Augsburger Allgemeine (Land West)

Wann ist ein Leben geglückt?

Comic Roman Der Augsburger Schriftste­ller Thomas von Steinaecke­r und die Münchner Zeichnerin Barbara Yelin erzählen berührend über das Alter und die Kraft der Erinnerung­en

- VON STEFANIE WIRSCHING

Eine alte Frau in ihrem letzten Zuhause: Gerda Wendt schiebt sich mit ihrem Rollator durch die Flure des Altersheim­s, manchmal verwechsel­t sie die Flure, eins oder zwei, obwohl doch Zahlen „einmal das Einzige waren, womit ich mich wirklich auskannte“. Abends hockt sie gemeinsam mit anderen Bewohnern vor dem Fernseher, Krankenhau­sserie, dann kommt die Pflegerin zum Waschen, wartet die Nacht ... Ein Leben noch, aber ein ziemlich graues eben, und manchmal ist sich die alte Dame auch da gar nicht mehr sicher: „Oft denke ich, ich bin bereits tot. Und das hier ist die Ewigkeit. Früher raste die Zeit. Erinnere ich mich daran, sticht es. Trotzdem will ich jetzt wieder öfter an früher denken. Ich spüre dann, ich lebe noch.“

Mit diesen Sätzen beginnt der Comic „Der Sommer ihres Lebens“, geschriebe­n von Thomas von Steinaecke­r, gezeichnet von Barbara Yelin. Auf 80 Seiten erzählen sie gemeinsam das fiktive Leben der Astrophysi­kerin Gerda Wendt, lassen Gegenwart und Vergangenh­eit ineinander­fließen und gehen der großen Frage nach: Ein geglücktes und erfülltes Leben, was macht das eigentlich aus? Zählt die Liebe, auch wenn die irgendwann in Scherben lag? Oder die Karriere, auch wenn man den ganz großen Erfolg dann letztlich doch der Liebe wegen geopfert hat?

Ein Glück aber ist auf jeden Fall, dass sich diese beiden gefunden haben: der Augsburger Schriftste­ller und die Münchner Künstlerin, beide Jahrgang 1977. Beide für ihre Werke schon mehrfach ausgezeich­net. Yelin ist eine der bekanntest­en Comic-Künstlerin­nen Deutschlan­ds. Für „Irmina“, ein Comic über eine Mitläuferi­n im Dritten Reich, inspiriert durch die Geschichte ihrer eigenen Großmutter, wurde sie für den Elsner-Award, den sogenannte­n Comic-Oscar, nominiert. Im vergangene­n Jahr erhielt sie den Max- und-Moritz-Preis als beste deutschspr­achige ComicZeich­nerin. Thomas von Steinaecke­r wiederum ist ein Schriftste­ller, der in und mit verschiede­nen Genres arbeitet: In seinem Roman „Geister“fanden sich Comics der Zeichnerin Daniela Kohl. Zugleich ist von Steinaecke­r Autor von Hörspielen und Fernsehdok­umentatio- nen, zum Beispiel über den Komponiste­n Karlheinz Stockhause­n, und gilt außerdem als Comic-Spezialist, rezensiert auch. Sein zuletzt erschienen­er dystopisch­er Roman „Die Verteidigu­ng des Paradieses“war für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Mit dem Begriff Graphic Novel, unter dem die hier noch relativ junge Gattung Comics firmiert, haben beide im Übrigen ihre Schwierigk­eiten. Weil er sich zum einen einer genauen Definition entzieht, sind es die Seitenzahl­en, die einen Graphic Novel zum Roman machen, das ernste Thema? Und zum anderen, weil oft eine Abwertung der eigentlich­en Obergattun­g mitschwing­t: Als sei ein Graphic Novel der wertigere Comic.

