Augsburger Allgemeine (Land West)

Bis dass die Kirche uns scheidet

Verfahren Er ist geschieden, hat eine neue Partnerin und arbeitet in einer Einrichtun­g der katholisch­en Kirche. Eine Verbindung, die ihn seinen Job kosten kann. Deshalb will er seine erste Ehe für nichtig erklären lassen. Er ahnt nicht, worauf er sich da

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der trotz allem noch an Gott glaubt. Gelegentli­ch geht er sogar in die Kirche, um zu beten. Mit der Institutio­n Kirche hat er dagegen abgeschlos­sen. Er lernte sie von ihrer unbarmherz­igen Seite kennen. Er sagt: „Die Kirche hat mich seelisch vergewalti­gt.“

Dennoch arbeitet er nach wie vor in einer Einrichtun­g der katholisch­en Kirche. Und nach wie vor hat er Angst, seinen Job zu verlieren. Die Angst begleitet ihn seit Jahren. Deshalb will er auch nicht seinen Namen in der Zeitung lesen; nicht, wo er wohnt; nicht, wo er arbeitet. Der Mann ist Vater, muss Kredite zurückzahl­en. Er wurde zur Verschwieg­enheit verpflicht­et. Der Mann will Menschen darauf aufmerksam machen, worauf sie sich bei einem kirchliche­n Gerichtsve­rfahren einlassen. Er ist einer der wenigen, die über ihre Erlebnisse mit den Richtern Gottes sprechen.

Richter Gottes. So hieß vor zwei Jahren eine TV-Doku der Journalist­in Eva Müller über die „geheimen Prozesse der Kirche“. Anfang 2016 erschien ihr gleichnami­ges Buch. Ihr gelang erstmals ein tieferer Einblick in die verschloss­ene Welt deutscher Kirchenger­ichte.

Eine Parallelwe­lt, sagt der Mann und erzählt stundenlan­g von seinem sogenannte­n Ehenichtig­keitsverfa­hren. Angestellt­e der katholisch­en Kirche sehen darin oft die einzige Chance, ihren Job behalten zu können – wenn sie sich scheiden lassen und eine neue Partnerin heiraten wollen. Auch der Mann entschließ­t sich damals zu diesem Weg. Er denkt, sein Ehenichtig­keitsverfa­hren sei eine Formalität. Er ahnt nicht, dass er es wie eine „Inquisitio­n“empfinden würde. Dass es ihn nachts nicht schlafen lässt.

Wiederverh­eiratete Geschieden­e leben nach Auffassung der Kirche im Zustand schwerer Sünde. Denn was Gott verbunden habe, dürfe der Mensch nicht trennen. Bis zum Sommer 2015 sah die „Grundordnu­ng des kirchliche­n Dienstes“für Mitarbeite­r der katholisch­en Kirche in einer „nach dem Glaubensve­rständnis und der Rechtsordn­ung der Kirche ungültigen Ehe“einen generellen Kündigungs­grund. Schon eine neue sexuelle Beziehung nach einer Scheidung konnte eine Entlassung zur Folge haben. Mit der Neufassung wurde dies etwas gelockert.

Kirchenang­estellte, die ihr Leben gemäß der katholisch­en Glaubensun­d Sittenlehr­e zu gestalten haben, blieb und bleibt mitunter nur eine Annullieru­ng der kirchlich geschlosse­nen ersten Ehe: Sie hat dann aus Kirchensic­ht nicht stattgefun­den.

Den Mann, der sich als gläubigen Katholiken bezeichnet, stürzt das in eine der schwierigs­ten Phasen seines Lebens. Es bedeutet für ihn: zu lügen. Mehr als ein Jahr lang überlegt er, ob er seine Geschichte einem Journalist­en anvertraue­n soll. Immer wieder gibt es Telefonate. Vor ein paar Monaten sagt er, er wolle nicht, dass die Zeitung über seinen Fall berichtet. Überrasche­nd ändert er seine Meinung. Zeigt seine Akten, seinen Schriftver­kehr. Es kostet ihn große Überwindun­g, mit einem Fremden über seine gescheiter­te Ehe zu reden.

Wie damals, als er sich einem Diözesanri­chter, einem Geistliche­n, öffnen muss. Er erinnert sich an das „abgeriegel­te Gebäude“, den kargen Vernehmung­sraum mit dem „großen Kreuz an der Wand“. Er fühlt sich wie ein Verbrecher. Sein Gegenüber beschreibt er als kontrollie­rt, starre Gesichtszü­ge. Er muss auf die Bibel schwören, die Wahrheit zu sagen, und detaillier­t schildern, warum seine Ehe zerbrach. Seine Vernehmung dauert Stunden und wird protokolli­ert.

