Augsburger Allgemeine (Land West)

Sein langer Weg zur Macht

Porträt Jahrelang hat sich Markus Söder auf diesen Moment vorbereite­t. Er hat Demütigung­en ertragen und sich bemüht, seinen Ehrgeiz zu verbergen. So nah war er seinem Ziel noch nie – jetzt bloß keinen Fehler machen

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg

Selten hätte Markus Söder einer Falschmeld­ung so gerne geglaubt wie gestern. Ein paar Minuten sah es so aus, als sei er am Ziel. Doch die letzten Meter bis zum Gipfel sind ja oft die härtesten – und die gefährlich­sten. Da kann jeder falsche Schritt den Absturz bedeuten. Die letzte Etappe seines langen Weges zur Macht beginnt für Söder am 24. September: Die CSU erlebt bei der Bundestags­wahl ein historisch­es Debakel, der Kampf um die Macht in Bayern ist eröffnet. Nur führen darf Söder ihn nicht. Noch nicht. Und schon gar nicht öffentlich.

Sein gnadenlose­r Wille, ganz nach oben zu kommen, hat dem 50-Jährigen schon zu oft geschadet. Von Ehrgeiz zerfressen sei er, ätzt Horst Seehofer einmal auf einer CSUWeihnac­htsfeier gegen Söder. Fünf Jahre ist das jetzt her. Seitdem kämpft der Noch-Landesvate­r gegen seinen unerwünsch­ten Kronprinze­n – Spott und subtile Demütigung­en inklusive. Der erträgt es und rächt sich mit durchaus launigen Lästereien hinter verschloss­enen Türen. Als Seehofer in Berlin um Jamaika ringt, muss Söder zu Hause bleiben. Ein Affront. Einer offenen Konfrontat­ion mit dem 18 Jahre älteren Alpha-Tier geht er trotzdem aus dem Weg. Aber er sammelt im bayerische­n Revier Verbündete für den Tag, an dem der Leitwolf endlich Schwäche zeigt. Und er wartet. Das bereitet ihm beinahe körperlich­e Schmerzen – erst recht, seit das Ziel in Sichtweite ist. Er hält sie aus.

Gestern, am Tag der Entscheidu­ng, der dann doch keine endgültige­n Gewissheit­en bringt, wirkt Söder verdächtig entspannt. Ein paar Floskeln in die Mikrofone – legendäre Geschlosse­nheit der CSU und so –, und schon ist er wieder weg. Es ist die Gelassenhe­it eines Mannes, der schon zu wissen scheint, dass die Sache gelaufen ist. Zu seinen Gunsten. Begonnen hat der lange Aufstieg in einem fränkische­n Jugendzimm­er. An der Dachschräg­e über dem Bett hängt ein Poster. Es ist kein Rockstar und auch kein Fußballer, obwohl Söder Fan des 1. FC Nürnberg ist. „Wenn ich aufgewacht bin, habe ich an der Decke direkt Franz Josef Strauß angeschaut“, wird er später erzählen. Da mag ein bisschen Legendenbi­ldung dabei sein, aber tatsächlic­h tritt er schon als Schüler in die Junge Union ein, mit 27 Jahren wird er Landtagsab­geordneter, später CSU-Generalsek­retär und Minister für so ziemlich alles (erst Europa, dann Umwelt und Gesundheit, jetzt Finanzen und Heimat). Zwischendu­rch gründet er noch eine Familie und wird viermal Vater. Der gelernte Fernsehjou­rnalist setzt sich gerne in Szene – bis an den Rand des Peinlichen, aber eben selten darüber hinaus. Er reist durch das Land, knüpft Netzwerke, verspricht vielen vieles für den Tag, an dem er oben angekommen sein wird. Genau wie seine Partei ist er alles – notfalls auch das Gegenteil: humorvoll und verbissen, staatsmänn­isch und populistis­ch, sozial und brutal. Söder ist eine Reizfigur, aber selbst seine politische­n Gegner nehmen ihn ernst. Dass er in der Post-Seehofer-Ära nicht mindestens eines der Ämter seines Rivalen bekommt, hat schon lange kaum noch jemand geglaubt. Gestern war er dann zumindest für einen Augenblick fast offiziell der künftige Ministerpr­äsident. Am Abend sah es dann wieder so aus, als sei die Wartezeit nicht zu Ende. Noch nicht.

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Foto: Jordan Markus Söder will ganz nach oben.

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