Augsburger Allgemeine (Land West)
Sind Mia und Co. zu dünn?
Fernsehen In Studien wird untersucht, wie Kinderserien auf das junge Publikum wirken. Die Ergebnisse sind eindeutig. Warum Medienwissenschaftler vor allzu schlanken TV-Figuren warnen und was Programmverantwortliche dazu sagen
Dass die gezeichneten oder animierten Welten der Kinderserien gar nicht „in echt“existieren, lernen Kinder im Vorschulalter. Die Bilder, die sie im Fernsehen oder auf Youtube sehen, haben zuvor bereits eine Wirkung auf sie. Und dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich um eine Zeichentrick- oder computeranimierte Figur handelt oder um einen jungen Darsteller – gerade wenn sich Kinder mit dieser Fernsehfigur identifizieren. Weil Kinderserien einen großen Einfluss auf die kindliche Identitätsentwicklung haben können, übt die Münchner Medienwissenschaftlerin Maya Götz harsche Kritik an einer „hypersexualisierten“und zu schlanken Gestaltung weiblicher Figuren, wie sie in Trickfilmen vorkommen.
Untermauert wird ihre Kritik etwa durch eine Studie der Universität Rostock, in der 327 Zeichentrickprotagonisten der Kindersender KiKA, Super RTL, Disney Channel und Nickelodeon untersucht wurden. Mehr als 50 Prozent der weiblichen Figuren hätten dank „Wespentaillen und Sanduhrfigu- ren“Körpermaße, die „nicht länger im anatomisch möglichen Bereich liegen“, heißt es in der Studie. Weibliche Figuren mit Übergewicht gebe es nicht. Jungen und Männer würden dagegen realistischer dargestellt, nur selten mit „V“-Konturen (schmale Taille, übertrieben breites Kreuz), dafür öfter mal korpulent.
Zugrunde gelegt wurde der Studie die sogenannte Waist-to-Hip Ratio, kurz WHR, bei Frauen; also das Verhältnis zwischen Taillenund Hüftumfang. Dabei wird der Taillen- durch den Hüftumfang geteilt. Am attraktivsten gilt bei Erwachsenen im Allgemeinen ein WHR von 0,7; anatomisch „normal“ist 0,8. Kinder haben in der Regel einen Wert von 1. Nach der Pubertät kann der weibliche Körper maximal einen WHR von 0,68 erreichen.
„Verzerrte und damit unnatürliche Körperbilder“, heißt es in der Rostocker Studie, „liegen vor, wenn weibliche Figuren nach der Pubertät den Wert 0,68 unterschreiten.“Im deutschen Kinderfernsehen liege mehr als die Hälfte der Protagonistinnen deutlich unter diesem Wert. Die Meerjungfrau Marina aus der Super RTL-Serie „Zig & Sharko“weist mit 0,2 den niedrigsten aller gemessenen Werte auf. Und: Nur 20 Prozent der Trickfiguren hätten einen Wert, der dem von echten Kindern entspreche. Keine einzige liege über dem Wert von 1. Wer seinen eigenen WHR berechnen will, findet im Internet eine Vielzahl von Seiten mit „WHR-Rechnern“.
Was wie ein abstraktes Problem klingt, lässt sich an einer der populärsten deutschen Trickfiguren veranschaulichen – und ihrer umstrittenen Wandlung: Als die Biene Maja 1976 erstmals über die Bildschirme flog, war sie ein rundlicher Brummer mit Pausbacken. Knapp vierzig Jahre später gab es eine neue Version, diesmal am Computer entstanden. Und die ist sichtbar schlanker.
Aber handelt es sich hier wirklich um ein Problem? Super RTL-Geschäftsführer Claude Schmit zum Beispiel sagt über Meerjungfrau Marina, diese sei als „Kunstfigur überzeichnet, was auf sämtliche Figuren der Serie zutrifft. Ihre ausgeprägte Weiblichkeit ist inhaltlich entscheidend, denn sie tritt als starker und gewitzter Charakter in Erscheinung“. Maya Götz lässt das nicht gelten. Die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen mit Sitz in München ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung von Wirkungen des Fernsehens auf Kinder. Sie weiß, welche Folgen es haben kann, wenn Mädchen mit dem im Fernsehen vermittelten Ideal eines – unerreichbar – schlanken Körpers aufwachsen: „Sie verinnerlichen dieses Bild und gehen zunächst davon aus, sie würden bald so aussehen. Spätestens mit Beginn der Pubertät sind damit eine Beschämung und ein Verlust des Selbstwertes verbunden, was bis in die Identitätskrise führen kann.“
Götz selbst hat im Rahmen einer Studie 842 Kindern verschiedene Versionen der Titelfigur aus „Mia and me“vorgelegt. Die Heldin dieser Serie (ZDF/KiKA) kann mithilfe eines magischen Armreifs aus der Realität in die Elfenwelt Centopia wechseln. Die Abenteuer, die sie dort erlebt, sind als Animation zu sehen. Die reale Mia, in der dritten Staffel dargestellt von Margot Nuccetelli, ist eine junge Frau mit einem WHR von 0,8. Als animierte Elfe im sexy Minikleid aber liegt ihr Wert bei 0,53. Diese Version gefiel den befragten Kindern jedoch am wenigsten, erklärt Götz. Gerade Mädchen bevorzugten eine animierte Mia mit deutlich breiterer Taille.
In einer zweiten Untersuchung fragte Maya Götz die Kinder, was sie an den Protagonistinnen aus den Trickserien am meisten stört (siehe die Bilder unten). Das Ergebnis war unmissverständlich: Jungen fanden es „doof“, dass die weiblichen Figuren viel zu oft „tussige Prinzessinnen“seien, die immer gerettet werden müssten. Mädchen ärgerten sich darüber, dass die Trickfiguren „viel zu dünn“seien und männliche Figuren immer die Hauptrolle spielen würden. Tatsächlich hat eine weitere Studie der Universität Rostock ergeben, dass 77 Prozent der Hauptfiguren männlich sind.
„Mia and me“-Produzent Gerhard Hahn sagt zur Kritik, dass die Figur Mia zu dünn sei, dass man sich bei der Auswahl der Darstellerinnen – zunächst Rosabell Laurenti Sellers, später Margot Nuccetelli – für junge Frauen mit normaler Figur entschieden habe. Für die Kunstfigur der Elfe habe es Entwürfe mit unterschiedlichen Körperformen gegeben, die dann bei Jungen und Mädchen getestet worden seien. Anders als bei den Untersuchungen von Götz hätten sich die Kinder „eindeutig für die zierliche Elfe“entschieden – „möglicherweise, weil in tradierten Illustrationen Elfen immer zierlich und schlank dargestellt werden“. Einen negativen Einfluss auf junge Zuschauerinnen kann Hahn nicht erkennen.
Beim ZDF, versichert auch Irene Wellershoff, Leiterin der Abteilung Fiktion im Kinderfernsehen, sei man ebenfalls überzeugt, „dass Charakterzeichnung und Handlungskompetenz prägender für die Identifikation mit Mia sind als das Design“. „Die Serie erhebt keinerlei Anspruch, Abbildung der Wirklichkeit zu sein.“