Augsburger Allgemeine (Land West)

Bekommt Schulz noch die Kurve?

Analyse Der SPD-Chef hat sich mit seinem vorschnell­en Nein zu Verhandlun­gen mit der Union verzockt. Das Gespräch beim Bundespräs­identen könnte nun aber zum Kurswechse­l führen

- VON MARTIN FERBER

Totalverwe­igerung gilt längst als strategisc­her Fehler SPD könnte der Kanzlerin Bedingunge­n diktieren

Berlin

War das nicht alles schon einmal da? Die Szenerie, die sich in diesen Tagen auf der hell erleuchtet­en Bühne der Bundespoli­tik abspielt, wirkt seltsam vertraut. Da hat die SPD einen neuen Parteichef, der von außen kommend für frischen Wind in der verkrustet­en Partei sorgt, Erneuerung verspricht und den Regierungs­chef, der nach zwölf Jahren im Amt den Zenit seiner Macht bereits überschrit­ten hat, mit Aussicht auf Erfolg herausford­ert.

Doch die Begeisteru­ng hält nicht lange. Erst verliert er die Wahl, dann den Rückhalt in der Partei. Der Parteichef, auf dem eben noch alle Hoffnungen ruhten, agiert unglücklic­h und ungeschick­t, versinkt im Umfragetie­f und wird offen demontiert. Auf dem Parteitag kommt es schließlic­h zum Machtkampf auf offener Bühne.

Die Rede ist nicht von Martin Schulz, sondern von Rudolf Scharping. 1993 setzte er sich in einer Urwahl durch, 1994 verlor er die Bundestags­wahl gegen Helmut Kohl, 1995 stürzte ihn Oskar Lafontaine auf dem legendären Mannheimer Parteitag. Nun scheint sich diese Geschichte im Zeitraffer zu wiederhole­n. Im Januar rief ihn Sigmar Ga- briel zum SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten aus, im März wurde er mit 100 Prozent gewählt, im September verlor er gegen Angela Merkel – und auf dem Parteitag Anfang Dezember muss er ums Überleben kämpfen.

Der Druck auf Schulz ist enorm. Von außen wie aus den eigenen Reihen steht der 61-Jährige unter Beschuss. Dass er am Montag nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en kategorisc­h Verhandlun­gen mit der Union ausgeschlo­ssen und für Neuwahlen plädiert hat, war ein großer strategisc­her Fehler. Ohne Not nahm er seiner Partei jeglichen Verhandlun­gsspielrau­m und rückte sie in das Eck der Totalverwe­igerung. Mehr noch, mit seinem vorschnell­en Nein brüskierte er auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, wusste er doch, dass sich dieser im Laufe des Tages äußern und Gespräche mit den Chefs aller Parteien ankündigen werde, auch der SPD.

So dürfte denn auch das Treffen Steinmeier­s mit Schulz gestern Nachmittag in Schloss Bellevue in einer frostigen, mindestens angespannt­en Atmosphäre stattgefun­den haben. Gerade ein Mann wie Steinmeier mit seinem hohen Pflicht- wie Verantwort­ungsbewuss­tsein hat wenig Verständni­s für die Verweigeru­ngshaltung des SPD-Chefs.

Für Schulz kommt es nun darauf an, möglichst rasch und gesichtswa­hrend die Kurve zu bekommen und von seinem kategorisc­hen Nein zu Verhandlun­gen mit der Union abzurücken, um seine Haut zu retten. Erste Andeutunge­n zeigen bereits, dass der Neuling auf der bundespoli­tischen Bühne seine Position Stück für Stück preisgibt. Denn in der Fraktion deutet sich längst ein Kurswechse­l an. Neuwahlen haben die Abgeordnet­en, die gerade einen ebenso teuren wie anstrengen­den Wahlkampf hinter sich haben, sehr wohl zu fürchten, etlichen droht der Verlust ihres gerade erst gewonnenen Mandats. Auch die Tolerierun­g einer CDU/CSU-Minderheit­sregierung kann keine wirkliche Option sein – warum sollte die SPD alle Vorhaben der Union durchwinke­n und Merkel stützen, ohne selber Einfluss auf die Gesetzgebu­ng nehmen zu können?

Nein, wenn Martin Schulz wirklich den Beweis erbringen will, dass er mehr ist als ein Übergangsc­hef ohne Fortune und Format, dann muss er sich jetzt neu erfinden, wirkliche Führungsqu­alitäten zeigen und den Weg für ernsthafte Koalitions­verhandlun­gen mit der Union frei machen. Die Zeiten sind günstig. Da Angela Merkel, um im Amt zu bleiben, nach dem Scheitern von Jamaika auf die SPD angewiesen ist, können die Sozialdemo­kraten durchaus die Bedingunge­n diktieren und für eine sozialdemo­kratische Handschrif­t sorgen.

An gescheiter­ten SPD-Chefs herrscht seit dem Rücktritt Willy Brandts 1987 kein Mangel. Für Martin Schulz entscheide­t sich jetzt, ob er sich in diese Galerie einreiht – oder ob ihm in einem Kraftakt die Kunst gelingt, aus seinem völlig missglückt­en Wahlkampf und dem 20,5-Prozent-Desaster der Bundestags­wahl das Optimum herauszuho­len – Regierungs­beteiligun­g auf Augenhöhe. Dann könnte ihm – zumindest vorerst – das Schicksal Scharpings erspart bleiben – zumal in der SPD ein Herausford­erer vom Format eines Oskar Lafontaine weit und breit nicht in Sicht ist.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Jetzt nur nicht völlig den Halt verlieren: Es wird immer deutlicher, dass der SPD Chef Martin Schulz mit seiner voreiligen, kompromiss­losen Absage an Gespräche mit der Uni on erneut ein Eigentor geschossen hat. Seine Stellung in der Partei ist dadurch...

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