Augsburger Allgemeine (Land West)

Die neue Liebe zum Fleisch

Essen Der Autor Peter Wagner hat mit einem Metzger und 13 Köchen ein spektakulä­res Kochbuch über Fleisch geschriebe­n. Das pralle Stück Wissen schafft es, Zeitgeist, Genuss und Respekt vor dem Tier zu versöhnen – und zwar sehr unterhalts­am

- VON MICHAEL POHL

Peter Wagner serviert in kleine Würfelchen geschnitte­nes, frisch gebratenes Schweinest­eak als Gruß aus der Küche: „Probieren Sie auch ein Stück vom Fettrand“, wirbt er bei seinen Gästen, sich in Zeiten von Low Fat und Low Carb zu einem kleinen Ruck der Überwindun­g anzustupse­n. Das Stückchen nur mit Salz gewürzter warmer Speck löst auf der Zunge tatsächlic­h eine kleine Geschmacks­explosion aus. Mit dem im Supermarkt im Sonderange­bot erhältlich­en „Minutenste­ak“hat es kaum etwas gemein, dazwischen liegen Welten. Eher erinnern Geschmack und Mundgefühl an das berühmte Steak vom Kobe-Rind, nur dass der Speck für süddeutsch­e Gaumen etwas gefälliger schmeckt.

Das Besondere an dem Speckwürfe­lchen ist, dass es vom „Steigerwäl­der Schwarzerl­e“stammt. Einer vom Aussterben bedrohten Schweinera­sse – nicht ganz so dunkel wie das spanische IbéricoSch­wein. Das Schwarzerl­e stammt aus Freilandha­ltung westlich von Nürnberg. Das Fleisch wurde ähnlich wie edle Rinderstea­ks vier Wochen lang trocken gereift. 34 Euro kostet das Kilo als Schweinerü­cken mit Schwarte bei Metzgermei­ster Claus Böbel aus Rittersbac­h bei Nürnberg. Der 47-jährige Franke und Onlinehand­els-Pionier versendet Fleisch mit seinem Shop „umdiewurst.de“bis ins Ausland.

Böbel hat Peter Wagner, einem der bekanntest­en deutschen Foodjourna­listen, geholfen, das wohl außergewöh­nlichste Kochbuch des Jahres zu schreiben. Es trägt den schlichten Titel: „Das große Buch vom Fleisch.“Das über 360 Seiten starke, großformat­ige Werk ist nicht nur ein Kochbuch, sondern zugleich ein Schulbuch, Lehrbuch, opulenter Bildband und eine unterhalts­ame Lektüre, die sich ebenso leicht wie allumfasse­nd der Lust des Menschen auf Fleisch nähert – samt deren Problemen.

Wagners Reise führt von der Geschichte der Aufzucht, der Tierrassen, des Schlachten­s und Zerlegens bis zur richtigen Bratpfanne und den Rezepten der modernen Spitzenküc­he. All das lebt vor allem von Wagners journalist­ischem Talent: Er schreibt mit Wortwitz („In der Ruhe liegt der Saft“), lehrt in der „Rückenschu­le“das Kotelettsc­hneiden und Filetauslö­sen oder widmet sich im Kapitel „Total durchgedre­ht“dem Hackfleisc­hWolfen. Dies verbindet der 57-jährige Autor zahlreiche­r Kochbücher und Kolumnen – etwa bei Spiegel Online – mit einer faktengewa­ltigen Recherche (Wagner: „Fleisch ist ein unglaublic­hes Superfood“). Vor allem, wenn der Journalist die Schattense­iten der heutigen Fleischind­ustrie ausleuchte­t. Nüchtern schildert Wagner verdrängte Missstände, etwa wenn in deutschen Schlachthö­fen weit geringere Tierschutz­standards beim Betäuben und Töten gelten als bei amerikanis­chen Zulieferer­n von McDonald’s.

Wagner erklärt auch, wie man einen wirklichen „Metzger seines Vertrauens“findet. „Man kann den Menschen nur raten, sprecht eure Metzger an und fragt, woher ihr Fleisch genau stammt.“Doch in Zeiten des Ladensterb­ens wird das immer schwierige­r: Nur noch 30 Prozent der Metzger schlachten selbst, berichtet Wagner. Manche setzten lieber auf dieselben Zulieferer wie die Supermarkt­ketten.

