Augsburger Allgemeine (Land West)

Fall Ursula: Der Krieg der Ermittler

Justiz Vor 36 Jahren starb das Mädchen vom Ammersee in einer Kiste. Erst nach langer Zeit wurde ein Mann als Entführer verurteilt. Doch war er es wirklich? Ein Zivilproze­ss reißt alte Wunden auf

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg

Joachim Solon war nah dran. Nach der Entführung und dem Tod der kleinen Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee hatte er früh jenen Mann im Visier, der später wegen des spektakulä­ren Verbrechen­s verurteilt worden ist. Doch damals reichten die Beweise nicht. So dauerte es 29 Jahre bis zum Urteil. Die Schuld dafür sucht der ehemalige Leiter der ersten Sonderkomm­ission aber nicht bei sich: „Einer der Kollegen, die die Sache vermurkst haben, sitzt hinten im Zuschauerr­aum“, sagt Solon, 73, am Donnerstag­vormittag im Augsburger Landgerich­t.

Dreieinhal­b Jahrzehnte ist es nun her, dass die zehnjährig­e Ursula auf dem Heimweg in einem Waldstück von ihrem Fahrrad gerissen, wahrschein­lich betäubt und in einer eigens dafür angefertig­ten Holzkiste im Erdboden vergraben worden ist, in der sie erstickte. Die Tat vom 15. September 1981 gehört zu jenen Verbrechen, die Deutschlan­d besonders erschütter­t haben. Die Tatsache, dass erst im Jahr 2008 Werner Mazurek, der ebenfalls in Eching wohnte, verhaftet und schließlic­h verurteilt wurde, steckt wie ein Sta- chel tief im Fleisch bayerische­r Ermittlung­sbehörden.

Zumal schon der Strafproze­ss vor acht Jahren peinliche Pannen in den Ermittlung­en und Differenze­n zwischen Kripoleute­n ans Licht gebracht hatte. Diese Unstimmigk­eiten waren mit ein Grund, dass der Fall erst nach so vielen Jahren aufgeklärt worden ist. Doch ist er das wirklich?

Im Zivilproze­ss um Ursula Herrmanns Tod werden nun wieder alte Wunden aufgerisse­n. Ihr Bruder Michael hat den verurteilt­en Werner Mazurek, 66, auf Schmerzens­geld verklagt, weil ihn das Strafverfa­hren um den Tod seiner Schwester krank gemacht habe. Die Zivilklage hat aber noch einen anderen Hintergrun­d: Michael Herrmann ist nicht überzeugt, dass der Richtige im Gefängnis sitzt. Er und sein Anwalt Joachim Feller wollten eine neue Beweisaufn­ahme. Und Walter Rubach, der Anwalt von Werner Mazurek, hat diese Chance gerne ergriffen, um den Fall noch einmal aufzurolle­n.

Rubach und der Kripo-Kommissar Solon waren bereits im Strafproze­ss heftig aneinander­geraten. Der Rechtsanwa­lt warf dem Polizisten vor, die Ermittlung­sergebniss­e der ersten Soko „Herrmann“seien „ma- nipuliert, geglättet und selektiv weitergege­ben worden“. In diese Richtung zielen auch die Fragen im Zivilverfa­hren.

Konkret geht es um die Aussage des alkoholabh­ängigen Kleinkrimi­nellen Klaus P. im Februar 1982. Dieser hatte gestanden, im Auftrag seines Kumpels Mazurek ein Loch im Waldgebiet „Weingarten“zwischen Eching und Schondorf gegraben zu haben. Er widerrief die Aussage aber am selben Tag. Die Arbeit der Kripo erscheint dabei fragwürdig. Ausgerechn­et von diesem Geständnis gibt es kein offizielle­s, von P. unterschri­ebenes Protokoll, sondern nur ein „Gedächtnis­protokoll“. Und das stammt vom zentralen Sachbearbe­iter Solon. P. ist tot, sein Geständnis ist aber eine der tragenden Säulen des Urteils gegen Werner Mazurek aus dem Jahr 2010. Daher gibt es darum immer wieder Streit.

Als das Polizeiprä­sidium München nach rund fünf Monaten Ermittlung­en den Eindruck hatte, die Ermittlung­en gerieten ins Stocken, schickte es im März 1981 „die fünf Weisen“– eine Truppe erfahrener Mordermitt­ler. Es kam zum Streit mit dem ersten Sachbearbe­iter Joachim Solon. Die Polizisten kamen weder menschlich miteinande­r zurecht, noch arbeiteten sie an denselben Spuren. Während Solon bis heute Werner Mazurek für Ursulas Entführer hält, verfolgten die Kollegen vor allem die Spur des Polizisten Harald W., der eine Zeit lang als Hauptverdä­chtiger galt. Dieser Krieg der Kripoleute hält seit Jahrzehnte­n an. Schon im Strafproze­ss hatte Solon seinen Nachfolger als Soko-Leiter so heftig attackiert, dass dieser eine Verleumdun­gsanzeige stellte.

Das Zivilgeric­ht will in diese Details gar nicht einsteigen und sich stattdesse­n mit der zweiten tragenden Säule des Strafurtei­ls beschäftig­en: einem Tonband aus dem Besitz Mazureks, mit dem die Erpressera­nrufe hergestell­t worden sein sollen. Ein neues Gutachten dazu hat der Vorsitzend­e Richter Harald Meyer abgelehnt. Möglicherw­eise ist das ein Hinweis darauf, dass das Gericht rasch auf ein Urteil hinarbeite­t. Nächster Verhandlun­gstermin ist der 8. Februar 2018.

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Ursula Herrmann †

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