmer machen. Vor allem gehören natürlich bauliche Dinge dazu: Keine Treppen und Schwellen, eine Behinderten-Toilette, ausreichend Platz. Der Landgasthof Demharter in Wörleschwang hat das alles vorbildlich gelöst und deshalb nun die Auszeichnung „Bayern barrierefrei“bekommen.
Jürgen Winkler aus Zusmarshausen zeigt, wie es funktioniert. Seit einem Badeunfall ist er ab der Halswirbelsäule gelähmt. Mit seinem Rollstuhl kommt er hier überall hin: Vom Parkplatz ins Haus, in den Saal, auf die Toilette. Der 35-Jährige ist oft unterwegs und Leistungssportler. Er schafft viel allein, was andere mit ähnlicher Behinderung nicht schaffen. „Man lernt viel improvisieren“, erzählt er. Bei Gasthäusern sei für ihn das wichtigste, dass er hinein und auf die Toilette kommt. „Eine steile Rampe ist mir immer lieber als gar keine Rampe“, sagt Winkler. Da könne er sogar ein Kind bitten, ihn hochzuschieben. Aber jemanden fragen, ob er ihn die Treppe hochträgt? Eine große Hürde.
Für Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen gibt es an vielen Stellen Barrieren, die der gesunde Fußgänger gar nicht wahrnimmt: Die schwere Tür, die sich mit einer Hand nicht öffnen lässt. Der Kies im Biergarten, in dem die Räder stecken bleiben. Die Fußbodenkante, über die man nur mit viel Schwung kommt. Im Landkreis Augsburg haben bisher zwei Gasthöfe die Auszeichnung als barriere- freie Häuser bekommen: Die Traube in Fischach und nun der Landgasthof Demharter in Wörleschwang. Bei der Übergabe der Plakette erklärt Staatssekretär Johannes Hintersberger, warum Barrierefreiheit in Wirtschaften so wichtig ist: „Neben der Kirche ist die Gastronomie der Mittelpunkt des dörflichen Lebens. Da soll jeder selbstverständlich dabei sein können.“
Der Gasthof in Wörleschwang ist seit 1884 in Familienbesitz. Georg Demharter hat ihn in den Neunzigerjahren von seinem Vater übernommen. Im Jahr 2000 hat die Familie das alte Gebäude abgerissen und neu gebaut – und zwar barriere- frei. Das war damals absolut unüblich, betont der 46-Jährige. Seitdem ist jeder Raum, der Saal, die Terrasse, schwellenfrei erreichbar. „Das Wirtshaus ist doch ein Treffpunkt. Da soll keiner abgehalten werden, an der Gesellschaft teilzunehmen“, findet er. Egal ob Geburtstagsfeier, Hochzeit oder Leichenschmaus: Irgendein Gast habe immer einen Rollator dabei. Oder einen Kinderwagen. Bei Demharters gibt es im Flur genügend Platz, die Gefährte abzustellen. Und: „Alle Tische sind mit Rollstuhl anfahrbereit“, erklärt er. Sie haben zum Beispiel keine Tischbeine, sondern einen Mittelfuß; die Türen und Gänge sind breit genug zum Rangieren. Alle Räume, die Behindertentoilette und auch der Saal, befinden sich im Erdgeschoss. Das nutzt nicht nur den Gästen. „Auch der Service freut sich über Wege ohne Stufen und Stolperfallen“, sagt Karin Demharter. Überhaupt bezieht sich Barrierefreiheit nicht nur auf Behinderte, es geht um den Zugang für alle. So gibt es in Wörleschwang auf der Herrentoilette ein Pissoir, das tiefer hängt – damit auch die Buben hinkommen.
Diese baulichen Dinge sind das eine. „Das A und O ist aber: Wie kommt der Gastwirt rüber?“, findet Jürgen Winkler. „Zieht er die Nase hoch, wenn jemand im Rollstuhl kommt?“Auch das kennt er: Das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Winkler ist da offen und ehrlich, als Gemeinderat und Inklusionsbeauftragter von Zusmarshausen setzt er sich für Barrierefreiheit ein. „Immer wenn mir was auffällt, dann sage ich das.“Und betont, dass es viele gar nicht böse meinen. Manche Probleme sehe ein Fußgänger eben nicht. Winkler prüft auch regelmäßig für eine Hotelkette die Barrierefreiheit ihrer Gebäude. Er weist dann zum Beispiel auf Ecken in den Zimmern hin, die Rollstuhlfahrern im Weg sind. „Manchmal hängt auch ein Spiegel so hoch, dass ich mich darin gar nicht sehen kann.“