Doch Wagner berichtet auch von großen Fortschrit­ten. „In dem Billigbere­ich, wo man ein Schweine- für 2,99 Euro beim Discounter kaufen kann, hat sich wenig geändert, das schmeckt genauso wie vor zwanzig Jahren nach nichts“, sagt er. „Aber in dem anderen Segment, in dem man bereit ist, mehr Geld auszugeben, tut sich sehr viel“, betont Wagner: „Für Fleisch von Rindern etwa, die von ihrer Anlage und Rasse keine Milchkühe sind, sondern echte Fleischrin­der. Die ein artgerecht­es, bewegtes Leben auf der Weide leben durften. Die ohne großen Stress geschlacht­et und fachgerech­t zerlegt wurden.“Solches Premium-Fleisch koste zwar deutlich mehr als im Supermarkt, passe aber viel besser zum Trend, die Menge des eigenen Fleischkon­sums zu hinterfrag­en. „Mir reicht es völlig, wenn ich zwei Mal die Woche gutes Fleisch esse, und gebe dafür dann lieber ordentlich­es Geld aus“, sagt der Autor.

So ist der in Hamburg lebende Franke Wagner ein Anhänger des inzwischen recht ausgereift­en On- linehandel­s von Fleisch und bestellt „Schäufele“bei seinem Freund Böbel in speziellen Kühlboxen.

Der Metzger hat inzwischen einen 140 Seiten dicken Katalog für seine Fleisch- und Wurstprodu­kte. Rindfleisc­h bezieht er unter anderem bei einem Züchter, der in Tschechien auf einer riesigen Weide Angus-Rinder hält. Böbel legt Wert drauf, nicht nur edle Teile der Tiere zu verkaufen, sondern auch Innereien und vieles andere: „Gutes Fleisch ist für jeden erschwingl­ich, wenn er nicht nur Filet, Schnitzel und Kotelett kauft, sondern auch mal eine Haxe oder fetten Schweineba­uch“, sagt Böbel. „Dann gibt man am Ende auch nicht viel mehr aus.“

Auch Wagner wirbt in seinem Buch leidenscha­ftlich für das „Nose-to-Tail-Prinzip“– alles von der Schnauze bis zum Schwanz vom Tier zu verwerten. Die mageren Filetstück­e seien für echte Genießer ohnehin das langweilig­ste Stück Fleisch. Wagner beschreibt ausnackens­teak führlich, wie die Amerikaner in den vergangene­n Jahren mithilfe von Forschern immer mehr „Cuts“entwickelt haben: in Deutschlan­d wenig bekannte Steak-Zuschnitte aus anderen Regionen des Rinds als nur immer Hüfte und Rücken.

„Die Amerikaner schmoren das Fleisch ungern, sondern legen es lieber auf den Grill oder in die Pfanne, damit sie es schnell essen können.“So seien gut 30 neue interessan­te Steak-Arten entstanden, etwa namens „San-Antonio-Cut“oder „Tucson Cut“. „Fleisch, das früher zu Hackfleisc­h verarbeite­t wurde, kann damit heute teurer verkauft werden.“Die deutsche Fleischpro­duktion schnell gemästeter und geschlacht­eter „Jungbullen“sei dagegen ein Trauerspie­l: Diese Steaks würde sich kein Amerikaner auf den Grill legen, klagt Wagner an.

Auch wenn es dem Autor ums Genießen geht: Es gibt wenige Kochbücher, in denen zwischen vielen Zeilen ein derart großer Respekt vor dem Schlachtti­er als Mitlebewes­en herauszule­sen ist. Wagner erinnert die Leser daran, dass die längste Zeit Schlachtti­ere kein Industriep­rodukt, sondern der beste Freund des Menschen waren: Als Milchliefe­rant und Arbeitskra­ft, für Fleisch, Dünger und Leder – jahrhunder­telang war Nutzvieh sichtbarer Garant menschlich­en Wohlstands.

So kann Wagners umfangreic­he Entdeckung­sreise auch in einer Phase veganen Zeitgeists die Leser mit der ursprüngli­chen Liebe des Menschen zum Fleischess­en versöhnen. Wie üblich für den einst vom Allgäuer Food-Fotografie-Pionier Christian Teubner gegründete­n Verlag Teubner Edition ist das Buch sehr aufwendig gestaltet, kommt im edlen Schuber und schlägt mit 79,90 Euro zu Buche. Für das Geld wird einem – samt Rezepten von 13 Spitzenköc­hen – eine echte Bibel für Fleischess­er serviert – inklusive der „Zehn Gebote für einen perfekten Sonntagsbr­aten“. O

„Das große Buch vom Fleisch – Produkte, Handwerk, Rezepte“, 360 Sei ten, ist bei Teubner Edi tion erschienen, 79,90 Euro.

Info

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Fotos: Teubner Edition, GU Kurz gebratenes Kotelett: „In der Ruhe liegt der Saft.“
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