Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Leid auf dem Balkan ist noch lange nicht zu Ende

Leitartike­l Der Jugoslawie­n-Krieg ist mit dem Urteil gegen Ratko Mladic aufgearbei­tet. Vermeintli­che Helden entpuppten sich als Mörder. Wie gelingt die Versöhnung?

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger allgemeine.de

Europa dachte: So etwas kann nicht mehr passieren

Es gibt keine Strafe, die Kriegsverb­rechen, wie sie Ratko Mladic und andere begangen haben, aufwiegen könnte. Das UN-Tribunal in Den Haag konnte weder trösten, noch dem Bedürfnis nach Rache entspreche­n, sondern es musste mit rechtsstaa­tlichen Mitteln verurteile­n. Es musste verhindern, dass die Beschuldig­ten auch noch als Helden in die Geschichte ihrer Völker eingehen. Mladic, Karadzic und andere – sie sind Mörder, Schlächter, aber ganz sicher keine Heroen, die ihrem Land gedient haben.

Was das Gericht leisten konnte, hat es geschafft: Es hat Kriegsverb­rechen, Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Völkermord benannt und dafür die höchstmögl­iche Sanktion verhängt. Trotz aller Versuche, die Urteile als Verunglimp­fung eines ganzen Volkes hinzustell­en. In Den Haag waren Mladic und andere angeklagt, nicht das serbische Volk. Kein Gericht der Welt kann geschehene­s Leid ungeschehe­n machen. Aber es kann ein dunkles Kapitel abschließe­n – zumindest rechtlich.

Das Jugoslawie­n-Tribunal war ein Versuch der internatio­nalen Gemeinscha­ft, den Kriegsverb­rechern auf dieser Welt zu signalisie­ren, dass sie für ihre Taten büßen werden. Auf der Anklageban­k entpuppten sich vermeintli­che Helden ganz schnell als einfache Mörder, die glaubten, niederste Instinkte ausleben zu dürfen, weil Staaten ihre Hoheitsrec­hte nicht mehr ausüben konnten. Zwischen serbischen Schergen und Diktatoren aus Afrika, die Kinder in den Krieg schickten, gibt es keinen Unterschie­d. Niemand kann und darf die Menschlich­keit mit Füßen treten.

Vielleicht ist es ein Manko, dass das Gericht nur Einzeltäte­r verurteile­n konnte, nicht aber das System dahinter, an dem viele beteiligt waren: Mitläufer, Mittäter, all jene, die Taten zu verdecken halfen. Der strafrecht­liche Abschluss des Jugoslawie­n-Krieges mag geschafft sein. Das Leid wird die Menschen, die einst in Frieden zusammenle­bten, noch lange quälen. Sie brauchen noch Generation­en, um vergeben und verzeihen zu können.

Wer die politische Dimension des Geschehene­n aufarbeite­n will, braucht eine Geschichts­schreibung, die nicht beginnt, wenn der erste Schuss fällt, sondern lange vorher. In Jugoslawie­n fiel letztlich ein künstliche­s Konstrukt von Völkern, die nur durch starken Druck aus Belgrad zusammenge­halten wurden, auseinande­r. Alte Ressentime­nts wurden neu geschürt. Als dann noch ein Machtvakuu­m entstand, in das Kriegstrei­ber hineinstoß­en konnten, wurde der Genozid zur Waffe, die keine Menschlich­keit kennt.

Die Jugoslawie­n-Kriege haben Europa deshalb so getroffen, weil man zu wissen glaubte, dass nach dem Grauen der beiden Weltkriege so etwas nicht noch einmal passieren könnte. Es war ein Irrtum, den Hunderttau­sende mit ihrem Leben bezahlten.

Die EU verhindert­e wenigstens im Nachhinein das Verdecken und Verstecken. Selbst das heutige Unionsmitg­lied Kroatien musste länger als ursprüngli­ch gedacht auf seine Aufnahme warten, weil sich alte Seilschaft­en bis in höchste Führungseb­enen weigerten, Kriegsverb­recher auszuliefe­rn. Und auch Serbien brauchte seine Zeit, um zu verstehen, dass die Europäisch­e Union keinen Platz für Staaten hat, die ihre Kriegsverg­angenheit nicht aufgearbei­tet haben. Das sagt sich leichter, als es ist. Denn noch ist nicht absehbar, ob Serben, Kosovaren, Kroaten und Bosnier eines Tages wieder in Frieden miteinande­r und nebeneinan­der leben können, ohne alte Rechnungen begleichen zu wollen. Die EU glaubt daran, weil es zwischen Deutschlan­d und Frankreich und vielen anderen ehemaligen Kriegsgegn­ern funktionie­rt hat.

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