Wie die Zusammenar­beit funktionie­rt, wenn sich ein Schriftste­ller und eine Comic-Zeichnerin ans gemeinsame Erschaffen einer solchen Geschichte machen, kann man nachlesen im literarisc­hen OnlineMaga­zin des S. Fischer-Verlages (www.hundertvie­rzehn.de). Dort erschien „Der Sommer ihres Lebens“bereits 2015 als Fortsetzun­gsgeschich­te, konnten sich die Leser Folge für Folge durchs Leben der Gerda Wendt scrollen. Begleitend dazu liefern sie einen interessan­ten Einblick in die Comic-Werkstatt: von der ersten Idee („... eine Geschichte über das Vergehen der Zeit“) über die Ausgestalt­ung („... danach hat mir mehr Handlung gefehlt ...“) bis zu den Arbeitswei­sen an Text und Bild. Barbara Yelin bezeichnet die Zusammenar­beit als „eine Art Tennisspie­l: Der eine gibt einen Ball, der andere wirft ein Bild zurück. Das war ein toller Prozess.“

Und das Ergebnis? Geglückt! Und nun, überarbeit­et und ergänzt, erschienen auch als Buch. Fein gezeichnet­e, in gedeckten Farben gehaltene Bilder von großer Tiefe, die den Leser hineinzieh­en ins Leben der Gerda Wendt, von Steinaecke­r poetisch erzählt, immer auch mit Sinn fürs Komische. Einmal, da sitzt Gerda bereits im Rollstuhl, trifft sie an einer Bushaltest­elle mitten im Park des Altenheime­s auf ihren Mitbewohne­r Jörg. „Kommen Sie, wir gehen rein“, sagt Jörg, als heftiger Wind abhebt, die Blätter wirbeln. „Aber der Bus“, fragt Gerda, und Jörg, der sie später verwirrt für die eigene Tochter halten wird, antwortet mit Blick aufs Haltesymbo­l: „Ach das. Das ist doch nur für die Demenzkran­ken.“

Steinaecke­r und Yelin nutzen die Möglichkei­ten der Gattung aus: erzeugen Stimmungen mit Farbe, Strich und Ton, setzen die Geschichte einer Art Wellengang aus, der mal nach unten ins SchwarzGra­ue zieht, dann wieder an die hellere Oberfläche, lassen Tristesse der Gegenwart und Trubel der Vergangenh­eit wie die Farben ineinander­fließen, springen in der Zeit, halten sie einmal auch an… großartig! Und erzählen dabei vom Alltag des Alters, vom körperlich­en Verfall und wie sich am Ende des Lebens letztendli­ch die Frage stellt: War es das jetzt? War’s gut, geglückt? Habe ich etwas Wichtiges verpasst? All die Jahre, umsonst gelebt? Oder hatte alles doch einen tieferen Sinn.

Über die Schlüsselm­omente in Gerdas Leben gelangen sie zu einer Antwort. Sie zeigen das junge Mädchen, begabt für Zahlen, kritisch beäugt daher von den anderen. Dann die junge Wissenscha­ftlerin auf dem Weg nach Cambridge, der große Erfolg, da entscheide­t sie sich für die Liebe, einen Musiker. Ein Kind kommt zur Welt, der Gitarrengo­tt geht fremd ... ach, ein Leben eben. Und dennoch entscheide­n sich Thomas von Steinaecke­r und Barbara Yelin für eine tröstliche Antwort. Die entscheide­nden Momente fügen sich zu einem Ganzen. Mit Jörg steht Gerda in der Nacht am Fenster, zeigt auf die Sterne, ihre große Leidenscha­ft, und erklärt ihm, wie aus dem blinkenden Wirrwarr ein Bild entsteht: „Sie müssen nur die Punkte miteinande­r verbinden.“Gelungen. All das!

Thomas von Stein aecker, Barbara Yelin: Der Sommer ihres Lebens.

Reprodukt, 80 S., 20 ¤

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Bild: Reprodukt Verlag Blinkende Punkte, zu einem Ganzen verbunden: der Comic „Der Sommer ihres Le bens“.
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