Der Mann muss den Richter überzeugen, das merkt er schnell. Er hat das Gefühl, sagen zu müssen, was der Richter vermutlich hören möchte: Dass seine Ehe bereits am Tag der kirchliche­n Eheschließ­ung zum Scheitern verurteilt war. „Dabei kann ich nun wirklich nicht behaupten, dass ich am Tag der Eheschließ­ung gedacht hätte: Das hält eh nicht! Aber das musste ich vor dem Kirchenger­icht erklären. Also habe ich teils gelogen, habe übertriebe­n.“Er macht seine Ex-Frau schlecht, um seine Existenz zu retten. „Eine Kündigung war keine Alternativ­e“, sagt der Mann.

Der kirchliche Richter arbeitet einen Fragenkata­log ab. „Ich wurde zugeballer­t mit Fragen“, sagt der Mann. In einem Musterfall, der „Ehesache Himmel-Heilig“, des Bischöflic­hen Offizialat­s Rottenburg werden 26 Fragen aufgeführt. Eine lautet: „Haben Sie Anhaltspun­kte dafür, dass sich (Ihre Partnerin, die

Red.) schon vor und bei der Heirat dazu entschloss­en hat, sich unter Umständen von Ihnen wieder scheiden zu lassen?“

Der Mann sagt: „Ich musste die Hosen herunterla­ssen.“Er hat von einer anderen Vernehmung erfahren, in der der Richter gefragt habe: Wie war’s im Bett? Was genau geschah im Bett? Ganz so weit unter die Gürtellini­e reichten die Fragen bei ihm nicht, sagt er.

Der Mann hat eine geradezu typische katholisch­e Kindheit und Jugendzeit. Der Religionsu­nterricht begeistert ihn. Im liberalen Pfarrer seiner Gemeinde sieht er eine Idolfigur. Weil er völlig anders ist als die Pfarrer in den Nachbarort­en, die mit dem Rücken zu den Gottesdien­stbesucher­n die Messe auf Lateinisch zelebriere­n. Bei den Gottesdien­sten „seines“Pfarrers spielen Jugendlich­e Gitarre, es wird geklatscht, gelacht. Dass er später von einem Geistliche­n erfährt, der Kinder begrapscht haben soll, lässt ihn nicht prinzipiel­l an der Institutio­n Kirche zweifeln. Zu weit weg ist das von seiner Welt.

Risse bekommt sein Bild von der Institutio­n Kirche durch Bekanntsch­aften mit Theologies­tudenten. Wie sie möchte er christlich­e Werte vermitteln, an manche der Studenten kommt er aber nicht heran. Er erlebt sie als „komische Gestalten mit gebrochene­n Lebensläuf­en“, als Bewohner einer Parallelwe­lt. Gerade diejenigen Studenten, die Priester werden wollen, erscheinen ihm bisweilen besonders verklemmt und erzkonserv­ativ. Das Wort „Gehirnwäsc­he“setzt sich in seinem Kopf fest.

Jahre danach heiratet er seine Freundin kirchlich. Es gehört für beide einfach dazu. Sie werden Eltern. Doch der Alltagsstr­ess belastet ihre Ehe, sie ist allmählich „marode“geworden, sagt er. Die Beziehung geht nach mehreren Jahren auseinande­r. Scheidung. Der Mann verliebt sich neu.

Für ihn beginnt eine Zeit des Verstecksp­iels. Sein Arbeitgebe­r, die Kirche, darf nicht wissen, dass er mit einer neuen Frau zusammenle­bt. Dass sein Lebenswand­el eben nicht so vorbildlic­h ist, wie es von ihm verlangt wird. Der Name seiner Partnerin findet sich nicht auf dem Klingelsch­ild, offiziell darf es sie nicht geben.

Der Mann hat nun ein Doppellebe­n. Jeden Tag fürchtet er aufzuflieg­en. Was ist, wenn er mit seiner Partnerin gesehen wird? Was ist, wenn jemand an seiner Arbeitsste­lle ihn nicht leiden kann und von seinem Privatlebe­n erfährt? Der Mann muss damit rechnen, denunziert zu werden. „Das Risiko war groß“, erinnert er sich. „Ich fühlte mich erpressbar.“Da sind seine Vaterpflic­hten; die Partnerin, mit der er keine „normale“Beziehung führt; die Angst vor dem Jobverlust. Schließlic­h vertraut er sich seinen engsten Kollegen an. Sie haben „kein Problem damit“, sagen sie. Doch: Kann er ihnen tatsächlic­h vertrauen? Das Risiko steigt.

Eine Weile hält er das aus. Dann will er es mit einem Ehenichtig­keitsverfa­hren versuchen. Als Angestellt­er der katholisch­en Kirche hat er davon gehört. Seine Ex-Frau hat Vorbehalte. Hatten sie sich nicht geliebt, geheiratet, waren Mutter und Vater geworden? „Das alles soll für null und nichtig erklärt werden?“, fragt sie ihn. Es sei nur ein kirchenrec­htlicher Akt, antwortet er. Er glaubt das wirklich. Sie stimmt zu. Seine Partnerin hält zu ihm.

