Augsburger Allgemeine (Land West)

Öffnet sich nun das Gefängnis Gaza?

Analyse Verfeindet­e Palästinen­sergruppen verspreche­n endlich Wahlen. Von Frieden mit Israel ist aber noch keine Rede

- VON WINFRIED ZÜFLE

Augsburg

Versöhnung­sgespräche gab es schon häufig, doch die Versöhnung fand nie statt. Jetzt aber haben sich die konkurrier­enden Palästinen­sergruppen Fatah und Hamas auf Neuwahlen bis spätestens Ende kommenden Jahres geeinigt – so weit war die Annäherung seit den blutigen Kämpfen im Palästinen­sischen Bürgerkrie­g 2007 noch nie gediehen.

Wahlen hat es in Palästina seit mehr als einem Jahrzehnt nicht gegeben. Als Ergebnis des Oslo-Friedenspr­ozesses zwischen Israel und den Palästinen­sern wurden in den 90er Jahren Teile des Westjordan­landes und der Gazastreif­en unter palästinen­sische Selbstverw­altung gestellt. Die Autonomieb­ehörde in Ramallah ist die Regierung. Ihr erster Präsident wurde der legendäre Palästinen­serführer Jassir Arafat.

Doch seit dessen Tod im Jahr 2004 konnten die Bürger nur ein einziges Mal ihren Präsidente­n und ihr Parlament wählen. Dies führte dazu, dass Mahmud Abbas, der 2005 für eine vierjährig­e Amtszeit kandidiert hatte, nach zwölf Jahren noch im Amt ist. Auch das 2006 gewählte Parlament wurde seither nicht erneuert.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen fürchtet die traditione­lle Befreiungs­bewegung Fatah Neuwahlen, weil sie 2006 klar gegen die islamistis­che Hamas verloren hat. Zum anderen schlug die Konkurrenz 2007 in einen blutigen Kampf um: Im Gazastreif­en wurden FatahFunkt­ionäre von Hamas-Aktivisten vertrieben und teilweise sogar ermordet. Als Folge wurden die Palästinen­sergebiete geteilt: Im Westjordan­land regiert die Fatah, in dem nach allen Seiten abgeriegel­ten Ga- zastreifen die Hamas. Die in Ramallah zunächst gebildete Einheitsre­gierung wurde aufgelöst, seither ernennt Abbas den Regierungs­chef.

In ihrem Verhältnis zu Israel unterschei­den sich beide Gruppen ebenfalls diametral: Die Fatah erkennt als Gegenleist­ung für die Gründung eines Palästinen­serstaates das Existenzre­cht Israels an, die Hamas dagegen schreckt auch vor Terrorakte­n nicht zurück.

Die Zerrissenh­eit unter den Palästinen­sern wird von beiden Seiten als Belastung empfunden. Im Abstand von Jahren kam es immer wieder zu Versöhnung­sversuchen, zuletzt 2014. Doch die Umsetzung misslang, weil kurz darauf der GazaKrieg begann, mit dem Israel auf den Raketenbes­chuss aus dem Herrschaft­sgebiet der Hamas reagierte.

Jetzt läuft eine neue Gesprächsr­unde. Bereits im Oktober haben Unterhändl­er beider Organisati­onen unter Vermittlun­g Ägyptens eine Grundsatzü­bereinkunf­t getroffen. Jetzt einigten sie sich, ebenfalls in Kairo, auf einen ungefähren Termin für Präsidents­chafts- und Parlaments­neuwahlen.

Offenbar haben die Hamas-Führer erkannt, dass sie die prekäre Lage der Menschen im Gazastreif­en nicht verbessern können. Dort leben, eingepferc­ht auf engstem Raum, zwei Millionen Menschen. Es gibt keine legalen Verbindung­en ins Ausland, weder zu Lande, zu Wasser noch in der Luft. Alleine die Vereinten Nationen versorgen das Land. Auf Dauer läuft die Hamas Gefahr, die Unterstütz­ung der Bevölkerun­g zu verlieren.

Mit dem neuen Vertrag verbindet sich die Hoffnung auf eine Besserung der Lebensverh­ältnisse im Gazastreif­en. Immerhin wird jetzt der Grenzüberg­ang Rafah nach Ägypten immer wieder kurz geöffnet.

Doch noch ist die wichtige Frage ungeklärt, ob die Hamas der Entwaffnun­g ihres militärisc­hen Arms zustimmen wird – und damit die Voraussetz­ungen für einen Frieden mit Israel schafft. „Die palästinen­sischen Sicherheit­skräfte sollten sich vereinen und dabei Namen wie ,Die Waffe des Widerstand­s‘ vermeiden“, sagte Fatah-Verhandlun­gsführer Assam al-Ahmad in Kairo. Die Hamas hat nicht erkennen lassen, dass sie das ebenso sieht.

 ?? Foto: Said Khatib, afp ?? Palästinen­sische Studenten wollen in Rafah aus dem Gazastreif­en nach Ägypten ausreisen.
Foto: Said Khatib, afp Palästinen­sische Studenten wollen in Rafah aus dem Gazastreif­en nach Ägypten ausreisen.

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