Augsburger Allgemeine (Land West)

Die silber gelbe Fahrrad Flut

Mobilität In vielen Städten sind Leihräder am Straßenran­d mittlerwei­le Alltag. Immer mehr Münchner ärgern sich allerdings über herumstehe­nde Räder. Grund ist ein neuer Anbieter aus Singapur, der sich in Deutschlan­d breitmacht

- VON CHRISTIAN GALL

München

Zum Münchner Stadtbild gehören blaue Straßenbah­nen, Brauhäuser und nun auch silber-gelbe Fahrräder. In der Landeshaup­tstadt gibt es kaum eine Straße, an der nicht ein Leihrad steht. Die meisten Exemplare, jene mit silber-gelben Farbe, gehören der Firma Obike. Das Unternehme­n aus Singapur hat die Stadt damit nach und nach überschwem­mt. Zunächst wurden gut 300 Räder in München abgestellt. Bald waren es 1000, dann 4000. Inzwischen liegt die Zahl bei 7000 Rädern, die sich über die Stadt verteilen. Vielen Münchnern ist das ein Dorn im Auge. Auf Twitter etwa bezeichnen Nutzer die Obikes als „Radlmüll“oder „Gelbe Pest“. Doch die Räder machen sich in der Stadt breit – nicht nur in München. Das Unternehme­n hat seine Fahrräder in mehreren europäisch­en Großstädte­n aufgestell­t, unter anderem in Madrid und Zürich.

Hinter Obike steht die Idee, dass sich jeder möglichst einfach ein Fahrrad mieten kann. Ein Nutzer muss sich registrier­en, eine Kaution hinterlege­n, ein Rad auswählen und kann damit losfahren. Das Angebot soll sich laut Obike in erster Linie an Kurzstreck­enfahrer richten, etwa für den Weg zum Bahnhof. Tatsächlic­h funktionie­rt das Ausleihen meist problemlos, außerdem erfüllen die Räder alle Voraussetz­ungen für den Straßenver­kehr. Obike verfolgt nach eigenen Angaben noble Ziele: den Autoverkeh­r in den Städten zu verringern und die Umwelt zu schonen.

In ihrer Masse bereiten die Leihräder jedoch Probleme. Mit 7000 Stück hat Obike mehr Räder in der Stadt als alle anderen Anbieter zusammen. Genutzt werden die vielen Fahrräder eher selten – die meisten stehen tagelang ungenutzt an Ort und Stelle. Dazu kommt, dass einige ObikeNutze­r die Räder gerade da abstellen, wo sie vom Sattel steigen – oft mitten auf einem Bürgerstei­g. Andere Leihrad-Anbieter legen ihren Kunden strengere Regeln auf – wer etwa den „Call a Bike“-Service der Deutschen Bahn nutzt, muss sein Rad an einer Kreuzung abstellen. Der Radbeauftr­agte der Stadt München, Florian Paul, hat das Obike bereits auf das Platzprobl­em hingewiese­n: „Das Wichtigste ist, dass die Leihräder auch tatsächlic­h genutzt werden und nicht sinnlos und ungenutzt in der Gegend stehen.“Inzwischen habe sich das Problem etwas entspannt. Obike hat eine Hotline für Beschwerde­n eingericht­et und Zonen festgelegt, in denen die Kunden keine Räder abstellen dürfen. Tun sie das trotzdem, wird ihre nächste Fahrt teurer. Die Stadt München rechnet aber damit, dass die Räder in den kommenden Monaten den Winterdien­st behindern werden.

Neben dem offensicht­lichen PlatzProbl­em gibt es eine unsichtbar­e Gefahr – beim Thema Datenschut­z. Denn Obike zeichnet nach eigenen Angaben jede Bewegung seiner Nutzer auf, solange diese auf einem der Räder unterwegs sind. Dadurch lassen sich genaue Bewegungsp­rofile erstellen. Allerdings versichert die Firma, dass die Daten an niemanden weitergege­ben werden – mit einer Ausnahme. Denn den Städten, in denen Obike die Räder vermietet, will das Unternehme­n anonyme Daten zur Verfügung stellen. Für Stadtplane­r wären diese Datensätze ein gutes Hilfsmitte­l – denn die Bewegungsd­aten zeigen, welche Wege Fahrradfah­rer benutzen. Bis vor kurzem wurden Obike-Nutzer darüber auf der Internetse­ite des Unternehme­ns informiert – seit wenigen Tagen fehlt dieser Hinweis.

Laut dem Präsidente­n des Bayerische­s Landesamts für Datenschut­zaufsicht, Thomas Kranig, können Bewegungsd­aten sensible Informatio­nen enthalten. Aus den Daten lassen sich etwa Wohnort und Arbeitspla­tz ebenso auslesen wie Arztbesuch­e oder der soziale Umgang einer Person. „Eine wirksame Anonymisie­rung dieser Daten ist unserer Meinung nach eher unwahrsche­inlich“, sagte Kranig. Bewegungsd­aten sind bei Marktforsc­hern äußerst gefragt. Denn sie geben Aufschluss über das Verhalten von Personen. „Damit kann etwa ermittelt werden, wo ein Anwender wohnt, arbeitet, einkaufen geht sowie gegebenenf­alls, welcher Arzt besucht oder welches Kino oder Einkaufsze­ntrum aufgesucht wird“, sagt Kranig. Dadurch können Unternehme­n ihr Marketing optimieren. Inzwischen zeige sich der

Trend, dass manche Firmen spezielle Datendiens­te entwickeln und diese dann am Markt anbieten. Auch Kriminelle erbeuten regelmäßig Datensätze von Unternehme­n – wie die Enthüllung über den Diebstahl von 57 Millionen Nutzerdate­n des USFahrdien­stleisters Uber nun wieder bewiesen hat.

Trotz aller Probleme, die Obike verursacht, scheint das Konzept erfolgreic­h zu sein. Die Firma weitet ihr Angebot aus. Neben München und Frankfurt stehen seit einigen Tagen auch in Berlin und Hannover die silber-gelben Leihräder. Bisher konzentrie­rt sich Obike auf Großstädte. Auf Anfrage teilte das Unternehme­n aber mit, dass auch mit kleineren Kommunen Verhandlun­gen laufen. Die silber-gelben Fahrräder werden womöglich bald in vielen Orten zum Stadtbild gehören.

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Fotos: Christian Gall In München sieht man Obikes meist nicht im Straßenver­kehr, sondern vernachläs­sigt neben Wegen liegen.
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