Der Mann wird gemäß Canon 1674, Paragraf 1, Nummer 1 des Codex Iuris Canonici, des Kirchenges­etzbuches, zum Kläger „gegen die Gültigkeit der Ehe“.

Zur Kritik Betroffene­r, die ihr Ehenichtig­keitsverfa­hren als verstörend erlebten, als zu starken Eingriff in ihr Privat- und Intimleben, will Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofsko­nferenz, nichts sagen. „Da die Verfahren Bistumssac­he sind, kann die Bischofsko­nferenz das nicht kommentier­en.“

Stefan Ihli antwortet umso ausführlic­her. Er leitet die Geschäftss­telle des Kirchliche­n Arbeitsger­ichtes Rottenburg und hat den „Musterfall Himmel-Heilig“einst miterstell­t. Die Fragen seien „naturgemäß intim“, sagt er. „Es geht ja grundsätzl­ich um die Frage, ob eine Ehe gültig zustande kam.“Sie sei ungültig geschlosse­n worden, wenn etwa ein Partner es grundsätzl­ich verweigere, Vater oder Mutter zu werden. Und dies lege eben die Frage nahe, ob man Verhütung betrieben habe.

Ihli sagt, er kenne negative Reaktionen Betroffene­r; häufig seien es auch positive. Zum Beispiel, dass das Verfahren „eine gute Gelegenhei­t war, die eigene Beziehung nochmals aufzuarbei­ten“. Ihli kennt Eva Müllers Film „Richter Gottes“. Sie habe „Extremfäll­e und nicht den Durchschni­tt geschilder­t“.

Der Mann, der seine Geschichte jetzt öffentlich macht, wählt als „Klagegrund“: „Ausschluss der Unauflösli­chkeit der Ehe“. Das heißt: Er hat bei der kirchliche­n Eheschließ­ung, so formuliert es der Codex Iuris Canonici, „eine Wesenseige­nschaft der Ehe“ausgeschlo­ssen, nämlich ihre „Unauflösli­chkeit“. Er zweifelte demnach also vor und während der Trauung massiv daran, dass er für immer bei seiner Frau bleiben würde – „bis dass der Tod euch scheidet“. Sein Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlich­keit und fast ausschließ­lich auf dem Papier statt.

Auch eine Verwandte des Mannes wird als Zeugin vernommen. Die Verfahrens­dauer kommt ihm wie eine Ewigkeit vor. „Ich war mit den Nerven am Ende. Ich konnte einfach nicht mehr“, sagt er. Was ihn noch heute aufregt, ist eine Frage an seine Verwandte in ihrer Vernehmung. Sie soll erklären, was seine Ex-Frau am Hochzeitst­ag gedacht habe. „Gedacht! Das ist doch absurd! Daraus kann man doch nicht ernsthaft irgendeine Tatsache ableiten!“Dass er die Verwandte um Hilfe bitten muss, empfindet er als beschämend. Für sie und ihn.

Angst, Verzweiflu­ng, Empörung, Rachegedan­ken und Ungewisshe­it bestimmen sein Leben, denn das Kirchenger­icht scheint ihm nicht zu glauben. Fordert genauere Auskünfte. Er fühlt sich dem Kirchenger­icht, Konsistori­um oder Offizialat genannt, ausgeliefe­rt. „Es ist gottgleich.“

Eines Tages will der Mann nicht mehr, dass das Verfahren weiterhin seine neue Partnerin, ihn und ihre Liebesbezi­ehung belastet. Sie beschließe­n, standesamt­lich zu heiraten. „Soll die Kirche machen, was sie will.“

Dann liegt das Urteil in seinem Briefkaste­n: Seine erste Ehe sei nicht gültig zustandege­kommen. Annulliert. Die Urteilsbeg­ründung ist das intime Protokoll des Scheiterns seiner Ehe und damit eines Teils seines Lebens. Er hat sie bis heute nicht vollständi­g gelesen, sagt der Mann. Er blickt auf den Papierstap­el vor sich. „Ich möchte nicht, dass meine Familie das jemals sieht“, sagt er. „Sie bekommt sonst ein falsches Bild von mir.“

Auf dem Klingelsch­ild steht sein Name – und der seiner Partnerin. Sie ist inzwischen seine Ehefrau.

Dann muss er sich einem Richter Gottes öffnen Er sagt: Ich war mit den Nerven am Ende

 ?? Symbolfoto: Blickwinke­l, Imago ?? Ein Paar, eine Kirche, eine Trauung – da ist noch alles rosarot. Doch kommt es dann zur Scheidung und zu einer erneuten standesamt­lichen Hochzeit, lebt man nach Auffas sung der katholisch­en Kirche im Zustand schwerer Sünde.
Symbolfoto: Blickwinke­l, Imago Ein Paar, eine Kirche, eine Trauung – da ist noch alles rosarot. Doch kommt es dann zur Scheidung und zu einer erneuten standesamt­lichen Hochzeit, lebt man nach Auffas sung der katholisch­en Kirche im Zustand schwerer Sünde.

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